Bildung: Rund ein Drittel der Arbeitszeit von Lehrkräften entfällt auf Unterricht

Wie viel arbeiten Lehrkräfte abends und am Wochenende, wenn sie nicht im Klassenraum stehen? Und woraus besteht ihre Arbeit dann? Eine Studie zeigt, wodurch Überstunden entstehen und wer mehr als andere schuftet.

bildung: rund ein drittel der arbeitszeit von lehrkräften entfällt auf unterricht

Bildung: Rund ein Drittel der Arbeitszeit von Lehrkräften entfällt auf Unterricht

Der Gong ist verlässlich, der Unterricht strikt getaktet. Trotzdem laufen die Arbeitszeiten vieler Lehrerinnen und Lehrer aus dem Ruder, zeigt eine neue Studie der Universität Mannheim und des Berufsschullehrerverbandes Baden-Württemberg (BLV). Der Unterricht selbst macht demnach nur rund ein Drittel der Arbeitszeit von Lehrkräften an Berufsschulen aus.

Dazu kämen Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturen sowie »unterrichtsferne Tätigkeiten«, etwa Verwaltungsaufgaben, Gremienarbeit, Pausenaufsicht, Elternarbeit oder die Organisation von Ausflügen, hieß es bei der Vorstellung der Studie am Freitag. Auf solche Tätigkeiten entfallen demnach rund 44 Prozent der Lehrerarbeitszeit.

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Das Thema ist brisant. Lehrerverbände beklagen immer wieder, Kollegien seien überlastet. Aus Politik und Wissenschaft heißt es hingegen oft, Lehrerinnen und Lehrer sollten – insbesondere angesichts der akuten Personalnot an vielen Schulen – eher mehr als weniger arbeiten. Baden-Württemberg hatte zuletzt etwa die Möglichkeit zu Teilzeitarbeit für Lehrerinnen und Lehrer eingeschränkt.

Dass die Arbeitszeit in dem Beruf überhaupt so umstritten ist, liegt auch am sogenannten Deputatsmodell. Die meisten Bundesländer regeln einen Teil der zu leistenden Arbeitszeit unmittelbar über vertraglich fixierte Pflichtstunden, sogenannte Deputate. Diese zielen einzig auf die zu leistenden Unterrichtsstunden; à 45 Minuten. Alle übrigen Tätigkeiten, die innerhalb der tariflichen Arbeitszeit geleistet werden sollen, kommen hinzu, werden aber nicht systematisch als Arbeitszeit erfasst. Damit fehlt in jeder Hinsicht Kontrolle.

Drei Stunden Mehrarbeit pro Woche

Das Mannheimer Forschungsteam hatte bereits in einer früheren Studie gezeigt, dass bei vielen Lehrern Überstunden anfallen. Berufsschullehrkräfte leisten demnach im Schnitt wöchentlich drei Stunden Mehrarbeit, Schulleitungen machen acht Überstunden pro Woche. In der Folgestudie wollten die Wissenschaftler nun unter anderem herausfinden, wie es zu den Überstunden kommt. Dazu wurden zwischen Februar und November 2022 mehr als 1100 Lehrerinnen und Lehrer an Berufsschulen befragt.

Einer der Gründe für die Mehrarbeit ist demnach, dass sich in Prüfungsphasen »erhebliche Spitzenbelastungen durch eine Vielzahl an Korrekturen« ergeben. Zudem unterschreite die mittlere Wochenarbeitszeit in den Ferien kaum 20 Stunden pro Woche. Einen erheblichen Anteil der Arbeitszeit machten zudem die unterrichtsfernen Tätigkeiten aus. Weitere Ergebnisse:

    Weibliche Lehrkräfte ohne Leitungsfunktion arbeiten im Schnitt mehr als männliche Lehrkräfte. Dieser »Gender Time Gap« bestehe allerdings nicht, heißt es in der Studie, bei weiblichen Lehrkräften mit Leitungsfunktion.

    Jüngere Lehrkräfte leisten in einem höheren Maße Mehrarbeit als ältere. Gleiches gilt für Lehrkräfte ohne Leitungsfunktion.

    Die Arbeitszeiten variieren auch nach Arbeitsort: Lehrkräfte ohne Leitungsfunktion arbeiten etwa ein Drittel ihrer Zeit zu Hause, Lehrkräfte mit Leitungsfunktion arbeiten hauptsächlich in der Schule.

Besonders auffällig sei, heißt es in einer Mitteilung, dass Lehrkräfte ohne Leitungsfunktion an Abenden und Wochenenden mehr arbeiteten als diejenigen mit Leitungsfunktion. Dennoch sei die Gesamtarbeitszeit bei Lehrkräften mit Leitungsfunktion höher.

Thomas Speck, Vorsitzender des Berufsschullehrerverbands Baden-Württemberg, kritisierte angesichts der Ergebnisse: »Es passiert leider viel zu wenig, sowohl um kurzfristig für eine spürbare Entlastung von Schulleitungen und Lehrkräften zu sorgen als auch langfristig moderne Arbeitszeitregelungen zu schaffen.«

Speck forderte etwa, es müssten flächendeckend mehr Schulverwaltungsassistenten beschäftigt werden, um Lehrkräfte und Schulleitungen zu entlasten. Auch Korrekturen müssten reduziert werden. In keiner Schulart gebe es so viele Prüfungen wie an den beruflichen Schulen, sagte der BLV-Vorsitzende. Dies führe in Prüfungszeiten im Extremfall zu fragwürdigen 50 bis 60 Stundenwochen bei Lehrkräften und Schulleitungsteams. »Damit muss Schluss sein, sonst drohen immer mehr Lehrkräfte krankheitsbedingt auszufallen«, so Speck. Der Verband suche nun »Musterkläger, um über den Rechtsweg die Anerkennung der Mehrarbeit und eine Absenkung der Unterrichtsverpflichtung zu erreichen«.

Ende Januar hatten zwei Gymnasiallehrkräfte mit Unterstützung des Philologenverbands eine Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingereicht, mit der sie feststellen lassen wollen, dass sie mehr arbeiten, als sie eigentlich müssten.

Die Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrer fordern vom Land zudem die Einführung eines Lebensarbeitszeitkontos. Dabei könnten »Mehrarbeitsstunden über einen begrenzten Zeitraum angespart und abgebaut werden«. Ein solches Konto sei im Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Landesregierung vereinbart worden, die Umsetzung lasse aber auf sich warten, kritisierte Speck.

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