Vorwürfe gegen UN-Palästinenserhilfswerk: Das sagt der Untersuchungsbericht über die Anschuldigungen

Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für Palästinenser sollen am Überfall der Hamas beteiligt gewesen sein. Israel sagt sogar, die Organisation sei unterwandert. Nun liegt ein Untersuchungsbericht vor.

vorwürfe gegen un-palästinenserhilfswerk: das sagt der untersuchungsbericht über die anschuldigungen

Das Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert.

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) sieht sich massiven Vorwürfen ausgesetzt. Die 1949 gegründete Organisation wird der Komplizenschaft mit der Terrororganisation Hamas beschuldigt, die mit ihrem mörderischen Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 den Krieg im Gazastreifen auslöste. Am Montag hat die frühere französische Außenministerin Catherine Colonna einen Untersuchungsbericht über UNRWA vorgelegt.

Welchen Auftrag hat die Kommission?

Als die Vorwürfe gegen das UNRWA nicht mehr ignoriert werden konnten, trat UN-Generalsekretär António Guterres die Flucht nach vorn an. Er beauftragte Frankreichs frühere Chefdiplomatin, das Hilfswerk zu durchleuchten. Die sogenannte Colonna-Kommission nahm Mitte Februar die Ermittlungen auf.

Drei skandinavische Menschenrechtsinstitutionen wirken mit. Die Untersuchung soll „unabhängig“ von den Vereinten Nationen agieren, betonte Guterres.

Die Kommission folgt einem offen formulierten Auftrag: Sie soll bewerten, ob das UNRWA „alles in seiner Macht Stehende tut, um die Neutralität zu gewährleisten und auf Behauptungen über schwerwiegende Verstöße zu reagieren“.

Zu welchem Ergebnis kommt die Untersuchung?

„Israel hat öffentlich behauptet, dass eine beträchtliche Anzahl von UNRWA-Mitarbeitern Mitglieder terroristischer Organisationen sind“, heißt es in dem Report. Jedoch seien bisher keine Beweise für diese Behauptung vorgelegt worden. Zudem hält der Report fest: Das Hilfswerk habe Israel regelmäßig Listen seiner Mitarbeiter zur Überprüfung vorgelegt. „Seit 2011 hat die israelische Regierung dem UNRWA keine Bedenken in Bezug auf UNRWA-Bedienstete mitgeteilt, die auf diesen Personallisten stehen.“

Weiter heißt es in dem Bericht: Zwar verfüge UNRWA über bessere Mechanismen zur Einhaltung der Neutralität als ähnliche UN- oder Hilfsorganisationen. Aber die Kommission sieht Möglichkeiten, diese Unabhängigkeit weiter zu verbessern. Im Report wird zudem kritisiert, dass Bücher mit „problematischen“, also anti-israelischen Inhalten, in einigen UNRWA-Schulen verwendet würden.

Wie schätzen Experten den Colonna-Bericht ein?

„Der Bericht bemüht sich sichtlich um eine Ehrenrettung der schwer angeschlagenen UNRWA“, sagt Johannes Becke. Der Report fordere „mehr Beweise“ von Israel für die Präsenz von Terrorsympathisanten in den Reihen der heutigen UNRWA-Angestellten, äußere sich aber nicht zur möglichen Beteiligung von ehemaligen Mitarbeitern am Massaker des 7. Oktobers, betont der Professor für Israel- und Nahoststudien an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.

Um so offensichtliche Kooperationen mit der Hamas wie die Einrichtung eines Datenzentrums unterhalb des UNRWA-Hauptquartiers zu verhindern, sollen Schulungen in Zukunft den „zivilen Charakter“ des Hilfswerks betonen; um den anti-israelischen Hass in UNRWA-Schulbüchern zu reduzieren, soll mehr auf „Neutralität“ und „kritisches Denken“ geachtet werden.

Nach Beckes Ansicht wird das Grundproblem dabei nicht angesprochen. „Solange UNRWA besteht, wird die palästinensische Fantasie einer ‚Rückkehr‘ der Palästina-Flüchtlinge von 1948 und von Millionen ihrer Nachkommen in den heutigen Staat Israel befeuert. Zur Konfliktlösung trägt das sicher nicht bei.“ Tatsache sei aber auch: An UNRWA führe kein Weg vorbei, um die humanitäre Krise im Gazastreifen zu lindern.

Andreas Böhm verweist darauf, dass im Report mit Blick auf Führung und Management trotz vorhandener Kontrollmechanismen Verbesserungen angemahnt werden. „Dabei schlägt die Kommission deutliche Töne an“, sagt der Nahostexperte von der Universität St. Gallen. Unter anderem habe es UNRWA verpasst, Strukturen an die gegebenen Bedürfnisse anzupassen. Gerade das Überprüfen der Mitarbeitenden sowie die Meldung und Disziplinierung von Fehlverhalten müssten verbessert werden.

Zugleich halte die Kommission fest, dass es keine systematische Verletzung der Neutralitätspflicht gebe, betont Böhm, der Lehrbeauftragter für International Affairs und International Law ist. UNRWA lege regelmäßig die Daten der Mitarbeitenden vor. Seit 2011 habe es seitens Israels keine Beanstandungen gegeben. „Die These einer systematischen Unterwanderung durch die Hamas erschien bereits vorher zweifelhaft.“

Das Gutachten sei kein Persil-Schein, aber lege die Pflicht Israels nahe, Beweise für die Anschuldigungen zu liefern. „Ansonsten drängt sich der Eindruck auf, es handele sich von Beginn an prioritär um eine politische Kampagne mit dem Ziel, eine missliebige Organisation zu beschädigen.“

Was wird dem Palästinenserhilfswerk vorgeworfen?

Israel gehört seit Langem zu den schärfsten Kritikern des Palästina-Hilfswerks. UNRWA habe eine viel zu große Nähe zu den Herrschern im Gazastreifen, also der Hamas.

Zudem wird beklagt, dass die seit 2007 herrschende militant-islamistische Gruppe für die Zivilbevölkerung bestimmte Gelder abzweige und aus den UN-Einrichtungen heraus oder aus deren Nähe Israel angreife. Auch werde in Schulbüchern Hass auf Juden verbreitet.

Nach dem Terrorangriff auf Israel mit 1200 Toten und 250 Verschleppten warf die Regierung in Jerusalem dem UN-Hilfswerk sogar konkret Komplizenschaft mit der Hamas vor.

Der israelische Geheimdienst hatte offenbar Material zusammengetragen, wonach zwölf UNRWA-Mitarbeiter – darunter Schulleiter, Lehrer oder Sozialarbeiter – in das Massaker vom 7. Oktober verwickelt gewesen sein sollen, später war von 15 Beteiligten die Rede.

Nach israelischen Angaben geht es allerdings nicht nur um die „aktive Beteiligung“ an dem Überfall. Eine noch laufende Auswertung habe ergeben, dass von rund 13.000 UNRWA-Mitarbeitern 2135 den Terror aktiv unterstützt haben oder noch unterstützen, hieß es Ende März. Premier Benjamin Netanjahu zufolge ist das Hilfswerk „komplett infiltriert“.

Von unabhängiger Seite lassen sich die Anschuldigungen bislang nicht überprüfen. Das UN-Hilfswerk hat sich nach eigenen Angaben von den Beschuldigten getrennt und strafrechtliche Ermittlungen angekündigt.

Einige Nahost-Kenner wie Joost Hiltermann von der International Crisis Group weisen jedoch die Vorwürfe der Israelis zurück, nach der UNRWA eine Komplizenschaft mit Hamas eingegangen sei.

„Es ist nur eine einfache Anschuldigung, von der Israel weiß, dass viele im Westen sie ohne Wenn und Aber schlucken werden“, sagt Hiltermann, der Programmdirektor Naher Osten und Nordafrika. Er habe auch keine Belege dafür gesehen, dass es ein „Hamas-Nervenzentrum“ unter dem Gaza-Hauptquartier der UN-Organisation gab.

Wie reagiert das Hilfswerk?

Der Schweizer Philippe Lazzarini wies als Leiter von UNRWA die Vorwürfe gegen seine Organisation zurück. Die von Israel vorgebrachten Anschuldigungen seien zuweilen „vulgär“ und teilweise politisch motiviert, sagte er im Dezember.

Das UNRWA sei selbst „Ziel“ des Krieges geworden. Es existierten keine Verbindungen zur Hamas oder zu anderen Extremistengruppen. Bei einem Verdacht auf Fehlverhalten gebe es gründliche Untersuchungen, das Personal werde zur Rechenschaft gezogen.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe setzten Geberstaaten die Zahlungen aus, darunter die USA und Deutschland. Beide gehören zu den größten finanziellen Unterstützern. Die USA zahlten 2022 rund 344 Millionen US-Dollar, die Bundesrepublik überwies 202 Millionen Dollar.

Beide leisteten somit fast die Hälfte aller Zahlungen von insgesamt 1,17 Milliarden Dollar. Inzwischen haben Geber wie Japan die Zahlungen wieder aufgenommen. Deutschland stellt seit Kurzem wieder Geld für die Arbeit von UNRWA außerhalb des Gazastreifens zur Verfügung.

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