Der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke steht ab Donnerstag in Sachsen-Anhalt vor Gericht. Jacob Schröter / Imago
Vielleicht ist «Jedem das Seine» ein gutes Beispiel. Der Ausspruch ist althergebracht, war Wahlspruch der Preussenkönige, lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen, Lateinschüler kennen ihn als «suum cuique». Gemeint ist, dass jeder bekommen soll, was ihm zusteht, was er verdient hat, kurz: Es geht um Gerechtigkeit. Doch dann kaperten die Nazis den Spruch und pervertierten ihn: Der Kommandant des KZ Buchenwald liess die Parole 1938 in das eiserne Haupttor schmieden, und zwar so, dass sie von innen lesbar war.
Den Häftlingen wurde tagtäglich auf dem Appellplatz in demütigender Weise vor Augen geführt, dass sie es verdienten, aus der Gesellschaft ausgeschlossen und entrechtet zu sein. Heute kann es in Deutschland strafbar sein, «Jedem das Seine» zu sagen. So wurde 1998 ein Schriftsteller verurteilt, weil in seinem Roman gleichen Titels der Holocaust gerechtfertigt wurde, und 2017 wurde ein NPD-Mann zu acht Monaten Haft verurteilt, weil er ein grosses Rücken-Tattoo mit dieser Aufschrift öffentlich im Schwimmbad trug.
Ähnlich ist es mit Hakenkreuzen. Das Symbol ist zwar auch aus anderen Zusammenhängen bekannt, in Deutschland jedoch eindeutig der NSDAP zugeordnet. Es an eine Mauer zu sprayen, ist strafbar. Es auf einer Theaterbühne zu verwenden, nicht. Es in einer Karikatur zu verwenden, im Prinzip nicht: Der Zeichner der Karikatur steht im Zweifel unter dem Schutz der Kunstfreiheit und macht sich dann nicht strafbar.
Tor des Konzentrationslagers Buchenwald mit dem Spruch «Jedem das Seine». Die Parole ist in Deutschland strafbar. ; S. Ziese / Blickwinkel / Imago
Strafbarkeit hängt auch davon ab, wer die Tat begeht
Wer aber die Karikatur auf X oder Instagram sieht und teilt, also weiterverbreitet, ohne ihr Schöpfer zu sein, macht sich wahrscheinlich strafbar. Erst vor wenigen Monaten wurde ein Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts rechtskräftig, der eine solche Verurteilung bestätigte. Ein Coburger Stadtrat hatte eine Karikatur mit Hakenkreuz auf Instagram geteilt. Dieselbe Zeichnung war auch von anderen Personen geteilt worden, mit demselben Ergebnis.
Die massgeblichen Vorschriften im deutschen Strafrecht sind die Paragrafen 86, 86a (Verbreiten von Propagandamitteln, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und 130 (Volksverhetzung). Wegen beidem muss sich derzeit der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke vor Gericht verantworten.
Diesen Donnerstag geht es im sachsen-anhaltischen Halle um die SA-Losung «Alles für Deutschland», die mindestens zweimal von Höcke verwendet wurde, was ihm eine Anklage nach Paragraf 86 und 86a einbrachte. Denn «Alles für Deutschland» besitzt die Eigenschaft, ein verbotenes «Kennzeichen» zu sein. Das Oberlandesgericht Hamm bestrafte schon 2006 einen jungen Mann, der diese Parole verwendet hatte.
Schmaler Grat zwischen Meinungsfreiheit und Volksverhetzung
Vor dem Landgericht im thüringischen Mühlhausen kommt noch ein Prozess gegen Höcke wegen Volksverhetzung dazu. Hierfür steht nach Auskunft eines Gerichtssprechers noch kein Termin fest. Inhaltlich geht es um einen Post auf Telegram, in dem Höcke sinngemäss den Islam als Volkskrankheit und die Migration als «alltäglichen Verdrängungskrieg» bezeichnet und Muslimen unterstellt, ihre ungläubigen Gastgeber für «lebensunwertes Leben» zu halten.
Die Grenzziehung zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit kann schwierig sein. Das Zeigen des Hitlergrusses ist zum Beispiel keine zulässige Meinungsäusserung. Das stellte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2006 klar, nachdem ein betrunkener Türke in Nürnberg gegenüber zwei deutschen Polizeibeamten eine strammstehende Haltung eingenommen, zackig die Worte «jawohl, zu Befehl, Heil Hitler» gesprochen und dabei den rechten Arm zum Hitlergruss gehoben hatte.
Wieder nüchtern, hielt er seine Verurteilung nach Paragraf 86a des Strafgesetzbuches für einen unberechtigten Eingriff in seine Meinungsfreiheit und zog bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dort bestätigte man ihm, dass es sich in der Tat um einen Eingriff in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit handele, dieser jedoch gerechtfertigt sei. Die Beschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
Während die Volksverhetzung eine Straftat gegen die öffentliche Ordnung ist, steht das Verwenden und Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in der Strafrechtssystematik zwischen Hochverrat und Landesverrat unter «Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates».
Der gelbe «Ungeimpft»-Stern: meist nicht strafbar
Da der demokratische Rechtsstaat aber gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass in ihm offen gesprochen und diskutiert werden kann, ergeben sich schwierige Grenzgänge bei Sprech- und Bilderverboten. Einige Einzelbeispiele: Das Tragen eines gelben Sterns mit der Aufschrift «Ungeimpft», wie es bei Protesten gegen Corona-Massnahmen geschah, wurde von Gerichten unterschiedlich behandelt. Es gab Verurteilungen in mehreren Bundesländern, Freisprüche in anderen.
Parolen wie «Blut und Ehre», «mit deutschem Gruss» und auch «Deutschland erwache» sind verbotene «Kennzeichen», ebenso Symbole wie SS-Runen, Keltenkreuz, Wolfsangel. Kennzeichen im Wortsinne, etwa Nummernschilder an Autos, können ebenfalls verbotene «Kennzeichen» sein, zum Beispiel HH 88, da dies für «Heil Hitler» stünde. Viele Bundesländer sind dazu übergegangen, einschlägige Buchstaben- und Zeichenkombinationen gar nicht mehr herauszugeben.
Schwieriger wird es, wenn ein Abzeichen einem bekannten Vorbild «zum Verwechseln ähnlich» sieht, etwa Armdreiecke, welche den Abzeichen des Bundes Deutscher Mädel oder der Hitlerjugend ähneln. Sie sind vom Verbot erfasst. Das führt indes nicht zur Strafbarkeit jedes vorstellbaren Dreiecks auf einer Jacke. Im Zweifel muss dann wieder von Staatsanwaltschaft und Gericht interpretiert werden, was damit gesagt sein soll und ob es sich noch um Grundrechtsausübung handelt oder die Grenze zur Strafbarkeit schon überschritten ist.
Verbotene Symbole zu tabuisieren, bedeutet auch, dass das Bewusstsein dafür schwindet. Sie zu verbreiten, führt zur Gewöhnung und schwächt die Wachsamkeit gegenüber der ihnen innewohnenden totalitären Bedrohung. Dem tragen zwei Absätze im Gesetz Rechnung, wonach die Propagandamittel und Kennzeichen zur staatsbürgerlichen Aufklärung, zur Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, in Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie zum Zweck der Berichterstattung verwendet und verbreitet werden dürfen. Wann hierbei die Grenze zur Strafbarkeit überschritten wird, dafür gibt es keine abstrakte Regel. Die Grenzziehung ist vielmehr Teil des Diskussionsprozesses.
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