„Voice of Europe“: Propaganda gegen Deutschland und für Russland

„voice of europe“: propaganda gegen deutschland und für russland

Fokus auf Deutschland: Aufmachung des vorerst letzten auf „Voice of Europe“ erschienenen Beitrags

Die Farbe Dunkelblau und die zwölf goldenen Sterne der Europaflagge dominierten den Auftritt. Optisch konnte man bei der Internetseite „Voice of Europe“ fast meinen, auf einem Portal der Europäischen Union gelandet zu sein, oder bei den Europaenthusiasten von „Pulse of Europe“. Doch die Inhalte gingen in die gegenteilige Richtung. Kriminelle Migranten, sexuelle Minderheiten, wütende Bauern und der Einfluss des „Erzglobalisten“ George Soros: Es wurde alarmierend darüber geschrieben, was in Europa angeblich schiefläuft. Und warum die westliche Unterstützung für die angegriffene Ukraine und die Sanktionen gegen Russland falsch seien.

Am späten Mittwochabend war die Seite nicht mehr zugänglich. Stunden zuvor kam es in Prag zum Paukenschlag. Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala trat vor die Presse und erklärte, dass ein prorussisches Netzwerk „versucht hat, auf unserem Territorium eine Einflussnahme zu entwickeln, die ernsthafte Auswirkungen auf die Sicherheit der Tschechischen Republik und der Europäischen Union haben würde“.

Folgen hatte die Aufdeckung durch den tschechischen Inlandsgeheimdienst BIS zunächst darin, dass am Mittwoch die Betreiberfirma von „Voice of Europe“ und die zwei Personen, die hinter ihr stehen sollen, auf die nationale Sanktionsliste gesetzt wurden: Es handelt sich zum einen um den ukrainischen Staatsbürger Artem Mar­tschewskyj, der von Prag aus die Propagandaarbeit koordiniert haben soll. Er tat das offenbar im Dienste der zweiten sanktionierten Person. Dabei handelt es sich um Viktor Medwedschuk, einen in der Ukraine langjährig für Russland und seinen Präsidenten Wladimir Putin agierenden Geschäftsmann, der im September 2022 in einem Gefangenenaustausch nach Russland gelangt ist.

„voice of europe“: propaganda gegen deutschland und für russland

Viktor Medwedtschuk (links) und Wladimir Putin am 18. Juli 2019 in St. Petersburg

Mit welchen Inhalten versuchte das Portal, die öffentliche Meinung in den EU-Mitgliedstaaten zu beeinflussen? Auffallend war in den zuletzt veröffentlichten Beiträgen (die F.A.Z. verfügt über Screenshots) die Fixierung auf Deutschland. „100 Prozent der schweren sexuellen Übergriffe und 57,4 Prozent aller Straftaten in Frankfurt werden von Ausländern begangen“, lautete die Überschrift des vorerst letzten, am Mittwoch veröffentlichten Beitrag.

AfD-Politiker streiten Annahme von Geld ab

Zwar wurde im Beitrag selbst angedeutet, dass das auch mit dem Flughafen als Einreiseort für Migranten zu tun haben könnte. Doch zusammen mit anderen kürzlich veröffentlichen Beiträgen etwa über die schlechte Konjunkturprognose und die Veröffentlichung der Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts ergibt sich der Eindruck: Etablierte Politiker und Parteien in Deutschland wurden hier besonders mit negativer Aufmerksamkeit bedacht. Umgekehrt wurden insbesondere AfD-Vertreter als Kritiker zitiert, so Parteichefin Alice Weidel in dem Beitrag über die Kriminalität und der gesundheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Martin Sichert, in jenem über die Corona-Protokolle.

Den größten Aufwand betrieb das Portal jedoch mit zahlreichen, auch auf Youtube veröffentlichten Interviews mit Politikern aus ganz Europa. Seitdem das Portal durch Martschewskyj zur Jahresmitte 2023 neu belebt wurde, wurden aus Deutschland drei AfD-Politiker befragt: Je zwei Mal der zum Spitzenkandidaten der Partei für die Europawahl gewählte Europaabgeordnete Maximilian Krah und der bayerische Bundestagsabgeordnete Petr Bystron – und einmal der Europaabgeordnete Joachim Kuhs. In dem am 10. Februar veröffentlichten Interview behauptete Krah über die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines, es sei „wichtig, unmissverständlich anzuerkennen, dass diese Aktion von den Amerikanern geleitet wurde“. Auch äußerte er, dass hinter Russlands Vorgehen gegen die Ukraine „Rationalität“ stecke und es wichtig sei, „beide Seiten“ anzuhören.

Der brisanteste Vorwurf gegen mehrere Politiker liegt jedoch nicht in dem in den Interviews Gesagten. Sondern in der Frage, ob über das Medwedschuk-Mar­tschewskyj-Netzwerk auch Geld für den Europawahlkampf geflossen ist. Genau das soll laut der tschechischen Zeitung „Deník N“ geschehen sein. Nach ihren Informationen sollen Politiker aus Deutschland, Frankreich, Polen, Belgien, den Niederlanden und Ungarn mit Zuwendungen bedacht worden sein. Sie nennt ausdrücklich die AfD. Die Zeitschrift „Spiegel“ schreibt von persönlichen Bargeldübergaben in Prag und der Überweisung in Kryptowährungen. Es soll sich um insgesamt mehrere Hunderttausend Euro handeln.

Europaspitzenkandidat Krah lässt der F.A.Z. mitteilen, dass „zu keinem Zeitpunkt“ Geld an ihn geflossen sei. Zugleich gibt er an, dass er im vergangenen September in Prag den „Voice of Europe“-Geschäftsführer Martschewskyj „kennengelernt“ habe. Dieser habe ihn zurück ins Hotel gefahren, das er, Krah, selbst bezahlt habe. Kuhs erklärt auf Anfrage ebenso, er habe weder Geld noch anderweitige Leistungen erhalten. Zum Zeitpunkt des Interviews sei ihm nicht bewusst gewesen, dass das Gespräch auf „Voice of Europe“ veröffentlicht werden soll. Befragt habe ihn ein Redakteur der Zeitschrift „The European Conservative“ mit dem Vornamen „Robert“. Diese Angabe deckt sich mit dem Namen des Fragestellers eines dort veröffentlichten Interviews mit Kuhs.

Eine letzte Veranstaltung in Bratislava

Rechtspopulistische und rechtsextreme Politiker traten in der Mehrheit der auf „Voice of Europe“ veröffentlichten Interviews auf. Zu ihnen gehörten etwa der belgische Vlaams-Belang-Politiker Filip Dewinter, der rechts von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán politisierende Chef der rechtsextremen Partei Mi Hazánk, László Toroczkai, oder der frühere tschechische Präsident Václav Klaus. Doch es kamen im Falle von politischen Überschneidungen auch Vertreter anderer Parteienfamilien zu Wort. So geschehen auf einer jüngsten Veranstaltung, bei der „Voice of Europe“ laut dem tschechischen Portal „Hlídací pes“ ausdrücklich als Mitveranstalter auftrat.

Sie fand Mitte März in der slowakischen Hauptstadt Bratislava statt. Eines der bisher letzten Interviews wurde dort mit dem christdemokratischen früheren tschechischen Außenminister Cyril Svoboda geführt, der seine „zurückhaltende“ Position hinsichtlich militärischer Unterstützung für die Ukraine ausdrückte. Befragt wurde auch Erik Kaliňák, ein Europakandidat der unter Ministerpräsident Robert Fico in der Slowakei regierenden linksnationalistischen Partei Smer. Kaliňák kündigte an, dass ihre Abgeordneten sich im nächsten Europaparlament mit anderen „nationalen Souveränisten“ zusammenschließen – und nicht zu den Europäischen Sozialdemokraten zurückkehren. Diese hatten die Mitgliedschaft zweier slowakischer Parteien nach der Bildung einer Koalition mit der äußersten Rechten ausgesetzt.

Wie am Donnerstag bekannt wurde, ging nicht nur die tschechische Regierung gegen das Netzwerk vor. Der polnische Inlandsgeheimdienst ABW teilte mit, dass in Warschau und in der schlesischen Stadt Tychy am Mittwoch 48.500 Euro und 36.000 Dollar sichergestellt worden seien. Das Vorgehen sei mit anderen europäischen Geheimdiensten und insbesondere mit der Tschechischen Republik koordiniert gewesen. Laut der Zeitung „Rzeczpospolita“ wurde gegen einen polnischen Staatsbürger „im Umfeld polnischer und europäischer Politiker“ Anklage wegen Spionage erhoben. Um eine kremlfreundliche Politik zu realisieren, sei ein Portal mit internationaler Reichweite ins Leben gerufen worden, auf dem „Artikel, Erklärungen, Kommentare oder Interviews mit voreingenommenen, pro-russischen Untertönen zur aktuellen internationalen Situation, einschließlich des von Russland gegen die Ukraine geführten Krieges“ veröffentlicht worden seien.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World