Blick auf ein Mehrfamilienhaus in der Innenstadt.
Verbände und Gewerkschaften warnen vor einem Mangel an altersgerechten Wohnungen in Hessen. «Wir laufen sehenden Auges in eine ‘graue Wohnungsnot’», sagt Eva-Maria Winckelmann, Geschäftsführerin des hessischen Mieterbunds in Wiesbaden. Es würden viel zu wenig bedarfsgerechte Senioren-Wohnungen gebaut. «Das ist ein großes Problem, das sich mit dem Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge der Sechzigerjahre weiter verschärfen wird.»
Untersuchungen stützen diese Befürchtung. So hat das Pestel-Institut mit Sitz in Hannover 2023 in einer Studie im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel errechnet, dass in Hessen in den nächsten 20 Jahren 38.000 mehr Wohnungen für Rentner benötigt werden.
Darauf sei das Land nicht vorbereitet, sagt Winckelmann. «Wir warnen schon lange davor. Die Politik hat den Bedarf über die Jahre allerdings nicht gesehen.» Es sei höchste Zeit zu handeln. Dabei seien Bund und Länder gemeinsam gefragt. «Entscheidend ist, dass jetzt gebaut wird, und dass nicht am Bedarf vorbei gebaut wird.» Wichtig sei, dass dort, wo gebaut werde, die nötige Infrastruktur für ältere Menschen zur Verfügung stehe. Zudem müsse praktisch gebaut werden.
«Von der neuen schwarz-roten Landesregierung erwarten wir, Fördermittel zielgenau auf den Weg zu bringen», betont sie. «Der Koalitionsvertrag lässt uns vorsichtig positiv in die Zukunft schauen. Wir hoffen auf mehr Fördergelder.» CDU und SPD kündigen in dem Papier an, ausreichend bezahlbaren, seniorengerechten und barrierefreien Wohnraum zur Verfügung stellen zu wollen. «Aus diesem Grund wollen wir den altersgerechten und barrierefreien Umbau von Wohnungen weiterhin fördern», heißt es darin.
Den Immobilienbesitzerverband Haus & Grund Hessen überzeugt das nicht. «Wir befürchten, dass es so weitergeht wie in der Vergangenheit», sagt Geschäftsführer Younes Frank Ehrhardt. Er bezeichnet die Formulierungen im Koalitionsvertrag als «eher unverbindliche Floskeln». Der Verband weise schon seit vielen Jahren auf die Problematik der ‘grauen Wohnungsnot’ hin, so Ehrhardt. Betroffen seien sowohl Mieter als auch Eigenheimbesitzer. «Die Hürden, barrierefrei zu bauen oder umzubauen sind massiv», beklagt er. Nötig sei mehr Geld, Regularien müssten gestrichen werden. «Die Fördertöpfe sind mit so wenig Mitteln ausgestattet, dass sie ständig vergriffen sind.» Die Vielzahl an Regularien wirke abschreckend.
Auch der Sozialverband VdK Hessen-Thüringen sieht bei barrierefreiem Wohnraum großen Nachholbedarf. Nach einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln sei die Versorgung mit barrierereduzierten Wohnungen mit Ausnahme von Thüringen in keinem anderen Bundesland so schlecht wie in Hessen, sagt Silke Asmußen von der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit. «Demnach gibt es nur für ein Fünftel der mehr als 220.000 hessischen Haushalte mit mobilitätseingeschränkten Mitgliedern eine barrierereduzierte Wohnung.»
Der VdK fordert ein Umdenken in der hessischen Wohnungsbaupolitik. Die Bauordnung müsse so angepasst werden, dass Neubauten grundsätzlich barrierefrei errichtet werden. Die Verpflichtung zum Bau rollstuhlgerechter Wohnungen müsse wieder eingeführt werden. «An die künftige Landesregierung appellieren wir außerdem, die im Doppelhaushalt 2023/24 für den barrierefreien Umbau vorgesehenen Fördermittel in Höhe von drei Millionen Euro deutlich zu erhöhen und in der Öffentlichkeit dafür zu werben, diese Mittel zu beantragen», erläutert Asmußen.
«Hessen leidet bereits jetzt unter einer erheblichen ‘grauen Wohnungsnot’», sagt auch Michael Rudolph, Vorsitzender des DGB Hessen-Thüringen. «Auch die Förderung der Barrierefreiheit muss deutlich ausgeweitet werden.» Außerdem müsse eine gute medizinische und pflegerische Versorgung vor Ort sichergestellt werden. Nur dadurch könne gewährleistet werden, dass Senioren dauerhaft selbstständig in ihren Wohnungen und Quartieren leben können.
Der DGB begrüße, dass die neue schwarz-rote Landesregierung die Investitionen in den geförderten Wohnungsbau erhöhen und vermehrt altersgerechte, barrierefreie und generationenübergreifende Wohnangebote schaffen wolle. «Allerdings bleibt der Koalitionsvertrag an dieser Stelle zu vage», sagt Rudolph.
Zu den bestehenden Fördermaßnahmen für den altersgerechten Umbau von Wohnungen zählt laut hessischem Wirtschaftsministerium unter anderem ein Zuschlag von 150 Euro je Quadratmeter, den das Land für den Neubau einer rollstuhlgerechten Sozialwohnung gewährt. Für den Einbau von Aufzügen sei ein Zusatzdarlehen möglich.
Auch Maßnahmen zur Verbesserung der baulichen Eignung von Mietwohnungen für ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen würden mittels Darlehen und Zuschüssen gefördert. «Sofern entsprechende Maßnahmen außerhalb der Wohnung im näheren Wohnumfeld umgesetzt werden, wird sogar von Mietpreis- und Belegungsbindungen abgesehen.» Zudem gebe es Zuschüsse für den behindertengerechten Umbau von selbst genutztem Wohneigentum in Höhe von bis zu 50 Prozent, maximal jedoch 15.000 Euro pro Wohnung. Hierfür stelle das Land pro Jahr drei Millionen Euro zur Verfügung.
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