„Das ist der Weg, den die DDR gegangen ist“ – Habeck spürt in Sachsen den Gegenwind

Robert Habeck besucht den Osten der Republik. Auf offener Bühne schlägt er Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer vor, gemeinsame Sache mit der Opposition gegen den eigenen Regierungspartner zu machen – und kassiert eine Abfuhr.

„das ist der weg, den die ddr gegangen ist“ – habeck spürt in sachsen den gegenwind

„Ich schlag‘ ein“: Habecks „Deal,“ den er Kretschmer anbietet, kommt am Ende doch nicht zustande. picture alliance/dpa/Jan Woitas

Es klingt zunächst, als würde der Wirtschaftsminister dahin gehen, wo es richtig weh tut. Ausgerechnet durch zwei ostdeutsche Bundesländer, in denen in diesem Jahr noch gewählt wird, tourt Robert Habeck in dieser Woche. Laut den Umfragen sind in Thüringen und Sachsen weder Habeck noch seine Grünen derzeit allzu beliebt.

Und doch, so scheint es zumindest vor Beginn der Reise, will Habeck der Konfrontation nicht aus dem Weg gehen: Neben einem Bürgerdialog am Abend besucht der Minister ausgerechnet eine Handwerksmesse in Leipzig, wo sich doch viele Handwerker den lautstarken Bauernprotesten der vergangenen Wochen angeschlossen hatten.

Und tatsächlich wird Habeck anfangs ausgebuht, als er in Halle 5 der Leipziger Messe ankommt. Doch es ist ein kurzer Protest von einigen wenigen Besuchern. Selbst Habecks Leute hatten offenbar mit mehr Gegenwind gerechnet, schließlich läuft auf dem Weg zur Messe die Nachricht über den Ticker, dass der politische Aschermittwoch der Grünen im baden-württembergischen Biberach abgesagt werden musste, weil die Polizei angesichts von Protesten die Sicherheit der Veranstaltung nicht garantieren konnte.

Die Organisatoren der Reise in Habecks Ministerium haben im Vorfeld möglichst wenig dem Zufall überlassen. Beim Rundgang über die Messe verschwindet der Minister nach den ersten zaghaften Buhrufen von Besuchern, die gerade bei Kaffee aus Pappbechern und Gebäck sitzen, schnell hinter Plexiglas in einer provisorischen Backstube.

Hier ist Habeck in seinem Element: Sakko ausziehen, Ärmel hochkrempeln, erst mal einen Hefezopf flechten. Auf der anderen Seite der Plexiglasscheiben setzen sich die Selfie-Jäger gegen die Buhrufer durch.

Dass Habeck auf der Handwerksmesse ohne größeren Protest davonkommt, liegt auch daran, dass er nicht so auftritt, als wäre er der aktuelle Wirtschaftsminister. Auf der Bühne sind seine Aussagen zum Zustand der deutschen Wirtschaft teils kaum von denen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zu unterscheiden – und der gehört der oppositionellen CDU an.

„das ist der weg, den die ddr gegangen ist“ – habeck spürt in sachsen den gegenwind

Habeck auf der Handwerkermesse: „So geht’s nicht weiter.“ dpa/Jan Woitas

Das Wirtschaftswachstum in Deutschland sei „wirklich dramatisch schlecht“, sagt Habeck. Die Bundesregierung werde deshalb die Prognose für 2024 auf nur noch 0,2 Prozent Wachstum absenken. „So können wir nicht weitermachen“, konstatiert der Minister, als wäre es nicht seine Aufgabe, dagegen zu arbeiten. Schuld sei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt, das dafür sorge, dass die Regierung weniger ausgeben könne – das koste Wachstum.

Der „perfekte Sturm“ sei über dem Land aufgezogen. „Jetzt, wo der Wind über das Land weht, sehen wir, was die letzten Jahre alles liegengeblieben ist“, sagt Habeck. Die Liste ist lang: erdrückende Bürokratie, Fachkräftemangel, teure Energie. „So geht’s nicht weiter, da bin ich völlig beim Ministerpräsidenten.“

Doch ihm selbst, das signalisiert Habeck immer wieder, seien die Hände in seiner Koalition gebunden. Für den Wirtschaftsminister gibt es für all das vor allem eine Lösung: die Aufweichung der Schuldenbremse. Doch das ist mit der FDP in der Ampelregierung nicht zu machen. Für Habeck ist klar, dass sich die Liberalen bewegen müssen: „Alle müssen raus aus ihren gemütlichen Ecken, die Zeit für Gemütlichkeit ist wirklich vorbei“, sagt er.

In der Diagnose sind sich Kretschmer und Habeck tatsächlich einig. „Dieses Wirtschaftswachstum ist eine echte Gefahr für unser Land und den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, warnt Sachsens Ministerpräsident. Kretschmer sieht aber eine andere Ursache für die Probleme des Landes.

Habeck setze auf Mikromanagement, wolle die Wirtschaft kleinteilig steuern, statt ihr durch Bürokratieabbau und andere Rahmenbedingungen die nötige Freiheit zu verschaffen, um wieder wachsen zu können. „Dieses Land hat sich leider für den falschen Weg entschieden“, sagt Kretschmer. „Und das spürt man an jeder Ecke.“ Habeck solle endlich auf die Empfehlungen seiner ökonomischen Sachverständigen hören.

Darauf springt der Wirtschaftsminister sofort an: Die absolute Mehrheit der Ökonomen sei für eine Änderung der strengen Schuldenregeln. „Ich schlag‘ ein“, sagt Habeck, „Deal!“ Zusammen mit Kretschmers CDU könne man das ja gleich im Bundesrat beschließen – das werde dann für entsprechend großen politischen Druck auf den liberalen Koalitionspartner sorgen.

In anderen Zeiten hätte Habeck mit solchen schwarz-grünen Avancen wohl eine veritable Koalitionskrise ausgelöst. Schließlich schlägt er Kretschmer vor, in einer so zentralen Frage gemeinsame Sache mit der Opposition gegen den eigenen Regierungspartner zu machen. Doch daraus wird ohnehin nichts. Kretschmer erteilt Habeck umgehend eine Abfuhr, die Idee sei falsch, mit einem Sondervermögen, also neuen Schulden für mehr Wachstum zu sorgen. „Das ist der Weg, den die DDR gegangen ist“, sagt der Ministerpräsident.

Es ist die heftigste verbale Attacke auf Habeck an diesem Tag in Sachsen. Am Abend warten nur zwei Dutzend Demonstranten vor dem Gebäude der „Leipziger Volkszeitung“ auf den Vizekanzler, ab und zu sind sie während des „Bürgerdialogs“ im Dachgeschoss leise zu hören. Im Saal kommen kaum kritische Fragen auf, die Zeitung hat die Wortmeldungen der Leser vorher per Mail eingesammelt und ausgewählt.

Nur eine Handvoll Bürger kommt persönlich zu Wort. Eine Kartoffelbäuerin klagt über die hohen Energiepreise, eine grüne Kommunalpolitikerin fragt, wie sie ihre Parteifreunde noch davon überzeugen soll, für Gemeinderäte zu kandidieren, wenn sie dafür immer häufiger angefeindet werden.

Auch diese Fragen sind vorher zumindest mit den Veranstaltern abgesprochen, das wird deutlich, als ein Heizungsbauer zur Nachfrage ansetzt: „Noch was anderes“, sagt er, „das habe ich vorher nicht gesagt, aber es ist nichts Schlimmes.“ Er will wissen, warum nicht häufiger bei der Entstehung von Gesetzen erst mal mit den betroffenen Fachleuten gesprochen werde. Eine berechtigte, aber harmlose Frage. Man binde, antwortet der Minister, immer Experten ein.

Am Ende gibt es freundlichen Applaus und Selfie-Wünsche. Es hätte schlimmer kommen können.

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