US-Außenminister Antony Blinken in China

Gerade war Kanzler Scholz in China und umschmeichelte die KP-Führung. Nun das Kontrastprogramm: US-Außenminister Blinken spricht in der Volksrepublik Klartext. Vor allem beim Ukrainekrieg wählt er einen ganz anderen Ton.

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Zwei Reisen, zwei Tonfälle. Zunächst Olaf Scholz. Als der Kanzler Mitte April nach China flog, wählte er höfliche Worte gegenüber Machthaber Xi Jinping. »Chinas Wort hat Gewicht in Russland«, erklärte der Sozialdemokrat. Er habe Xi daher »gebeten, auf Russland einzuwirken«, damit Wladimir Putin seinen Ukrainekrieg beende.

Man konnte meinen, die Volksrepublik sei ein neutraler Staat, der lediglich dazu überredet werden muss, sich für den Krieg im fernen Europa zu interessieren.

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US-Außenminister Antony Blinken bereist das Land diese Woche mit einer deutlicheren Botschaft: China treibe aktiv Putins Krieg voran, denn es sei der wichtigste Helfer von Russlands Rüstungsindustrie. »Wenn China behauptet, gute Beziehungen zu Europa und anderen Ländern zu wollen, darf es nicht gleichzeitig die größte Bedrohung für die europäische Sicherheit seit dem Ende des Kalten Krieges schüren«, sagte Blinken vor seinem dreitägigen Besuch, der am Mittwoch begonnen hat. China liefere in großem Stil Dual-Use-Güter an Russland, also Produkte mit mehreren Verwendungszwecken, die aber häufig militärisch eingesetzt würden.

Es ist eine öffentliche Konfrontation, die Xi auf Distanz zu seinem Partner Wladimir Putin bringen soll. Die beiden Autokraten haben einander kurz vor Russlands Überfall 2022 »grenzenlose Freundschaft« versprochen.

Lässt sich dieser Bund aufbrechen?

Sanktionen gegen chinesische Banken?

»China beschleunigt den Wiederaufbau der russischen Verteidigungsindustrie auf einem Level, wie wir es seit dem Kollaps der Sowjetunion nicht gesehen haben«, sagt eine ranghohe US-Regierungsvertreterin, die nicht namentlich zitiert werden darf, dem SPIEGEL. »Unsere Sanktionen und Exportkontrollen zeigten erhebliche Wirkung. Wir beobachteten einen Einbruch – und dann seltsamerweise wieder einen Anstieg. Das ist auf Chinas Rolle zurückzuführen.«

Die Volksrepublik sei der große Lückenfüller in Russlands Feldzug. Sie liefere vor allem Werkzeugmaschinen, Mikroelektronik, Optikgüter, Technologie für Drohnen und Marschflugkörper sowie Cellulosenitrat, eine Chemikalie zur Herstellung von Raketentreibstoff. »2023 kamen 90 Prozent der russischen Mikroelektronikimporte aus China. Russland verwendet sie zur Herstellung von Raketen, Panzern und Flugzeugen.« Allein im letzten Quartal 2023 seien mehr als 70 Prozent der russischen Werkzeugmaschinenimporte aus der Volksrepublik gekommen. Chinesische und russische Unternehmen würden zudem gemeinsam an der Produktion innerhalb Russlands arbeiten.

»Peking hofft, dass alles okay ist, solange es kurz vor der Lieferung tödlicher Waffen Halt macht«, sagt die US-Offizielle. »Aber das ist es nicht.«

Öffentlich weist China die Vorwürfe scharf zurück. Man arbeite gewissenhaft am Frieden für die Ukraine, heißt es regelmäßig aus Peking. Ein Sprecher des Außenministeriums sprach am Dienstag von »unbegründeten Anschuldigungen« und Verleumdungen, was nicht zur Lösung der »Ukrainefrage« beitrage.

Hinter verschlossenen Türen ist Peking offenbar minimal dialogbereiter – jedoch inkonsequent. »In einigen Fällen, in denen wir die Chinesen konfrontierten, ergriffen sie Kleinstmaßnahmen, zum Beispiel stoppten sie einzelne Transaktionen«, sagt die amerikanische Regierungsvertreterin. »Aber unser Punkt ist, dass das hier keine Ostereiersuche ist.« Man könne nicht jedes Mal Firma für Firma oder Produkt für Produkt abarbeiten, als handle es sich nur um Einzelfälle.

Laut dem »Wall Street Journal« entwerfen die USA nun sogar Sanktionen gegen chinesische Banken, die die Geldhäuser vom globalen Finanzsystem abschneiden würden. Ob Washington diesen Schritt wirklich gehen wird, ist ungewiss. Doch das bloße Szenario gibt Außenminister Blinken einen Verhandlungshebel.

Keine Anzeichen für Zwist

Zwei Tonfälle also: Blinken harsch, Scholz schmeichelnd. Dahinter stecken unterschiedliche Interpretationen von Chinas strategischem Denken.

Nummer eins: Die Volksrepublik ist davon überzeugt, dass Putins Krieg samt lang anhaltender Kämpfe für sie strategisch nützlich ist, weil er den »Westen« materiell und moralisch erschöpft. Demnach sind harte verbale Konfrontation und Strafmaßnahmen die besten Mittel. Das ist die amerikanische Lesart.

Nummer zwei: Mit ein bisschen politischem Fingerspitzengefühl und wirtschaftlicher Gegenleistung könnte sich Peking am Ende doch widerwillig dazu bewegen lassen, Russland zur Vernunft zu bringen. So lautet die Kalkulation des Kanzlers. Er achtet also auf moderate Rhetorik gegenüber China und setzt als Entgegenkommen auf robuste Businessbeziehungen.

Welche Methode bringt Erfolg? Der Chinaexperte Alexander Gabuev, der auf das Verhältnis des Landes zu Russland spezialisiert ist, mahnte kürzlich in der Zeitschrift »Foreign Affairs«, westliche Politiker müssten sich »von der Vorstellung verabschieden, dass sie einen Keil zwischen Peking und Moskau treiben können«. Seit Russlands Überfall auf die Ukraine, schreibt der Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin, sei die gesamte Außenpolitik des Kreml an drei Fragen ausgerichtet:

    Hilft die Beziehung zu dem Land Russland direkt auf dem Schlachtfeld in der Ukraine?

    Kann das Land die russische Wirtschaft stützen und westliche Sanktionen umgehen?

    Kann das Land Russland dabei helfen, den Westen zu schwächen und die USA und ihre Verbündeten für die Unterstützung Kiews zu bestrafen?

»Die Beziehungen Russlands zu China erfüllen alle drei Kriterien mit Nachdruck«, schreibt Gabuev. Vor allem aber sei umgekehrt Peking zufrieden damit, in Russland einen antiwestlichen Juniorpartner zu haben, der auch noch von China abhängig ist. Ein Zerwürfnis zwischen Peking und Moskau, wie es im Kalten Krieg lange herrschte – auch dank gezielter Pro-China-Diplomatie des Westens –, sei heute deshalb unrealistisch. Gabuev verweist auf eine Bemerkung Xis, die dieser bei einem Staatsbesuch in Russland im März 2023 lächelnd gegenüber Putin machte: »Derzeit sind Veränderungen im Gange, wie wir sie seit 100 Jahren nicht erlebt haben. Lassen Sie uns diese Veränderungen gemeinsam vorantreiben.«

Kurz zuvor, im Februar 2023, hatte Antony Blinken China öffentlich davor gewarnt, Russland Waffen zu liefern. Laut US-Angaben erwog Peking das damals. Nach Blinkens Intervention sah China, soweit bekannt ist, davon ab.

Kann Peking trotz – oder wegen – seiner Parteilichkeit zum Frieden beitragen? Kanzler Scholz hatte bei seinem Chinabesuch darauf gehofft, Xi Jinping zur Zusage zu einer geplanten Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz bewegen zu können. Xi verzichtete, offerierte Allgemeinplätze.

Auch die Vereinigten Staaten würden Chinas Friedensvorstöße unterstützen, sagt die US-Regierungsvertreterin dem SPIEGEL. Aber Pekings Worte seien bislang nicht mit seinen Handlungen vereinbar. Warum Xi keine Zusage für die Konferenz in der Schweiz abgegeben habe? »Die Chinesen wollen die Russen nicht anpissen.«

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