„Der Krimi hat endlich ein Ende“ – schwere Niederlage für Ursula von der Leyen

Das europäische Lieferkettengesetz hat erneut keine Mehrheit gefunden. Die Richtlinie scheitert auch am Widerstand der FDP. Eines der wichtigsten Projekte der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen steht vor dem Aus. Die Wirtschaft zeigte sich erleichtert – fordert aber mehr.

„der krimi hat endlich ein ende“ – schwere niederlage für ursula von der leyen

Das scheitern des EU-Lieferkettengesetz ist für Kommissionschefin von der Leyen eine schwere Niederlage AFP/FREDERICK FLORIN

Mehr als drei Jahre lang haben Minister, Abgeordnete und Diplomaten in Brüssel über die europäische Lieferkettenrichtlinie verhandelt, oft bis spät in die Nacht. Am 28. Februar ist das Gesetz nun gescheitert: Bei einer Abstimmung unter den 27 Staaten der EU fand sich keine Mehrheit.

Italien votierte dagegen, Deutschland enthielt sich, was aufgrund der Regeln wie ein Nein wirkte. Eines der wichtigsten Projekte der Kommissionschefin Ursula von der Leyen steht damit vor dem Aus.

Europäische Firmen, so lautete die Idee der Lieferkettenrichtlinie, müssen kontrollieren, ob ihre Geschäftspartner in anderen Teilen der Erde Menschenrechte einhalten und die Umwelt schützen. Und zwar über die gesamte Wertschöpfung hinweg, vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt.

Die Unternehmen sollten sicherstellen, dass es bei ihren Zulieferern keine Kinderarbeit und Ausbeutung gibt, dass keine Flüsse verschmutzt und keine Wälder abgeholzt werden. Eine kaum zu bewältigende Aufgabe, meinten viele Manager.

In der Wirtschaft ist die Erleichterung daher groß. „Der Krimi hat endlich ein Ende“, sagte Stefan Wolf, Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. „Nach mehrwöchigem Hin und Her hat der verkorkste Kompromisstext zur EU-Lieferkettenrichtlinie erwartbar und richtigerweise keine Mehrheit bei den Mitgliedstaaten gefunden.“ Damit sei der Entwurf vom Tisch.

„Die Verhandler sollten das zum Anlass nehmen, den bisherigen Ansatz grundlegend zu überdenken“, meint Wolf. „Mit drei Kommaänderungen macht man aus dem Schreckgespenst keine gute Regulierung.“

EU-Lieferkettengesetz scheitert auch am FDP-Widerstand

Andere sehen es ähnlich. „Der deutsche Mittelstand ertrinkt auch ohne zusätzliche Belastungen aus Brüssel in Berichtspflichten und einer Flut von Fragebögen“, sagte der Präsident des Bundesverbandes für Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen, Dirk Jandura. Vertreter der Wirtschaft wie Wolf und Jandura hatten immer wieder vor einer Überforderung der Unternehmen gewarnt. Nach dem EU-Lieferkettengesetz hätte etwa ein deutscher Maschinenbauer prüfen müssen, ob die Schrauben, die er verwendet, vielleicht Kupfer aus einem afrikanischen Bergwerk enthalten, deren Betreiber Umweltregeln missachtet.

Zur deutschen Enthaltung kam es jetzt, weil die FDP die Richtlinie nicht länger mittragen wollte. Aus ihrer Sicht ist das Ergebnis der Abstimmung also ein Triumph. „Das EU-Lieferkettengesetz ist nicht praxistauglich“, sagte die liberale Europaabgeordnete Svenja Hahn. Sie kritisierte, der Entwurf, der zuletzt vorgelegen habe, helfe nicht wirklich beim Schutz der Umwelt und der Achtung von Menschenrechten, sondern schaffe bloß neue Bürokratie.

Sozialdemokraten und Grüne hingegen waren enttäuscht. „Das Scheitern des EU-Lieferkettengesetzes markiert einen schwarzen Tag für Menschenrechte weltweit“, sagte Tiemo Wölken, Europaabgeordneter der SPD. „Trotz intensivster Bemühungen war die FDP nicht willens, auf Kompromissangebote einzugehen oder überhaupt ernsthaft zu verhandeln.“ Wölken wirft der Partei „billigen Populismus“ vor.

Ende des vergangenen Jahres hatten sich Unterhändler der Kommission, des Europaparlaments und der EU-Staaten auf die Richtlinie geeinigt. Auch Deutschland stimmte zu, die Sache schien erledigt. Die 27 nationalen Regierungen mussten das Ergebnis dieses sogenannten Trilogs zwar noch bestätigen, doch das galt als Formalie.

Im Januar dann schwenkte die FDP um. Kritiker warfen der Partei vor, sie blockiere einen längst beschlossenen Kompromiss, agiere erratisch, verspiele so Deutschlands Glaubwürdigkeit in Europa. Zur Wahrheit gehört aber, dass die Liberalen in Brüssel hinter den Kulissen mehrfach Bedenken angemeldet hatten, die nicht berücksichtigt wurden.

EU-Richtlinie ging über deutsches Gesetz hinaus

Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz, die EU-Richtlinie wäre aber darüber hinausgegangen. So plante Brüssel zum Beispiel, dass Unternehmen für Pflichtverletzungen zivilrechtlich haften, was im deutschen Gesetz ausgeschlossen ist.

Zudem hätte die europäische Regelung deutlich mehr Firmen erfasst. Die Zukunft des Vorhabens ist nun ungewiss. Die belgische Ratspräsidentschaft kündigte an, weiter nach Lösungen zu suchen, doch das gilt als hoffnungslos.

Das Lieferkettengesetz der EU dürfte – wenigstens in seiner aktuellen Form – also am Ende sein. Für die Kommissionschefin von der Leyen eine schwere Niederlage.

Die Richtlinie war ein Eckpfeiler ihrer Klimapolitik. Doch zuletzt gab es selbst aus ihrer eigenen Partei, der christdemokratischen EVP, viel Kritik daran. Die Deutsche dürfte so schnell nicht versuchen, das Projekt wiederzubeleben.

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