Und dann begrüßt Kühnert die AfD-Anhänger auf Russisch

Die SPD zieht mit einem klaren Feindbild in den Europa-Wahlkampf: die AfD und ihr „Spitzel-Kandidat“ Maximilian Krah. CDU und FDP werden beim Auftakt am Rande erwähnt. Kanzler Olaf Scholz denkt schon ein Jahr weiter – und deutet an, wie er sein Amt 2025 verteidigen will.

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SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert grüßte AfD-Fans in Hamburg in der „Muttersprache der Auftraggeber“ dpa/Georg Wendt

Es sind nicht zu viele Menschen gekommen an diesem bewölkten April-Nachmittag auf dem Hamburger Fischmarkt. 1000 Leute will die Partei gezählt haben beim großen Europa-Wahlkampf-Auftakt der SPD mit Bundeskanzler, Parteichef, Generalsekretär und Spitzenkandidatin. Erste sozialdemokratische Reihe also. Gemessen daran halten sich selbst die bei solchen Veranstaltungen mittlerweile üblichen Proteste in Grenzen. Ein paar Plakate gegen den Krieg, einige Palästinenser, von denen sich lange Zeit aber auch nur eine einzelne Frau lautstark bemerkbar macht. Der Sicherheitsdienst verhindert, dass einige umstehende Zuhörer ihr wütend an die Gurgel gehen. Ganz ruhig bleiben.

Oben auf der Bühne werden zunächst weder der Krieg im Gaza-Streifen noch der Angriff Russlands auf die Ukraine thematisiert, sondern vor allem: die AfD, von deren Agieren sich die SPD-Führung offenbar Motivationshilfe für die eigene Wählerschaft verspricht. AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah wird von SPD-General Kevin Kühnert jedenfalls gleich zu Beginn der Auftaktkundgebung als „Spitzel-Kandidat“ eingeführt. Krahs Anhänger begrüßt Kühnert mit „Dobry den“ – Guten Tag auf Russisch – „damit auch in der Muttersprache der Auftraggeber noch mal klar wird, dass alle herzlich begrüßt sind an dieser Stelle“. Der beherrschende Ton des sozialdemokratischen Europa-Wahlkampfs ist damit vermutlich gesetzt.

Lars Klingbeil nimmt das Thema in seiner Auftakt-Ansprache auch gleich auf. Die SPD müsse „Europa verteidigen“, ruft der Parteivorsitzende dem mehrheitlich mit sozialdemokratischem Parteibuch ausgestatteten Publikum zu. Die AfD dagegen wolle „die Idee der Europäischen Union zerstören“ und „eure Arbeitsplätze kaputtmachen“. „Die hassen dieses Land“, schimpft Klingbeil und kündigt für die kommenden sechs Wochen „harten Widerstand“ an. „Solche Kräfte gehören raus aus der Europäischen Union, die haben nichts zu suchen da.“

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Komiker Ingo Appelt und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert stimmten die Genossen auf den Anti-AfD-Wahlkampf ein dpa/Georg Wendt

Es ist kein Zufall, dass die SPD wie auch die AfD in Donaueschingen und die FDP auf ihrem Berliner Parteitag gerade an diesem Sonnabend mit dem Wahlkampf-Geholze beginnen. Ab diesem Montag können die Deutschen per Brief über die Zusammensetzung des EU-Parlaments abstimmen. Die SPD steht derzeit bei 15 bis 16 Prozent, zehn Prozent weniger als bei der Bundestagswahl 2021. Ein weiterer Absturz wäre ein denkbar schlechtes Signal für die folgenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, auch für die Bundestagswahl im kommenden Jahr.

Scholz testet für den Bundestagswahlkampf

Grund genug also für den Bundeskanzler, von Beginn an auch im Europa-Wahlkampf mitzumischen. Schon am Vormittag hat er sich in Lüneburg den Fragen von Bürgern gestellt und dabei keine Gelegenheit ausgelassen, die Arbeit seiner Bundesregierung zu loben. Anders als Kühnert und Klingbeil, auch anders als Europa-Spitzenkandidatin Katharina Barley („Die AfD zielt auf die niederen Instinkte“), lässt der Bundeskanzler die AfD sowohl bei der Frage-Antwort-Stunde in Lüneburg als auch beim Wahlkampfauftakt in Hamburg über weite Strecken links liegen.

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Olaf Scholz beim Bürgerdialog in Lüneburg dpa/Markus Scholz

Stattdessen erklärt Olaf Scholz auf dem Fischmarkt noch einmal ausführlich seinen Kurs in der Frage von Krieg und Frieden. Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist für ihn der Beginn eines Krieges, der Europas Sicherheit gefährdet. „Das ist die Zeitenwende und darum unterstützen wir die Ukraine mit unseren Möglichkeiten intensiv“. Mit 28 Milliarden Euro habe Deutschland die Ukraine bisher militärisch unterstützt, „mehr als ziemlich viele andere Länder zusammen“. „Wir machen das meiste“, sagt Scholz, „aber wir machen es klug, abgewogen, zum richtigen Zeitpunkt und mit aller Konsequenz“. Scholz, der Kanzler, der auch in Kriegszeiten Maß und Mitte hält, das Land „besonnen und abgewogen“ durch schwere Zeiten führt – für den Regierungschef ist dieser Europa-Wahlkampf auch ein erster Testlauf für den Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr.

Das gilt auch für die Auseinandersetzung mit der Union, mit Friedrich Merz. Während die größte Oppositionspartei und auch die eigenen Ampel-Partner von Kühnert, Klingbeil, Barley in Hamburg nur am Rand erwähnt werden, setzt sich Scholz auf dem Fischmarkt schon einmal namentlich mit der CDU, deren Parteichef und, ohne ihn namentlich zu nennen, auch mit dem Koalitionspartner FDP auseinander. Scholz sagt, „ausdrücklich“, wie er betont: „Wenn jetzt der Herr Merz und die CDU und so mancher andere auf die Idee kommen, dass man unser Rentensystem so wie wir es aufgebaut haben, in Frage stellen muss, dann ist das etwas, was wir nicht mitmachen.“

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SPD-Spitzenkandidatin Katharina Barey in Hamburg dpa/Georg Wendt

Olaf Scholz, der Rentenkanzler, der Verteidiger des Sozialstaats und des wirtschaftlichen Wohlstands, wie ihn die Wähler kennen – auch das wird in den kommenden eineinhalb Jahren ein wiederkehrendes Motiv sozialdemokratischer Wahlkämpfe sein. Die Zahl der Unternehmensbesuche, der Spatenstiche und Grundsteinlegungen, die der Kanzler besucht, wird sich ebenso steigern wie sein rhetorischer Widerstand gegen die Anhebung der Renten-Altersgrenze. Erst recht gegen die gerade von der FDP beschlossene Abschaffung der Rente mit 63 für diejenigen, die bis dahin 45 Jahre gearbeitet haben. „Das“, sagt der Kanzler im für seine Verhältnisse recht emotionalen Tonfall, „halte ich für nicht vertretbar. Und das wird mit uns auch nicht geändert.“

Am Schluss seiner Fischmarkt-Rede geht dann aber auch Scholz noch einmal, kurz, auf das Thema ein, das Kühnert, Klingbeil und Barley gesetzt haben. Es sei die „wichtigste Grundlage der Demokratie“, so der Bundeskanzler, dass die Bürger bei der Europawahl „diejenigen stärken, die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einstehen, die für eine gute Zukunft miteinander wirken wollen. Und deshalb, finde ich, geht es bei dieser auch Europawahl auch gegen Rechts.“ Es gibt ordentlichen, aber keinen wirklich euphorischen Applaus für den Kanzler. Es wird, das lässt sich auf dem Fischmarkt schon mal ganz gut erkennen, ein verbal ruppiger, aber auch ziemlich zäher Europa-Wahlkampf.

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