Briefe an die Herausgeber vom 24. Januar 2024

briefe an die herausgeber vom 24. januar 2024

Archäologen untersuchen die Asche der beim Hamas-Terrorangriff verbrannten Häuser – 29.Oktober 2023.

Den Blick auf die Leidenden richten

Die Gedanken von Ralf Fücks’ „Lasst uns nicht vergessen, wer die wahren Täter sind“ (F.A.Z. vom 20. Dezember) sind sicher wichtig. In vielen Punkten könnte man auch anders argumentieren. Mir scheint die Frage nach den Schuldigen beziehungsweise Tätern jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht die zentrale zu sein, es sei denn, man wolle die Weiterführung eines Krieges rechtfertigen, der „Ausrottung“ zum Ziel hat. Auf beiden Seiten, in Israel und im Gazastreifen, leiden unzählige Menschen unter entsetzlichen Geschehnissen und unzumutbaren Lebensbedingungen. Ich bin Ärztin und habe gelernt, leidenden Menschen zunächst ohne Ansehen der Person und der äußeren Umstände zu helfen. Was mich jetzt wirklich beschäftigt, ist die möglichst schnelle Beendigung des Kriegsgeschehens, das schon so viele Menschen in den Tod und ins Elend gestürzt hat, und vor allem die unlösbar scheinende Frage, wie ein tragfähiger Frieden in der Region etabliert werden könnte, damit die Menschen auf beiden Seiten unter menschenwürdigen Bedingungen leben können. Solange keine Lösung in Sicht ist, erscheint mir eine den sowieso schon maßlosen Hass fördernde Parteinahme weniger hilfreich als – und das gilt für beide Seiten – Anteilnahme und der Versuch, so gut es geht, informiert zu bleiben und im Bedarfsfall mit Verständnis für beide Seiten vermitteln zu können. Erst wenn die gegenseitigen Verletzungen und Zerstörungen ein Ende gefunden haben, kann und muss man sich an die Arbeit machen zu klären, aus welchen weit zurückliegenden Zusammenhängen solch ein brutaler Krieg entstehen konnte. Dann muss man auch die wahren Täter ermitteln, ihre Taten gewichten und ahnden, ohne sie gegen andere aufzurechnen, und muss dem Gedenken an ihre Opfer Raum geben. Vermutlich können spätere Historiker und Juristen besser beurteilen, wer sich wo im Recht befindet und wer nicht oder jedenfalls weniger als der andere. Ute Trillmich, Berlin

Mit dem Gesamtbetriebsrat verhandeln

Der Eindruck, die Politik könne aus Gründen der Bewahrung der Tarifhoheit gegen die Erpressung durch die Lokführergewerkschaft nichts unternehmen, ist falsch. Zu Recht weist Heike Göbel in ihrem Kommentar („Falscher Bahn-Fatalismus“, F.A.Z. vom 11. Januar) darauf hin, dass ausgerechnet die gewerkschaftsnahe SPD durch wiederholte Eingriffe bei den Mindestlöhnen die Tarifhoheit ausgehebelt hat. Die wiederholte Geiselnahme der Gesellschaft durch die GDL sollte jetzt Anlass sein, einen Vorschlag aus der Schublade zu ziehen, den der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) schon vor 25 Jahren gemacht hat: Wenn sich (zum Beispiel) 75 Prozent der Mitarbeiter eines Betriebes in einer geheimen Abstimmung dafür aussprechen, sollte der Geschäftsführung die Möglichkeit gegeben werden, mit dem Gesamtbetriebsrat – statt mit einer Gewerkschaft – über Tarifabschlüsse zu verhandeln.

Damals wollte der BDI verhindern, dass Pilotabschlüsse im gut verdienenden Metallbereich Südwestdeutschlands für ganz Deutschland Gültigkeit bekommen. Insbesondere im Osten Deutschlands, aber nicht nur da, vernichten „Flächentarife“ auch heute noch Arbeitsplätze überall dort, wo sich Betriebe diese nicht leisten können, während Gutverdienende relativ ungeschoren davonkommen. Übertragen auf die Bahn, würde das bedeuten, dass der Gesamtbetriebsrat, der sich im Unternehmen so auskennt wie keine andere Vertretung des Bahn-Personals, die Interessen aller wahrnehmen könnte und nicht nur die einer verwöhnten Minderheit. Auch innerhalb der Bahn gibt es Berufsgruppen, die ähnlich anspruchsvolle oder gar anspruchsvollere Tätigkeiten ausüben als die der Lokführer. Auch innerhalb der Bahn können sich viele wegen der Sonderkonditionen für einige Kollegen ungerecht behandelt fühlen. Die Regierung müsste dazu nur das Betriebsverfassungsgesetz ändern. Das im Grundgesetz den Arbeitnehmern zugesicherte Recht auf Vertretung wäre schon deshalb nicht tangiert, weil Art. 9 Abs. 3 GG nicht festlegt, wie sie sich vertreten lassen wollen. Für diesen Vorschlag, der von meinem Vorgänger im Amt des BDI-Präsidenten, Tyll Necker, ausgearbeitet wurde, fand ich beim damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Wolfgang Schäuble, großes Interesse. Die FDP hatte ihn sogar in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Nicht nur von den Gewerkschaften wurde dieser Vorschlag unter großem Geschrei damals abgebügelt. Entscheidend erwies sich die Opposition durch die Arbeitgeberverbände (BDA), die mithilfe Norbert Blüms, des „trojanischen Pferdes“ der Gewerkschaften in der Regierung Helmut Kohls, den Verlust ihres gemeinsamen Tarifmonopols verhinderte. Inzwischen haben sich nicht nur die von uns damals vorhergesagten Folgen des in der Welt einmaligen Systems gleichmachender Flächentarife gezeigt (Tarifflucht, Arbeitsplatzverluste im Osten, Anstiege der Arbeitstage durch Streiks), es haben sich auch neue gewerkschaftliche Strukturen gebildet, die ganze Betriebe und Teile unserer Wirtschaft lahmlegen. Als Nächstes ist die Lufthansa dran, weitere Erpressungspotentiale tun sich auch in anderen Sektoren unserer immer mehr vernetzten Wirtschaft auf. Es ist höchste Zeit, dass CDU/CSU, FDP und Grüne – auch gegen die Opposition der SPD, der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände – diesen Vorschlag jetzt aufnehmen. Hans-Olaf Henkel, Berlin

Alternative Wahrheiten bei „Funk“

Folgt man Michael Hanfelds „Funkloch“ in der F.A.Z. vom 18. Januar, dann entsprechen die angeführten Beiträge nicht nur nicht dem Rundfunkstaatsvertrag (§10 (1): „Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen […] zu entsprechen. […] Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen.“ Bedenklich ist darüber hinaus, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk das Vertrauen unbedarfter Nutzer in die Existenz einer einzigen Wirklichkeit erschüttert, wenn selbst schulbuchbekannte Fakten wie in den kritisierten Artikeln ausgeblendet und sogar in ihr Gegenteil verdreht werden: Deutschland und Österreich-Ungarn waren während des gesamten Ersten Weltkrieges Verbündete, nicht Gegner. Wer also hat diese „alternative Wahrheit“ bei „Funk“ auf ihre Stichhaltigkeit, wer, wenn der Autor denn das Gegenteil zu wissen meint, ihre Herkunft geprüft? Mit solcher hoffentlich unabsichtlicher Geschichtsklitterung untergräbt der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht nur seine Glaubwürdigkeit und damit seine Existenzberechtigung im Prozess der demokratischen Meinungsbildung, vielmehr baut er mit an der Verwirrung der Tatsachen, die totalitären Autokraten und Politikern Macht und Einfluss sichert, wie Timothy Snyder in „Der Weg in die Unfreiheit“ darlegt: Wenn die Mitglieder der Gesellschaft zu der Überzeugung kommen, dass es so etwas wie unbestreitbare, überprüfbare Fakten nicht gibt, lässt man sich nur noch vom Glauben an die richtige Ideologie, den über der Wahrheit stehenden Führer leiten. Schlussfolgerung: Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Internetableger nicht nach den Grundsätzen des Staatsvertrags führen kann, dann wird es Zeit, ihn auf einen Kern zu reduzieren, den seine Redaktionen und Aufsichtsgremien übersehen können.

Gerhard Wieners, Frankfurt am Main

Woher soll die Energie kommen?

Zu „Die planetarische Müllabfuhr“ (F.A.Z., Volkswirt vom 15. Januar): Möglicherweise verstehe ich die Zielrichtung in Ihrem Artikel nicht, jedoch vermisse ich die Antwort auf zwei Fragen: Erstens gehen Sie mit keinem Wort darauf ein, wie eine technische CO2-Abscheidung, sei sie chemisch oder physikalisch, erfolgen soll. Sie setzen sie einfach als gegeben voraus. Und zweitens vermisse ich eine Antwort auf die Frage, womit das CO2 abgeschieden, transportiert und letztendlich verpresst werden soll. Es dürfte sich in jedem Fall um einen energieintensiven Prozess handeln. Sinn ergibt ein solcher Prozess aber nur, wenn die Energie nachhaltig erzeugt wird. Ich sehe uns jedoch noch lange nicht in der Lage, auch nur den aktuell benötigten Strom nachhaltig zu erzeugen, geschweige denn, die in der Zukunft benötigte elektrische Energie für Mobilität und zur Erzeugung des notwendigen Wasserstoffs für energieintensive Prozesse bereitzustellen. Woher soll also die Energie für eine nachhaltige technische CO2-Abscheidung, so notwendig sie auch sein mag, kommen? Dr. Till Borchert, Darmstadt

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