AMPERSAND#34;Taurus ist kein Gamechanger in diesem Krieg und wird von einigen Bundestagsabgeordneten auch aus politisch motivierten Gründen diskutiertAMPERSAND#34;, sagt Sicherheitsexperte Stefan Meister über die Debatte um die Lieferung der Lenkflugkörper. Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr/dpa Foto: dpadata-portal-copyright=
Sicherheitsexperte Stefan Meister über die „peinliche“ Taurus-Debatte, schleppende Munitionsbeschaffung und außenpolitisches Wunschdenken in Deutschland.
WirtschaftsWoche: Herr Meister, finden Sie, dass Olaf Scholz dem Anspruch der Zeitenwende gerecht wird?
Stefan Meister: Ich bin mir nicht sicher, was der Anspruch der Zeitenwende ist. Es scheint mir eher eine mediale Diskussion zu sein, die Wellen schlägt, ohne dass tatsächlich definiert wird, was die Zeitenwende eigentlich bedeutet beziehungsweise ob es überhaupt einen Plan dafür gibt.
Dann lassen Sie uns nicht von Anspruch, sondern Bilanz sprechen. Wie fällt sie aus?
Auf jeden Fall hat es grundlegende Veränderungen in der deutschen Politik mit Blick auf die Modernisierung der Bundeswehr, die Abkopplung von russischem Gas und der Unterstützung der Ukraine gegeben. Dass das zu wenig ist, zu langsam und in einem Schlingerkurs einer wenig funktionalen Koalition erfolgt, ist ein Problem. Es fehlt an deutscher Führung in Europa und wir sehen eine schlechte, zum Teil wenig verständliche Kommunikation des Kanzlers. Aber Deutschland bewegt sich, wenn auch zu langsam.
Was sind aus Ihrer Sicht sicherheitspolitisch die drängendsten Herausforderungen, denen sich die Bundesregierung und die EU stellen müssen?
Kurz-, mittel- und langfristig die Ukraine so zu unterstützen, dass sie diesen Krieg gewinnen kann. Russland ist gefährlich für Europa und Deutschland, es wird jede Schwäche der Bundesregierung, der EU und Nato nutzen, um uns weiter zu schwächen. Wir müssen eine funktionsfähige Abschreckung aufbauen, und Deutschland muss ein funktionsfähiger Sicherheitsgarant in der Nato und EU werden – und nicht nur Sicherheit auf Kosten anderer konsumieren.
Gestern traf sich die Rüstungsindustrie mit Robert Habeck, vor diesem Hintergrund ein wohl mehr als überfälliger Termin. Was braucht es also?
Eine funktionsfähige Bundeswehr und eine Industrie, die tatsächlich in großen Stückzahlen Waffen und Munition produziert. Wir müssen den europäischen Flügel in der Nato so stärken, dass wir auch an einem bestimmen Punkt ohne die USA Europa verteidigen und Russland abschrecken können.
Halten Sie es in diesem Zusammenhang für klug, die Lieferung eines Waffensystems wie dem Taurus kategorisch auszuschließen?
Es ist sicher nicht klug, die Lieferung dieses Waffensystems kategorisch auszuschließen, da die Ukraine dieses brauchen würde, um bestimmte strategische Ziele zu zerstören, die für die Angriffe auf die Ukraine wichtig sind, etwa auf der russischen Seite oder auf der Krim. Trotzdem halte ich die Diskussion für übertrieben.
Warum das?
Taurus ist kein Gamechanger in diesem Krieg und wird von einigen Bundestagsabgeordneten auch aus politisch motivierten Gründen diskutiert. Soweit ich es verstehe, würde bei einer Lieferung von Taurus Deutschlands eigene Verteidigung oder die eigene Abschreckungsfähigkeit leiden. Das ist wohl einer der zentralen Gründe der Nichtlieferung, die der Kanzler so nicht kommuniziert.
Immerhin wird jetzt auf tschechische Initiative hin Munition auf dem Weltmarkt angekauft und die entsprechende Produktion in Europa hochgefahren. Wie bewerten Sie diese jüngsten Anstrengungen?
Das passiert zu spät und zu wenig, weiterhin sind wichtige Aufträge nicht erteilt worden, es muss mehr Geld langfristiger in die Hand genommen werden, um Kapazitäten hochzufahren. Das sind auch alles politische Entscheidungen. Es sollte mehr kurzfristig im Ausland gekauft werden und mittelfristig sollte die europäische Industrie in diesem Bereich höhere Kapazitäten entwickeln. Wir brauchen langfristig neue Waffensysteme, mehr Munition und eine Modernisierung beziehungsweise einen Kapazitätsausbau der europäischen Waffenindustrie. Hier geht es nicht nur um die Ukraine, sondern auch um Deutschland und andere EU-Staaten. Das sind industriepolitische Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen, national und europäisch.
Nehmen Sie denn die sicherheitspolitische Debatte in Deutschland auch als „peinlich“ wahr, so wie es gerade der Kanzler formuliert hat? Lernen wir in diesem Land gerade, was es heißt, sicherheitspolitisch führen zu müssen, statt mitlaufen zu können?
Nicht nur Scholz ist das Problem, sondern der gesamte Diskurs von mehreren Parteien, die dieses Thema politisch instrumentalisieren. Scholz kommuniziert auch bei diesem Thema schlecht, er lässt Spielraum für jemanden wie seinen Fraktionschef Rolf Mützenich, der seine eigene Partei und die pazifistische Klientel in Deutschland bedienen soll. Schockierend ist, dass weiterhin Wunschdenken dominiert, das überhaupt nichts mit einer totalitären und repressiven Realität in Russland und möglicher weiterer russischer Aggressionen zu tun hat.
Was meinen Sie genau mir Wunschdenken?
Es werden Bedürfnisse nach Frieden und nach einem Ende des Krieges in der Bevölkerung bedient, die aber nicht realistisch sind. Dieses Appeasement gegenüber einem aggressiven Staat wie Russland und diese Ignoranz von Realitäten sind Kernelemente deutscher Politik seit mehr als 20 Jahren – und leider hat Russlands Krieg gegen die Ukraine das nicht grundlegend geändert, trotz der richtigen und wichtigen Schritte der vergangenen zwei Jahre.
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