Nato-Antwort auf Putins Luftangriffe: Experten befürchten einen Schnellschuss

Luftverteidigung

Nato-Antwort auf Putins Luftangriffe: Experten befürchten einen Schnellschuss 

nato-antwort auf putins luftangriffe: experten befürchten einen schnellschuss

Raketenabwehrsystem

Der Himmel wird zum Gefechtsfeld eines möglichen Konflikts zwischen Russland und der Nato. In der Ukraine beweist Wladimir Putin einen langen Atem.

Kiew – Da hat Niklas Masuhr danebengelegen. Aber gewaltig. Oder die Amerikaner lagen daneben. Oder Wladimir Putin führt sie alle an der Nase herum: Im Februar hat Russlands Diktator im Ukraine-Krieg sein drittes Feuerwerk in Form von massiven Luftschlägen gezündet – zum Preis von fast 400 Millionen Euro, wie das Magazin DefenseExpress berichtet. Zuvor soll er im Januar dieses Jahres schon fast 600 Millionen Euro verpulvert haben.

Niklas Masuhr hätte solch massive Schläge am Ende des zweiten Kriegsjahres nie für möglich gehalten. Vor mehr als einem Jahr hatte der Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich gegenüber der Bundeszentrale für politische Bildung klipp und klar eine andere Lagebeurteilung skizziert.

„Wenn man Beobachtern wie dem Institute for the Study of War (ISW) in Washington, D.C. glaubt, dann war der jüngste massive Raketenschlag mit etwa 100 Raketen auf die Ukraine vorerst einer der letzten großen Angriffe. Russland kann es sich bald nicht mehr erlauben, selbststeuernde Präzisionswaffen wie Iskander- oder Kalibr-Raketen für einen solch komplexen Schlag einzusetzen – also Raketen. Der russischen Armee geht die Präzisionsmunition aus. Es gab bereits von Beginn an nur begrenzte Vorräte, und ein gewisser Anteil davon wird wohl auch für eine eventuelle Eskalation mit der Nato zurückgehalten.“ Eine glatte Fehleinschätzung.

Putins Rüstungsindustrie: ein unerschöpfliches Arsenal – dank deutscher Hilfe

Denn die Gegenwart an der Front sieht aktuell anders aus. Während viele Offensiven an den Frontabschnitten feststecken, weitet Putins Armee seine Luftangriffe im Ukraine-Krieg aus. Deutsche wie andere westliche Unternehmen spielten der russischen Rüstungsindustrie dabei immer noch fleißig in die Karten, ergeben Recherchen der Redaktion vom ARD-Magazin Monitor. Während die internationale Unterstützung für die Ukraine bröckelt, scheint das russische Waffenarsenal unerschöpflich zu sein. Das liege wohl auch daran, dass trotz zahlreicher Sanktionen der Europäischen Union weiterhin westliche Technologie nach Russland geliefert werde. Trotz aller Sanktionen ein Schrecken ohne absehbares Ende.

Das hat die Ukraine zuletzt angeflogen:

20 Shahed-136/131-Drohnen aus Chauda (Krim);

29 Marschflugkörper Kh-101/Kh-555/Kh-55 von Tu-95MS-Bombern aus Engels (Kaspisches Meer);

04 Kh-22-Marschflugkörper von Tu-22M3-Bombern aus Sewastopol, Kursk;

03 Kalibr-Marschflugkörper von Schiffen im Schwarzen Meer;

03 ballistische Iskander-M-Raketen aus Tarhankut (Krim) & Woronesch (Russland);

05 S-300-Boden-Luft-Raketen aus der Region Belgorod (Russland).

Quelle: Kiew Post

Experten gehen weiterhin davon aus, dass das vorrangige Ziel dieser Attacken zu sein scheint, den Widerstandswillen der Ukraine zu brechen. Die humanitäre Lage soll derart verschlechtert werden, dass aus der ukrainischen Bevölkerung heraus Druck auf die Regierung in Kiew ausgeübt wird. Erschwerend komme hinzu, dass auch der russischen Seite aktuell der Schwung fehle, andere weitgreifende Operationen durchzuführen, um die Initiative zurückzugewinnen. Masuhr: „Solche Raketenangriffe sind das einzige Mittel, das Russland aktuell bleibt, um die Ukraine zu treffen.“ Ein teurer Feldzug. Die Kiew Post legt Schätzungen des Forbes Magazine zugrunde.

Kosten der einzelnen Waffentypen (geschätzt)

Shahed-136 – 47.000 Euro

Kh-101-Rakete – 12 Millionen;

Kh-555 – 3,7 Millionen;

Kh-55 –1,9 Millionen;

Kh-22 – 930.000;

Kalibr – 6 Millionen;

Iskander – 2,8 Millionen;

S-300 – bis zu 500.000.

Quelle: Forbes

Angesichts der Dimension der russischen Offensiven diskutiert die Nato kontrovers – der Politik schwant Böses, die Wissenschaft sieht dagegen Russlands Felle mit jedem Tag des Ukraine-Feldzuges deutlicher davonschwimmen. Einen Anflug von Panik verbreiten aktuell eher als geruhsam bekannte Skandinavier: Dänemark sollte seine Militärinvestitionen beschleunigen, nachdem neue Erkenntnisse darauf hindeuten, dass Russland schneller als erwartet aufrüstet und dass es innerhalb von drei bis fünf Jahren ein NATO-Land angreifen könnte, sagte der dänische Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen der Zeitung Jyllands-Posten. „Russlands Kapazität zur Produktion militärischer Ausrüstung ist enorm gestiegen“, sagte er.

Denkbar sei, dass Russland innerhalb von drei bis fünf Jahren Artikel 5 und die Solidarität der NATO auf die Probe stelle. „Das war nicht die Einschätzung der NATO im Jahr 2023, sondern neue Erkenntnisse, die jetzt zum Vorschein kommen“, so Lund Poulsen. Bundesverteidungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte noch von bis zu acht Jahren Vorbereitungszeit gesprochen. Kurzfristig dürfte die Gefahr eines Angriffs auf das Bündnis gering sein, argumentiert dagegen Lydia Wachs vom Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik: Russlands militärische Fähigkeiten, inklusive seiner Flugkörper, reichten zwar aus, um den Krieg in der Ukraine fortzusetzen –jedenfalls seien keine unmittelbaren Engpässe erkennbar – allein die durchschnittliche Zahl an eingesetzten Marschflugkörpern und ballistischen Raketen spräche Bände.

Putins Raketen-Verluste: 44 von 64 Flugkörpern ein Opfer der Flugabwehr

Gleichzeitig benötigt das Land die verbliebenen Kapazitäten wohl für seine politisch-militärischen Ziele in der Ukraine. Mittel- bis langfristig wird damit gerechnet, dass Russland aber wohl imstande sein wird, seine Fähigkeiten in vollem Umfang wiederherzustellen. Wobei Wachs damit kalkuliert, dass Russlands selbst dann zu wenige Marschflugkörper und Raketen haben dürfte, um mit der Nato einen längeren konven­tionellen Krieg zu führen. Der Krieg in der Ukraine zehrt die russischen Arsenale zweifellos aus; darüberhinaus leide die Präzision der Waffen. Von den zuletzt in die Ukraine eingedrungenen 64 Flugkörpern hat die ukrainische Flugabwehr 44 vom Himmel geholt. Davon 26 Marschflugkörper Kh-101/Kh-555/Kh-55, 3-Kalibr-Marschflugkörper und 15 Drohnen.

Russland war bislang augenscheinlich außerstande, die ukrainische Flugabwehr zu zerstören oder signifikant zu schwächen, und setzt auch deswegen seine Luftstreitkräfte eher risikoarm ein. Dennoch sind Flugkörper für Wladimir Putin das Mittel der Wahl, weswegen der Schulterschluss der Nato-Partner um so wichtiger wird. Seit Mitte vergangenen Jahres ist der zweite Schritt der „Sky Shield Initiative“ erreicht. „Zur Stärkung der gemeinsamen Luftverteidigung schließen sich aktuell 19 europäische Staaten zusammen, die entsprechende Waffensysteme beschaffen und den Betrieb sicherstellen wollen“, sagte der Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius (SPD), Ende vergangenen Jahres in Brüssel. Die Rahmenbedingungen für den kooperativen Einkauf werden somit konkreter, um Kosten für Europa zu sparen und die Betriebskosten niedrig zu halten.

Putins künftiger Schrecken: Arrow-3 – Experten runzeln darüber die Stirn

Daher beschafft Deutschland zusätzlich zum Beispiel Waffensysteme des Typs IRIS–T SLM (Infrared Imaging System – Tail/Thrust Vector-controlled, Surface Launched Medium Range), die sich auch bereits in der Ukraine unter Gefechtsbedingungen bewährt haben. Systeme, die in der Lage sind, das deutsches Territorium gegen weitreichende Raketen zu schützen, fehlen der Bundeswehr dagegen bisher. Die Bundesregierung beschafft deshalb für rund vier Milliarden Euro das israelisch-amerikanische Raketenabwehrsystem Arrow 3 – eine Art Satellit, der die feindliche Rakete in einer Höhe von rund 100 Kilometern auf ihrer Flugbahn rammt und dadurch zerstört

Im politischen Berlin stößt der Kauf auf breite Zustimmung, doch international sorgt er für Stirnrunzeln. Anders als das bereits vorhandene Patriot- und das kürzlich bestellte Iris-T-Luftverteidigungssystem der Bundeswehr scheint Arrow-3 nämlich gänzlich untauglich, russische Raketen oder Marschflugkörper abzufangen. Arrow verteidigt hoch oben in der Erdatmosphäre – die russischen Raketen tauchen darunter durch. Simon Højbjerg Petersen, Experte für die Abwehr ballistischer Raketen, bezeichnete den Kauf von Arrow-3 als „die seltsamste Beschaffungsentscheidung, die ich seit langem gesehen habe.“, schreibt Frank Kuhn.

Kuhn ist Projektkoordinator des Clusters Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung und argumentiert kritisch gegen Arrow-3: Die größte Bedrohung für Deutschland und Europa gehe derzeit vor allem von russischen Kurzstreckenraketen des Typs 9K720 Iskander und der Hyperschallwaffe Kh-47M2 Kinzhal sowie von russischen Marschflugkörpern aus. Allen diesen Waffensystemen ist allerdings gemein, dass sie die Erdatmosphäre während ihres Fluges gar nicht verlassen. „In anderen Worten: Arrow-3 kann russische Kurzstreckenraketen oder Marschflugkörper überhaupt nicht abfangen“, schreibt Kuhn.

Der Spiegel sieht im Kauf schlichtweg einen „Schnellschuss“, Kuhn drängt sich der Eindruck auf, „dass die Beschaffung, ähnlich wie der Kauf des russischen S-400-Luftverteidigungssystems durch die Türkei, in erster Linie aus symbolischen Gründen erfolgt ist. Mit Blick auf die von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete Zeitenwende in der Außen- und Sicherheitspolitik wäre das ein fatales Signal.“ Bleibt abzuwarten, inwieweit Kuhn damit ins Schwarze getroffen hat.

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