Tut Deutschland genug gegen Frauenmorde?

tut deutschland genug gegen frauenmorde?

Jeden Tag kommt es zu gewalttätigen Angriffen. (Symbolbild)

Montagmorgen in Mannheim, Frühbesprechung bei der Polizei. Draußen reg­net es, drinnen betritt Torsten Bren­ner, Erster Kriminalhauptkommissar, mit einer Tasse Tee einen Konferenzraum. Er begrüßt seine beiden Kollegen, setzt sich und deutet auf ein Plakat an der Wand. Darauf kleben Fotos von vier Männern, daneben stehen ihre Geburtsdaten und die Taten, die ihnen vorgeworfen werden. Diese Männer führen Brenner und seine Kollegen als Hochrisikotäter. Sie haben keine Bank überfallen, kein Schutzgeld erpresst und auch keinen Anschlag geplant. Sondern ihre Frauen geschlagen, getreten oder gewürgt. Und es spricht nach objektiven Kriterien viel dafür, dass sie es wieder tun werden und dass die Frauen in ernsthafter Gefahr sind. Mit einem Blick auf die Liste sagt Brenner: „Niemand wird zurückgestuft.“

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„Weiterungen vermeiden“: Kommissar Torsten Brenner bei der Morgenbesprechung der Koordinierungsstelle häusliche Gewalt in Mannheim

Mehr als zwanzigmal die Woche rücken Brenner und seine Kollegen aus, weil sie zu einem Fall häuslicher Gewalt gerufen werden. Jedes Mal gehen sie danach einen Fragebogen durch. Zusammen mit weiteren Ermittlungserkenntnissen geben die Antworten auf die Fragen Rückschlüsse darauf, wie groß die Gefahr ist, dass der Täter rückfällig wird, und ob die Frau vor ihm in Sicherheit gebracht werden muss. Ist das der Fall, beruft Brenner, der die Koordinierungsstelle häusliche Gewalt für Mannheim, Heidelberg und den Rhein-Neckar-Kreis leitet, eine Fallkonferenz ein. An der nehmen Mitarbeiter von Opferschutz und Staatsanwaltschaft teil, manchmal auch vom Jugendamt oder der Polizeibehörde der jeweiligen Kommune. Gemeinsam überlegen sie, wie sie die Frau am besten schützen können.

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Aufklärungsmaterial: In Brenners Büro liegen Bierdeckel und Faltblätter aus.

Jeden Tag versucht ein Mann hierzulande, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten. Alle drei Tage stirbt eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Die Zahl ist seit Jahren konstant; die der nicht tödlichen Gewaltdelikte in Partnerschaften nimmt sogar zu: Mehr als 430 Fälle pro Tag verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik. Gleichzeitig gehen Verbrechen wie Mord, Totschlag und schwere Körperverletzung insgesamt zurück; Deutschland wird immer sicherer. Nur nicht für Frauen in den eigenen vier Wänden. Seit der Jahrtausendwende sind in 16 von 22 Jahren mehr Frauen als Männer ermordet worden.

„Wir wissen eigentlich, was man tun kann“

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Immer mehr Fälle: Ordner mit den Polizeilichen Kriminalstatistiken

Nach jeder Tat steht die Frage im Raum: Hätte sie verhindert werden können? Um sie beantworten zu können, muss man auch fragen: Was wird getan, um Frauen zu schützen? Welche Strategien gibt es bei Hilfsstellen, Polizei, Justiz? Werden sie umgesetzt? Und damit auch: Tut Deutschland genug?

Die Sozialwissenschaftlerin Monika Schröttle forscht seit 30 Jahren zu Gewalt an Frauen, seit 2020 koordiniert sie die Europäische Beobachtungsstelle für Femizide. Sie vergleicht Strategien verschiedener Länder, hat untersucht, welche funktionieren – und sie kennt die deutschen Defizite. Schröttle sagt: „Wir wissen eigentlich, was man tun kann, um Betroffene zu schützen und Täter zu stoppen.“ Eine der wichtigsten Erfolgsgarantien lautet: schnell reagieren und koordiniert vorgehen.

Das heißt, dass Polizei, Justiz und Opferschutz, die sonst oft getrennt voneinander agieren, sich abstimmen müssen. Und dass sie, wenn eine Gefahr erkannt wird, nicht abwarten dürfen, sondern sofort reagieren müssen. Sie können dann etwa die Frau in einer Schutzwohnung unterbringen oder dem Mann eine Gefährderansprache halten. In manchen Bundesländern funktioniert das auch schon, aber längst nicht in allen. Schröttle sagt: „Da wird der Staat seinen Sicherheitsaufgaben nicht gerecht.“

Deutschland ist, was die Prävention von Gewalt gegen Frauen angeht, ein Flickenteppich. Eine deutschlandweite Strategie existiert nicht. Ebenso wenig existiert eine zentrale Stelle, die darüber Buch führen würde, wo es welche Angebote gibt. Einige Bundesländer haben sogenannte Interventionsstellen, in denen Mitarbeiter der verschiedenen Institutionen zusammenarbeiten, etwa Rheinland-Pfalz. In anderen, etwa in Brandenburg, gibt es sie nicht. Auch ein Beratungsangebot nicht nur für Opfer, sondern auch für Täter, existiert nicht überall. Das Gleiche gilt fürs Hochrisikomanagement, wie es in Mannheim praktiziert wird.

Dabei ist Deutschland dazu eigentlich durch die Istanbul-Konvention verpflichtet, einem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, und zwar durch Artikel 51 zu „Gefährdungsanalyse und Gefahrenmanagement“.

Mannheim zeigt, wie es funktionieren kann

Früher wurden Frauenmorde auch in den Medien häufig als „Familientragödien“ bezeichnet. Das implizierte, dass es sich um private Schicksalsschläge handelt, gegen die sich letztlich nichts machen lässt. Inzwischen hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass es schwere Straftaten sind, die man wie andere Taten analysieren, kategorisieren und verhindern kann.

Dass und wie es funktioniert, zeigt das Beispiel Mannheim. Ende 2019 hat die Stadt zusammen mit Ulm entsprechende Stellen als Pilotprojekt eingesetzt, später wurden sie in ganz Baden-Württemberg aufgebaut. Jahrelang hat es in Mannheim, Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis kein Todesopfer unter den Frauen gegeben, deren Fälle Brenner und seine Kollegen auf dem Schreibtisch hatten. Rund 5000 waren das bisher.

Brenner deutet noch einmal auf das Plakat mit den vier Männern. Neben einem ist ein rotes Ausrufezeichen gemalt. Er ist Mitglied einer Rockergang und hatte es schon mehr als vierzigmal mit der Polizei zu tun, nicht nur wegen häuslicher Gewalt. Sondern auch „wegen einer Vielzahl weiterer exponierter Körperverletzungsdelikte“. Bei ihm nehmen die Polizisten an, dass er bei einer Kon­trolle Waffengewalt anwenden würde. Bei einem anderen haben sie in der vergangenen Woche eine Durchsuchung vorgenommen.

„Was kam da raus?“, will Brenner von seinem Kollegen wissen. „Die Kollegen haben nichts gefunden in seinem Haus oder Auto.“ – „Hat die Durchsuchung bei ihm Eindruck hinterlassen?“ – „Ja. Er war beeindruckt, weinerlich, hatte kein Unrechtsbewusstsein, hat seine Unschuld beteuert.“ – „Aber er bleibt auf der Liste?“ – „Ja! Er hat sinngemäß angedroht, dass er sie bis zur Scheidung töten wird. Sie wird vom Opferschutz zum Gerichtsverfahren begleitet.“ – „Wann ist die Scheidung?“- „Ursprünglich sollte die in sechs Tagen sein, deshalb die Durchsuchung. Jetzt wurde sie um fünf Wochen verschoben.“ – „Wurde die Frau in die Opferschutzdatenbank aufgenommen?“ – „Ja, wenn sie die Polizei anruft, dann ploppt das direkt auf.“ – „Sehr gut“, sagt Brenner sichtlich zufrieden. „Auch, dass die Staatsanwaltschaft mitgespielt hat bei dem Durchsuchungsbeschluss.“

Brenners blonde Haare sind akkurat gescheitelt. Er schwäbelt leicht und spricht manchmal in etwas bürokratischen Formulierungen – etwa, wenn er sagt, „wichtigstes Ziel“ sei es, „Weiterungen zu vermeiden“. Trotzdem merkt man, wie sehr ihm das Thema am Herzen liegt. Nicht zuletzt weil er Familienvater ist. Deshalb habe er auch sofort zugesagt, als ein Leiter für die neue Koordinierungsstelle gesucht wurde. Und sich engagiert zu einer Zeit, als sich viele Kollegen noch fragten: „Was haben die sich denn da jetzt wieder Neues ausgedacht?“

In den Fallkonferenzen entwickelt Brenner Strategien, die in der normalen Polizeiroutine als unkonventionell oder sogar unmöglich eingestuft würden. „Bei jeder Konferenz haben wir eine Lösung herbeigeführt, die ich mir zuvor tatsächlich nicht zu träumen gewagt hätte“, erzählt er.

Da war zum Beispiel der Fall, in dem ein Mann seine Ex-Partnerin massiv stalkte. Er stand morgens mit dem Auto vor der Kita, dann vor ihrem Büro, machte Gesten, als wolle er ihr den Kopf abschneiden. Ging sie abends mit Freundinnen essen, parkte er vor dem Restaurant. In diesem Fall galt das Auto als Tatmittel – und wurde ihm in Absprache mit der Staatsanwaltschaft entzogen. „Andere Strafverfolgungsbehörden hätten vielleicht gesagt: ,Er darf mit dem Auto hinfahren, wo er will, diese eine Geste gleich so zu werten ist schwierig‘“, erzählt Brenner. „Wir haben gesagt: ,Das ist Stalking, und wir können ihm das Auto entziehen.‘“ Der Mann ließ sich davon aber nicht abbringen. Das Stalking ging weiter.

Oft arbeiten Polizei, Justiz und Opferschutz getrennt

Und Brenner stellte zwei uniformierte Polizisten dafür ab, die Frau morgens zur Arbeit und abends wieder nach Hause zu bringen. „Da sagen Kritiker vielleicht: ,Die haben wohl zu viel Personal.‘“ Er sehe das anders. Irgendwann hätte die Frau umziehen müssen, vielleicht sogar in eine Schutzwohnung. Oder der Täter hätte sie auf dem Arbeitsweg angegriffen. „Also gab es in dem Fall einfach mal die Premiumlösung.“ Und die wirkte. Das Stalking hörte auf.

In einem anderen Fall hatte eine Frau mit polnischen Wurzeln ihren Mann mehrmals wegen Gewalt gegen sie angezeigt – und jede Anzeige später zurückgezogen. Ein Kollege Brenners besuchte die Frau zusammen mit einer polnisch sprechenden Mitarbeiterin der Kriminalpolizei und sagte ihr, dass die Gewalt durch den Mann eine Kindeswohlgefährdung bedeute und sie Gefahr laufe, ihre Kinder zu verlieren, wenn sie weiter bei ihm bleibe. Sie könne aber jederzeit im Frauenhaus unterkommen. Wenige Tage später zog sie mit den Kindern aus, erst in ein Frauenhaus, später zu Verwandten nach Süddeutschland. „Je enger und vertrauensvoller man zusammenarbeitet“, sagt Brenner dazu, „umso eher kann man Berge versetzen.“

Diese Art von Zusammenarbeit ist noch die Ausnahme. Vielerorts arbeiten Polizei, Justiz und Opferschutz getrennt. Da ermittelt die Polizei schon gegen einen Wiederholungstäter, aber das Jugendamt prüft noch, ob das Kindeswohl gefährdet ist. Oder die Polizei rückt wiederholt zu einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt aus, aber der Opferschutz weiß nichts davon – bis der Mann die Frau schwer oder gar tödlich verletzt.

Beim Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser fällt einer Mitarbeiterin auf Anhieb ein Fall ein, in dem ein Mord wohl hätte verhindert werden können, wenn die beteiligten Institutionen sich ausgetauscht hätten. In Brandenburg gibt es bisher keine Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt und kein institutionalisiertes Hochrisikomanagement.

Vernetzung ist wichtig. Sie allein verhindert aber noch keine Taten; es braucht auch eine ausreichende Finanzierung. Das zeigt sich zum Beispiel in Sachsen. Interventionsstellen gibt es hier schon lange. Die in Leipzig wurde vor mehr als 20 Jahren vom Verein „Frauen für Frauen“ aufgebaut. Eine Mitarbeiterin der ersten Stunde erzählt am Telefon von der Arbeit der Interventionsstelle. Sie will anonym bleiben, weil die Einrichtung immer wieder bedroht wird. Die Polizei, erzählt sie, melde alle Einsätze wegen häuslicher Gewalt an die Interventionsstelle. Sind die Opfer einverstanden, melden sich die Mitarbeiterinnen bei ihnen, um sie zu beraten.

Nur passiert das in vielen Fällen nicht mehr – weil die Interventionsstelle nicht genug Mitarbeiterinnen hat und keine Mittel, um weitere einzustellen. 2023 konnte sie sich deshalb fast bei der Hälfte der mehr als 1200 Frauen, die eine Beratung wollten, nicht zurückmelden. Noch schlechter sah das Verhältnis bei denen aus, die ohne den Umweg über die Polizei direkt eine Beratung anforderten. Gut 200 sogenannte Selbstmelderinnen konnten die Mitarbeiterinnen der Interventionsstelle 2023 beraten – und mehr als 500 nicht. „Das heißt, wir nehmen hier eine Art Triage vor“, sagt die Mitarbeiterin. „Das ist emotional ganz furchtbar.“

Arbeit emotional belastend

Seit 2021 steigt die Zahl der Anzeigen wegen häuslicher Gewalt in Leipzig steil an. Die Mitarbeiterin vermutet, dass nicht die absoluten Zahlen zunehmen, sondern Frauen und Nachbarn Gewalt öfter anzeigen, weniger Taten unerkannt bleiben. Das hänge vermutlich auch mit der guten Arbeit von Polizei und Hilfsstellen zusammen. Nun laufe Leipzig Gefahr, Rückschritte zu machen. Denn wenn die Polizei mitbekomme, dass sie und ihre Kolleginnen sich bei vielen Betroffenen nie oder erst spät zurückmelden, frage sie künftig vielleicht erst gar nicht mehr, ob sie sie kontaktieren dürfen.

Auch Fallkonferenzen sind in Sachsen eigentlich vorgeschrieben. Doch dieser Verpflichtung könne die Interventionsstelle immer öfter nicht nachkommen. Statt eines persönlichen Treffens mit allen wichtigen Akteuren gebe es oft nur Telefonate zwischen einzelnen Beteiligten. Die Mitarbeiterin sagt: „Das ist ein riesiges Problem, wo ich den Bund in der Verantwortung sehe.“ Bisher werden die Interventionsstellen in Sachsen ausschließlich vom Land und den Kommunen getragen. Die Mitarbeiterin klingt erschöpft. Lange, sagt sie, könne sie nicht mehr so weitermachen, ohne krank zu werden.

Auch Polizeikommissar Brenner empfindet seine Arbeit als emotional belastend. „Wenn die vom Jugendamt etwa von einem achtjährigen Kind erzählen, das Angst hat, dass seine Mama stirbt: Das macht was mit Ihnen, und das können Sie gedanklich auch nicht im Büro belassen“, erzählt er. Bei ihm überwiegt aber das positive Gefühl, etwas zu bewirken. Dass seine Arbeit wirksam ist, belegen Untersuchungen. Eine Studie der Universität Koblenz-Landau von 2016 zeigte: Wenn Übergriffe in einer Fallkonferenz besprochen und maßgeschneiderte Reaktionen entwickelt werden, werden die Täter in 20 Prozent der Fälle rückfällig. Ohne Fallkonferenz waren es 42 Prozent.

Die Fallkonferenzen beruhen auf Tools zur Risikoanalyse. Zwei sind besonders verbreitet: ODARA („Ontario Domestic Assault Risk Assessment“) und die Campbell-Skala. Sie bestehen aus Fragen, deren Antworten jeweils mit Punkten bewertet werden. Je höher die Punktzahl, umso gravierender das Risiko. Bei ODARA gibt es je einen Punkt, wenn der Täter trinkt, wenn er schon mal gewalttätig war oder der Frau gedroht hat, sie zu töten. Bei der Campbell-Skala gibt es einen Punkt, wenn der Täter sehr eifersüchtig ist, vier, wenn er arbeitslos ist, und fünf, wenn er eine Waffe besitzt.

Einmal, erzählt Brenner, habe er sich einen „vergleichsweise minder schweren Fall“ von häuslicher Gewalt angeschaut – und dann bemerkt, dass der Mann zwei Tage zuvor einen Waffenschein beantragt hatte. Ein weiteres Alarmzeichen ist für ihn, wenn ein Mann um eine letzte Aussprache bittet. Brenner weiß, dass kaum etwas für Frauen in gewalttätigen Beziehungen so gefährlich ist wie ein vermeintlich letztes klärendes Gespräch nach der Trennung. Seine Expertise stützt sich auf Fachliteratur und jahrelangen Austausch mit Kollegen in anderen Bundesländern, vor allem mit Rheinland-Pfalz.

Das Land nimmt seit Jahrzehnten eine Vorreiterrolle im Kampf gegen häusliche Gewalt ein und war 2015 das erste Bundesland, das spezialisierte Polizeidienststellen eingerichtet hat. Neben 18 Interventionsstellen gibt es in Rheinland-Pfalz auch Dutzende Runde Tische, bei denen sich Sozialarbeiterinnen, Polizisten und Opferschützer vernetzen. Selbst im Vorzeigebundesland klagen die beteiligten Akteure allerdings über mangelnde Finanzierung. Das lässt sich auch beim Besuch eines Runden Tischs in Bad Kreuznach beobachten.

Politischer Wille versus blanke Realität

Einige Wochen nach der Polizeikonferenz in Mannheim sitzen gut ein Dutzend Frauen und ein Mann im holzvertäfelten Sitzungssaal der Kreisverwaltung von Bad Kreuznach zusammen. Heute ist die Leiterin des Referats „Gewaltprävention, Gewalt in engen sozialen Beziehungen“ im Landesfamilienministerium zu Gast. Sie berichtet, woran sie derzeit arbeitet. Das Land will Wohnungen anmieten für Frauen, die stabil genug sind, um das Frauenhaus zu verlassen, aber es noch nicht ganz allein schaffen. Doch es gibt kaum leer stehende Wohnungen. Schon bestehende Frauenhäuser zu erhalten, die in den Achtzigern gegründet wurden und jetzt oft Sanierungsfälle sind, ist schwer genug. „Das eine ist der politische Wille“, sagt die Referatsleiterin, „das andere die blanke Realität.“

Die Mitarbeiterin eines Frauenhauses berichtet, dass viele Täter selbst schon als Kind im Frauenhaus waren: als Söhne verprügelter Mütter. „Viele haben gelernt, dass Beziehungen so funktionieren“, sagt sie. Sie wünscht sich ein Angebot für junge Männer, die vor der ersten Liebe stehen, um diese Muster zu durchbrechen. Aber Täterarbeit gibt es erst ab 18. Den einzigen Mann in der Runde, er ist Familienrichter, beschäftigt, dass Kollegen oft auch gewalttätigen Vätern Umgangsrecht gewähren. Frauen können so gezwungen sein, ihrem Ex das gemeinsame Kind zu übergeben, selbst wenn er sich ihnen eigentlich nicht mehr nähern darf. Es gebe eine Fortbildungspflicht zum Thema, erzählt der Familienrichter. „Aber der kommt keine Sau nach.“

Das kritisiert auch die Forscherin Monika Schröttle. Die Polizei sei zunehmend besser geschult, sagt sie, doch das gelte nicht für die Justiz. So kann etwa in Scheidungsverfahren der Täter über juristische Dokumente den neuen, eigentlich geheimen Wohnort seines Opfers erfahren. Schröttle kann nicht verstehen, warum diese seit Jahrzehnten bekannten Probleme nicht entschiedener angegangen werden. Immerhin fordern Frauenmorde in Deutschland deutlich mehr Todesopfer als terroristische Anschläge. Dennoch, so Schröttle, sei es leichter, Millionen für den Kampf gegen Islamismus zu bekommen als für Opferschutzstellen, Interventionsarbeit, Beobachtungsstellen oder Täterarbeit.

In anderen Ländern ist die Politik weiter

Das bemerkt derzeit auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). Sie hat versprochen, Opfer besser zu schützen. Eine Studie dazu, wie viel das kosten würde, soll in Kürze vorgestellt werden – laut „Tagesspiegel“ kommt sie auf Hunderte Millionen Euro Mehrkosten. Angesichts der Haushaltslage ist es unwahrscheinlich, dass Paus die bekommen wird.

Andernorts ist die Politik weiter als in Deutschland. In mehreren europäischen Ländern gibt es bereits staatliche Beobachtungsstellen für Frauenmorde – etwa in Portugal, Malta und Spanien. In Spanien müssen gewalttätige Männer außerdem elektronische Fußfesseln tragen, die Alarm schlagen, sobald sie sich ihrer Ex-Partnerin nähern. In Deutschland gibt es solche Sanktionsmöglichkeiten nicht, ebenso wenig wie eine staatliche nationale Beobachtungsstelle. Und dadurch, sagt die Forscherin Schröttle, fehle ein entscheidender Faktor im Kampf gegen Femizide: die explizite Ächtung und Verhinderung von Partnerschaftsgewalt durch die höchste staatliche Ebene. Dort, wo Regierungen, Parlamente und oberste Gerichte dem Thema hohe Priorität einräumten, änderten sich auch Werthaltungen in der Gesellschaft. In Spanien etwa seien Frauenmorde zurückgegangen.

Auch der Mannheimer Polizist Torsten Brenner weiß, dass noch viel zu tun ist – und dass er nicht alle Taten wird verhindern können. Vor allem von Tätern, die der Polizei nicht auffallen, bis sie eines Tages ihre Frau oder Ex-Frau ermorden. Solche Fälle gibt es, und das findet Brenner schlimm. Noch schlimmer aber findet er die Vorstellung, dass seine Kollegen und er bei einem Täter, der ihnen bekannt war, „mit etwas mehr Engagement eine Stellschraube“ hätten finden können, wie er es formuliert. Dass sie also einen Mord durch einen polizeibekannten Gewalttäter nicht verhindern können.

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