Raed Saleh: Der mächtigste Mann der Berliner SPD wackelt – und die Partei mit ihm

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Raed Saleh. Bei der Mitgliederbefragung der SPD Berlin kam der SPD-Fraktionschef mit Luise Lehmann nur auf den dritten Platz.

Am Ende war am Sonnabend alles geboten: Überraschung, Drama, Götterdämmerung. Nüchtern betrachtet ist Folgendes passiert: Am ersten Wahlgang im Rennen um den künftigen Vorsitz der Berliner SPD haben sich 8574 der 18020 stimmberechtigten Parteimitglieder beteiligt: Das sind 47,6 Prozent.

Den größten Stimmenanteil vereinigte das Duo Martin Hikel/Nicola Böcker-Giannini auf sich. Auf den Neuköllner Bürgermeister und die ehemalige Sport-Staatssekretärin entfielen 4034 Stimmen, das waren 48,2 Prozent. Auf Platz 2 landeten der Vize-Landesvorsitzende Kian Niroomand und die Chefin der SPD-Frauen, Jana Bertels. Für sie stimmten 36,1 Prozent. Das Drama spielte sich auf dem letzten Platz ab: Für den Partei-und Fraktionschef Raed Saleh und die Marzahner Kommunalpolitikerin Luise Lehmann votierten 1309 Sozialdemokraten. Das waren 15,65 Prozent. Damit sind sie raus.

Vom 2. Mai bis zum 17. Mai können die Berliner SPD-Mitglieder nun erneut abstimmen. Am Pfingstsonnabend wird ausgezählt. Das Gewinner-Duo soll dann beim Landesparteitag am 25. Mai gewählt werden. Eine Formalie.

Doch das Ergebnis dieses ersten Wahlgangs ist viel mehr als die nackten Zahlen. Es ist eine Zeitenwende und wird die Berliner SPD noch länger beschäftigen. Egal, welches der beiden verbliebenen Duos sich durchsetzen wird – das eher rechte Gespann Hikel/Böcker-Giannini oder das eher linke Niroomand/Bertels –, so ist es in jedem Fall ein Neustart ohne Raed Saleh. Oder gerne auch ein „authentischer Neustart“, wie ihn Niroomand/Bertels erkannt haben wollen. Die Zeit der Machtkonzentration ist vorerst vorbei. Künftig wird auch in der SPD Amt und Mandat voneinander getrennt, wie es etwa die Grünen seit jeher praktizieren.

So ist die Wahl die konsequente Umsetzung eines Parteitagsbeschlusses von vor einem Jahr, der genau diese Trennung vorsah: Mindestens ein Teil des Duos ganz vorne sollte nicht in Regierungs- oder führender Fraktionsverantwortung sein. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey zog die Konsequenz und trat nicht mehr an. Fraktionschef Saleh wollte es noch einmal wissen und holte sich dafür die unbekannte Luise Lehmann an seine Seite.

Es hat nicht geklappt. Der mächtigste Mann der Partei ist abgewählt worden. Und die Folgen sind nicht absehbar. Schließlich ist überhaupt nicht sicher, welche Rolle er überhaupt noch spielen kann.

Salehs Reaktion auf die Niederlage fiel folgendermaßen aus: „Unsere Mitglieder haben im ersten Wahlgang eine eindeutige Entscheidung getroffen, die wir voller Respekt und verantwortungsvoll annehmen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung mit Luise Lehmann. „Selbstverständlich ist dieses eindeutige Ergebnis für uns persönlich enttäuschend, als Partei wird uns die baldige Klarheit aber insgesamt stärken und konzentriert zusammenführen und zusammenarbeiten lassen.“

raed saleh: der mächtigste mann der berliner spd wackelt – und die partei mit ihm

Raed Saleh weiß, dass Politik auch Niederlagen bereithält.

Nun, Luise Lehmann hat keinen Grund, enttäuscht zu sein. Sie hatte in dieser Konstellation nie etwas zu verlieren, nur zu gewinnen. Und sei es Aufmerksamkeit. Hat funktioniert.

Raed Saleh aber muss eine schmerzhafte Niederlage hinnehmen und gleichzeitig seinen Blick auf sein zweites Amt richten, den Vorsitz der Abgeordnetenhausfraktion. Seit 2011 sitzt er auf diesem Posten, Versuche, ihn zu entmachten, sind stets gescheitert. Nun dürfte es einen neuen Anlauf geben.

„Das Wahlergebnis kann nicht ohne Konsequenz auf die Fraktion bleiben“, heißt es aus diesem Kreis. Die Rede ist von einer Doppelspitze – eine Konstruktion, die Saleh bisher immer verhindern konnte. Ob ihm das noch einmal gelingt, ist fraglich. Nein, sagen Kritiker. Es gebe nur noch zwei Varianten: eine Doppelspitze mit Saleh, oder eine ohne ihn.

Raed Saleh hat sich dazu noch nicht geäußert. Bei der nächsten Sitzung am Dienstag wäre dazu Gelegenheit. Denkbar, dass dabei auch über einen Wahltermin gesprochen wird. Spätestens im Juni sollte es so weit sein.

Allerdings ist eine Fraktionsdoppelspitze bisher kein Erfolgsmodell in der SPD. Im Bundestag gibt es so etwas nicht. Zuletzt sprach sich etwa die Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag gegen ein solches Modell aus.

Und noch etwas wird sich gravierend verändern. Egal, wer dem Duo Giffey/Saleh nachfolgen wird: Die beiden Neuen werden auf Augenhöhe mit dem Koalitionspartner CDU mitreden wollen. Bisher war Saleh dank seiner Doppelfunktion immer dabei. Zuletzt bei den Haushaltsverhandlungen war es vor allem seine rechte Hand, der parlamentarische Geschäftsführer Torsten Schneider, der mit der CDU-Spitze – vor allem bestehend aus Partei- und Regierungschef Kai Wegner – im Hinterzimmer die Zahlen ausbaldowerte. Das wird nicht mehr gehen, weil sich bei der SPD künftig neue Kräfte auf Partei- und Fraktionsebene profilieren werden wollen.

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Aus ziemlich besten Feinden wurden ziemlich beste Partner: Künftig muss sich der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (r.) von der CDU mit anderen Sozialdemokraten arrangieren. Raed Salehs innerparteiliche Niederlage macht auch Wegners Arbeit deutlich komplizierter.

Eines ist sicher: Die Dinge werden kompliziert. Das weiß auch Kai Wegner. Seit zweieinhalb Jahrzehnten kennt er Raed Saleh aus der gemeinsamen politischen Heimat Spandau. Lange haben sie einander bekämpft, dem anderen nicht getraut und nichts gegönnt.

Seit einem Jahr ist alles anders. Wegner braucht Saleh, weil dieser ihm ein weitgehend unfallfreies Regieren des schwarz-roten Senats garantiert. Als Fraktionschef hat Saleh stets Stabilität geliefert. Das galt für die rot-schwarze Koalition von 2011 bis 2016, danach für Rot-Rot-Grün (2016–2021) und Rot-Grün-Rot (2021–2023). Und es gilt auch für die aktuelle Landesregierung, die bemerkenswert geräuschlos agiert. Jetzt ist Wegners Lieblingsfeind massiv geschwächt, und Wegner dürfte davon nicht profitieren.

Am Ende, so hieß es, habe der CDU-Mann sogar noch versucht, manchen Sozialdemokraten für eine Wahl Salehs zu gewinnen. Genützt hat es nichts. Genauso wenig wie der bizarre Versuch der Wahlhilfe des Enfant terrible der Berliner Linken, Ferat Kocak, der sich nach Medienberichten damit brüstete, ein paar Dutzend Leute zu einer Stimme für Saleh animiert zu haben. Was für eine Geschichte.

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