Nicht erst unter Präsident Xi Jinping haben sich die Gewichte im europäisch-chinesischen Verhältnis verschoben.
Die Beziehungen mit China sind seit Jahren geopolitisch geprägt. Der Riss in den Lieferketten während der Pandemie, mehr aber noch die deutsche Erkenntnis, dass man sich in der Gasversorgung zu abhängig von Russland gemacht hatte, prägen nun den Blick auf China. Vorsicht vor dem China-Handel wird in unterschiedlichem Ausmaß empfohlen, vom „De-Risking“ bis zum „De-Coupling“.
Oft hat die kommunistische Regierung in Peking bewiesen, dass sie willens ist, den Handel als Waffe der Außenpolitik einzusetzen, gegen Japan und Südkorea, gegen Australien und Taiwan. Nun sorgen sich auch Europa und Deutschland, dass Peking die Ausfuhr wichtiger Güter unterbinden oder die Einfuhr europäischer Produkte blockieren könne. Ein militärischer Konflikt um Taiwan könnte zum Auslöser werden, muss aber nicht der einzige Grund sein.
Unter den Tisch fällt in der politischen Diskussion, dass ein Großteil der Klagen über China gar nicht geopolitisch fundiert ist. Sie gründen darin, dass die chinesischen Unternehmen in vielen Bereichen nicht nur in der Masse, sondern auch in der Qualität zum echten Mitbewerber herangewachsen sind. Deutsche Hersteller von Solarpaneelen oder Elektroautos würden auch dann jammern und Anti-Dumping-Verfahren der Europäischen Union anstreben, falls China eine lupenreine Demokratie wäre. Es ist die Angst vor dem wirtschaftlichen Konkurrenten, nicht vor der autoritären Großmacht, die einen guten Teil der Sorgen über China bestimmt.
Lange nützte der wirtschaftliche Austausch Deutschland
Neu ist das nicht. Ähnliche Klagen über die „gelbe Gefahr“ gab es früher über Japan oder südostasiatische Tigerstaaten wie Hongkong oder Südkorea. Geblieben ist davon nichts. Die dynamischeren asiatischen Länder liefen in vielen Bereichen dem verkrusteten Deutschland den Rang ab oder zogen gleich. Umso mehr hat der stete wirtschaftliche Austausch mit diesen Ländern den Deutschen genutzt. Das gilt auch für China.
In zwei wichtigen Studien haben deutsche Ökonomen gerade versucht, die Kosten einer wirtschaftlichen Trennung von China näher zu bestimmen. Eine Ökonomengruppe um Moritz Schularick vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat in einer Simulation berechnet, dass eine Teilung der Welt in drei Handelsblöcke – der Westen, China und die neutralen Staaten – die deutsche Wirtschaft schwer schädigen würde. Auf kurze Sicht drohte eine Rezession in etwa so schwer wie im ersten Covid-Jahr, auf längere Sicht dauerhaft ein Wohlstandsverlust von etwa 1,5 Prozent. Eine teilweise Entkopplung vom China-Handel käme billiger. Das mag man für viel oder wenig halten. Wichtiger an der Studie ist der Verweis, wie sehr Unternehmen und Volkswirtschaften sich an wirtschaftliche Zwänge anpassen können.
Als China 2010 im territorialen Streit um die Senkaku-Inseln die Ausfuhr seltener Erden nach Japan blockierte, standen alle Vorzeichen pro China: ein dominanter Anbieter gegen einen scheinbar abhängigen Nachfrager. Doch weitere Anbieter seltener Erden standen schon in den Startlöchern. In der Nachfrage passten Japans Unternehmen sich zugleich diszipliniert an. Sie nutzten seltene Erden sparsamer oder ersetzten sie in Kopfhörern mit anderen Materialien. Das Export-Embargo schadete Japan kaum.
Drei Viertel der Unternehmen arbeiten an diversifizierteren Lieferketten
Letztlich nutzte es gar, weil das Land eine potentielle Verwundbarkeit ausmerzte. Die Moral aus der Episode: Auch scheinbare Abhängigkeiten sind weniger gefährlich, weil Unternehmen sich in der Regel recht zügig anpassen. Das Münchner Ifo-Institut berichtet, dass auch drei Jahre nach Covid 75 Prozent der deutschen Industrieunternehmen daran arbeiten, ihre Lieferketten zu diversifizieren. Weil die Unternehmen lernen, muss man annehmen, dass das China-Risiko schon abnimmt.
Auch die Deutsche Bundesbank hat in einer Studie das Risiko einer Entkopplung von China oder einer schweren Wirtschaftskrise in China untersucht. Weil China der größte Handelspartner Deutschlands ist, überrascht es nicht, dass vom Handel über Investitionen bis in den Büchern der deutschen Banken teils große Risiken stecken, sollte der Austausch mit China aus dem Lot geraten.
Wichtiger aber ist der kleine Hinweis der Bundesbank, dass China in hohem Maße im Handel und in der Technologie stark von den westlichen Industriestaaten abhinge. Handel ist nie eine Einbahnstraße. Wer wie China dem Westen etwas verkaufen will, muss auch vom Westen etwas kaufen. Das sollten westliche Handelskrieger bedenken, bevor sie China nur noch als geopolitisches Risiko sehen. Auch China hat Interesse an europäischen Waren, wenn diese denn qualitativ und technisch erstklassig sind.
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