Pannen-Bahnhof: Darum könnte sich Stuttgart 21 noch mehr verzögern

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Unfertige Großbaustelle: Beim „Tag der offenen Baustelle“ strömen Besucher in die neue Bahnhofshalle.

Die vollständige Eröffnung des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs könnte sich nach Informationen dieser Zeitung von Ende 2025 auf Herbst 2026 verschieben. Bei einer provisorischen Inbetriebnahme des neuen Tiefbahnhofs könnten nach vorläufigen Planungen der Bahn wohl nur zwei bis drei Züge pro Stunde abgefertigt werden. Außerdem müsste wahrscheinlich ein provisorisches elektronisches Stellwerk in Betrieb genommen werden.

Ein Sprecher der Projektgesellschaft Stuttgart 21 sagte hingegen, die Inbetriebnahme sei weiterhin für Dezember 2025 vorgesehen. Der nächste Netzfahrplan für 2026 werde jedoch noch auf „Basis der alten Infrastruktur mit dem bestehenden Kopfbahnhof“ erstellt. Wie viele Züge bei einer Eröffnung 2025 stündlich in den neuen Bahnhof einfahren könnten, will die Bahn erst im Juni dieses Jahres angeben. Ziel sei es, „alle wesentlichen Elemente von Stuttgart 21 bis spätestens Ende 2026“ in Betrieb“ zu nehmen. Damit gesteht die Bahn faktisch ein, dass der neue Bahnhof im kommenden Jahr keinesfalls der zentrale Umsteigebahnhof für den Fern- und Regionalverkehr sein wird.

In der Landespolitik Baden-Württembergs und in der grün-schwarzen Landesregierung steigt der Druck. CDU, SPD, FDP und Grüne wünschen sich fast alle eine sichere, erfolgreiche und möglichst chaosfreie Inbetriebnahme des gesamten Bahnhofs. Der grüne Fraktionsvorsitzende Andreas Schwarz sagte der F.A.Z.: „Das kann uns nicht zufriedenstellen. Die Bahn hat mantraartig wiederholt, dass Stuttgart 21 zum Fahrplanwechsel 2025 in Betrieb geht.“ Er sehe keinen Konfettiregen für eine Eröffnung im kommenden Jahr. „Es ist daher grundlegend und von höchster Dringlichkeit, dass wir erfahren, wie eine Inbetriebnahme aussehen wird. Wir drängen auf eine Inbetriebnahme, die funktioniert! Einen Holperstart darf es nicht geben.“ Auch der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Thomas Dörflinger, plädierte für eine Verschiebung, falls zur Inbetriebnahme nicht der „volle versprochene Leistungsumfang“ angeboten werden könne.

pannen-bahnhof: darum könnte sich stuttgart 21 noch mehr verzögern

30.03.2024, Baden-Württemberg, Stuttgart: Zahlreiche Besucher strömen bei den ·Tagen der offenen Baustelle” am Stuttgarter Hauptbahnhof durch den alten Bonatzbau. Der Denkmalgeschütze Bonatzbau wird für den neuen Bahnhof umgebaut. Wann der neue Bahnhof in Betrieb geht, ist weiterhin unklar. Interessierte können ihn über die Ostertage aber zumindest besichtigen. Es finden erneut die Tage der offenen Baustelle statt. Eigentlich sollte dieser im Dezember 2025 durch den neuen Tiefbahnhof ersetzt werden. Ob und wie der neue Tiefbahnhof dann in Betrieb gehen kann, will die Bahn bis Juni entscheiden. (zu dpa: «Riesenandrang auf Baustelle von Stuttgart 21») Foto: Christoph Schmidt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

„Nach der langen Bauphase des Projekts muss es das Ziel bleiben, dass der Digitale Knoten am besten insgesamt in Betrieb geht“, sagte der Schienenverkehrsbeauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer (FDP), der F.A.Z. Die Ampelkoalition wünsche eine „frühestmögliche Fertigstellung von Stuttgart 21“, dafür müssten Kapazität und Betriebsqualität gesichert sein.

Es hapert an der Digitalisierung

Nach F.A.Z.-Informationen soll ein wesentlicher Grund für die Verzögerungen sein, dass elektronische Bauteile, die für die Digitalisierung des neuen Bahnknotens benötigt werden, nicht zertifiziert sind. So soll die Zertifizierung von „Object Controllern“, die den Betriebszustand etwa von Weichen und Stellwerken melden, im ersten Anlauf gescheitert und bis heute nicht geklärt sein. In einer schriftlichen Stellungnahme der Bahn hieß es: „Die Verzögerungen sind bei der Generik für neuentwickelte Komponenten entstanden. Generik bedeutet, dass die im Pilotprojekt Digitaler Knoten Stuttgart entwickelte Technik zunächst eine grundsätzliche Zulassung benötigt, um sie anschließend sowohl im Pilotprojekt als auch im gesamten Netz der Deutschen Bahn einsetzen zu können.“

Ein weiteres Problem soll die Finanzierung der dritten Stufe der Digitalisierung des Bahnknotens sein. Im Dezember 2023 beschlossen die Projektpartner Bund, Land, Stadt und Region Stuttgart dazu eine Finanzierungsvereinbarung: 471 Millionen Euro zahlt der Bund, 180 Millionen Euro die Bahn. Doch die Gelder sind von den Bahn-Gremien derzeit offenbar nicht freigegeben.

Die Projektgesellschaft teilte hierzu mit: „Im Dezember 2023 wurde die Finanzierungsvereinbarung (…) lediglich unter Gremienvorbehalt gezeichnet, da die Finanzmittel für das Gesamtprogramm Schieneninfrastruktur derzeit insgesamt nicht auskömmlich sind. Wir befinden uns in engen Gesprächen mit dem Bundesverkehrsministerium zur Abdeckung der Finanzierung der folgenden Leistungsphasen.“ Die Ausgestaltung der Bahndigitalisierung hänge auch von den Geldern ab, die im Bundeshalt 2025 sowie in den Folgejahren zur Verfügung stehe. Schienenverkehrsbeauftragter Theurer sagte, Bundestag und Bundesregierung hätten alle drei digitalen Baustufen freigegeben, jetzt müsse es die Bahn „zügig zum Abschluss“ bringen.

Die dritte Digitalisierungsstufe soll im Stuttgarter Bahnknoten von 2029 bis 2032 in Betrieb genommen werden. Geschieht das nicht, hätte das unmittelbare Auswirkungen auf andere Bahnprojekte jenseits von Baden-Württemberg. Auch die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München soll mit der in Stuttgart erprobten Technik ausgestattet werden. Die Projektgesellschaft erklärte hierzu: „Zu zeitlichen Wechselwirkungen können aktuell noch keine Aussagen gemacht werden.“ Im Pilotknoten Stuttgart sollten Technologien für das Verkehrskapazitätsmanagement und das halbautomatische Fahren getestet werden, bevor sie auch in München eingesetzt werden sollen.

Eine weitere Frage ist, ob der Innenausbau des Stuttgarter Durchgangsbahnhofs bis zum Herbst 2025 fertig sein kann. Die alte Bahnhofshalle, der Bonatz-Bau, wird keinesfalls fertig saniert sein. Das Gebäude ist derzeit völlig entkernt, die Fundamente sind freigelegt. 2026 soll der Bonatz-Bau zum Erreichen der Züge passierbar sein, voll nutzbar als oberirdischer Empfangsbau jedoch erst 2027.

In der neuen, unterirdischen Bahnhofshalle sind laut der Bahn nur erste Kabel für die Stromausrüstung und die technische Ausrüstung verlegt, Anlagen für Entrauchung, Belüftung sowie Zugsteuerung müssen noch installiert werden. Auf 27 von 28 Kelchstützen fehlen noch die Lichtaugen. Damit deren Montage bis zum kommenden Jahr gelingt, arbeiten nun mehrere Teams eines bayerischen Unternehmens am gleichzeitigen Einbau von zehn Lichtaugen. Nach Informationen dieser Zeitung kosten allein die 27 Lichtaugen etwa 250 Millionen Euro.

Konflikt zwischen Ingenieuren und der Bahn-Führungsetage

Innerhalb der Projektgesellschaft der Bahn gibt es einen massiven Konflikt zwischen der Arbeitsebene – den Technikern und Ingenieuren – und der Führung: Die Ingenieure befürchten, dass das Digitalisierungsprojekt für die Bahn auf nationaler Ebene beschädigt und in ein schiefes Licht gerückt wird, falls Ende 2025 nur eine Schmalspurversion des neuen Bahnhofs eröffnet würde. Die Unternehmensführung möchte aber vor allem den Druck auf den Ausrüster Thales/GTS hochhalten, damit das Vorhaben vorankommt. Dieses Unternehmen entwickelt und produziert die Elemente zur digitalen Zugsteuerung und lässt diese zertifizieren. Die Bahn schickte schon eine zweistellige Zahl von Mitarbeitern zu Thales/GTS, damit dort besser und schneller gearbeitet wird.

Für eine Verschiebung der Inbetriebnahme würde zudem sprechen, dass der zusätzliche ICE-Bahnhof an der Messe und dem Stuttgarter Flughafen, die Wendlinger Kurve und der Cannstatter Tunnel dann auch fertig wären.

Der frühere Chef der Schweizer Bundesbahnen, Benedikt Weibel, nannte die Planungen für Stuttgart 21 kürzlich in einem Interview mit der Zeitung „Südkurier“ eine „gigantische Komplexitätsfalle“ und warf der Deutschen Bahn „kollektives Versagen aller Aufsichtsebenen“ vor. In der Schweiz und im Bodenseeraum ist man grundsätzlich verstimmt, weil durch Stuttgart 21 die Strecke Stuttgart – Singen – Zürich vom neuen Hauptbahnhof vermutlich von 2026 bis 2032 abgekoppelt werden wird. Reisende in die Schweiz müssen dann immer in Stuttgart-Vaihingen umsteigen. Ursprünglich sollten die aus Zürich kommenden und dorthin fahrenden Züge über die S-Bahngleise in den neuen Hauptbahnhof fahren, doch damit wäre der Deutschlandtakt auf dieser Strecke keinesfalls realisierbar. Deshalb muss für weitere 2,7 Milliarden Euro der elf Kilometer lange Pfaffensteigtunnel, der Böblingen mit dem Stuttgarter Flughafen verbindet, gebaut werden. Der Planfeststellungsantrag wurde im April gestellt.

Weibel führte in dem Interview aus, ein digitaler Knoten sei eine „gigantische Aufgabe“, die man zunächst in „relativ einfachen Verhältnissen“ erproben müsse. Das sei in Stuttgart aber nicht der Fall. In der Schweiz habe man aus diesem Grund eine Neubaustrecke zunächst mit analoger und digitaler Technik ausgestattet. Wieder einmal zeige sich, dass Stuttgart 21 ein Immobilienprojekt der Stadt und kein Verkehrsprojekt sei. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt sogar gegen die Kappung der so genannten Gäubahnstrecke. Denn nach Auffassung der DUH werden viele Millionen Menschen vom transeuropäischen Bahnnetz abgetrennt und es wird gegen ursprüngliche Planfeststellungsbeschlüsse verstoßen.

Vor 13 Jahren kamen die Grünen auch dank der Protestbewegung gegen Stuttgart 21 in Baden-Württemberg an die Macht. Wenn die Bahn 2025 ein Chaos anrichtet, dürfte das Projekt abermals Thema für einen Landtagswahlkampf sein. Sollte die Bahn die Eröffnung verschieben, wird Ministerpräsident Kretschmann den Bahnhof nicht mehr eröffnen. Zum Thema Bürokratie, Bau- und Planungskultur würde ihm für eine Grundsatzrede sicher viel einfallen.

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