Olaf Scholz: Ein chinesischer Abend in Chemnitz

olaf scholz: ein chinesischer abend in chemnitz

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Chemnitz: Themen der Diskussion waren unter anderem die Kriege und Krisen in der Welt.

Olaf Scholz hat in dieser Woche in Weltregionen besucht, in denen ihm die Herzen nicht gerade zufliegen. Erst China. Dann Chemnitz. Am Freitagabend kommt der Kanzler zum Abschluss der Arbeitswoche in die „Stadt mit Köpfchen“. So hat die drittgrößte sächsische Stadt in Anspielung auf den überdimensionalen Karl-Marx-Kopf in ihrem Zentrum schon für sich geworben. Um die großen Themen soll es an diesem Abend gehen, um Krieg und Frieden, um die Ampel-Koalition und um Migration. Gut 300 Zuhörer sind ins Kulturzentrum „Kraftverkehr“ gekommen, meist Leser der „Freien Presse“, die den Kanzler-Talk veranstaltet.

Tatsächlich ist China nicht so weit weg an diesem Abend im südwestlichen Sachsen. Als es um Krieg und Frieden geht, kommt Scholz bald auf seine fernöstliche Reise zu sprechen. Die „zarte Pflanze diplomatischer Bemühungen“ will er mit China gemeinsam begießen. Man werde ein Treffen in der Schweiz organisieren, zu dem nicht nur die Freunde der Ukraine kommen sollen, sondern auch die Länder „mit, sagen wir mal, verschobenen Positionen“. Auf die Frage von Freie Presse-Chefredakteur und Moderator Torsten Kleditzsch, wie sicher er denn sei, dass er in der Frage von Krieg und Frieden richtig liege, lobt der Kanzler erst einmal sich selbst. „Ich habe starke Nerven, ich lasse mich nicht davon beeindrucken, was morgens gesagt oder geschrieben wird“.

Aus der „merkwürdigen“ öffentlichen Debatte könne man allerdings den Eindruck gewinnen, Deutschland sei auf dem letzten Platz, wenn es um die Unterstützung der Ukraine mit Waffen und Munition gehe, findet Scholz. Dabei habe man der Ukraine 28 Milliarden Euro gegeben oder zugesagt. Doch in Deutschland seien eben Abwägungen verpönt, mein Scholz, was zählt, seien Bekenntnisse. Das Wort Taurus fällt an diesem Abend nicht.

„Das ist dann ein öffentliches Glück“

Die Stadtflagge von Chemnitz sieht zwar aus wie die Fahne der Ukraine, nämlich oben ein blauer Streifen und darunter ein gelber, aber wohl nicht alle Stadtbewohner sind mit Kopf und Herz ganz bei der angegriffenen Nation. Er müsse doch nun endlich mal diplomatisch etwas tun, fordern gleich mehrere weißhaarige Herren vom Kanzler. Scholz macht nun einen kleinen Exkurs zu seinen Erfahrungen mit Wladimir Putin. „Er findet, die Ukraine und Belarus gehören zu seinem Land, und die will er haben.“ Und deswegen würde es Putin gut finden, wenn „ich oder Biden oder Macron den Filzstift nehmen und sagen, das ist deins, und das ist meins“. Irgendwie fühlt man sich an Karten vom Abschluss des Molotow-Ribbentrop-Pakts erinnert.

Scholz sagt, Putins Verhalten sei besorgniserregend und bedrohlich. „Wenn wir anfangen in Geschichtsbüchern zu blättern, wo früher mal Grenzen waren, dann haben wir in Europa 300 Jahre Krieg.“ Auch wenn der Satz etwas verrutscht, bekommt der Kanzler hier zum ersten Mal Beifall.

Auf die Frage, ob Deutschland kriegstüchtig sein müsse, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius es sagt, meint Scholz, viele hätten ja einen großen Landkrieg in Europa für ausgeschlossen gehalten. „Ich war da skeptisch, und habe mich über einige Entscheidungen gewundert. Und deswegen schon als Finanzminister für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr gesorgt.“ Eine Antwort, die verblüfft, wenn man an den Zustand der Streitkräfte denkt.

Dann geht es mitten in die Innenpolitik und den Streit in der Ampel. Ob der Job als Kanzler ihm denn Genugtuung bringe, will der Moderator wissen. Das sei ein falsches Wort, entgegnet Scholz. Er wolle im Kanzleramt keine schöne Zeit haben, sondern etwas für das Land tun. „Das ist dann ein öffentliches Glück“, zitiert er ein Wort der Philosophin Hannah Arendt.

Und es sei auch ein großes Glück, die drittgrößte Wirtschaftsnation, direkt hinter China, zu führen, auch wenn das eigene Land nur 84 Millionen Einwohner habe und nicht mehr als eine Milliarde. Damit Deutschland aber auch noch 2050 auf diesem Platz sei, habe seine Ampel-Regierung „die meisten Entscheidungen seit 20 Jahren getroffen“, etwa den Ausbau der Übertragungsnetze für die erneuerbaren Energien oder den Aufbau eines Wasserstoffnetzes.

Prognosen seien keine Wahlergebnisse

Nach diesem Selbstlob gibt Scholz immerhin zu, dass der Streit in der Ampel ein Problem sei, „weil er Unsicherheit schafft“. Einige Dinge seien „nicht so super gelaufen“, sagt er, und nennt das Heizungsgesetz. Als ein Politikstudent ihn fragt, wie er denn die Disziplin in der Koalition wieder herstellen wolle, er selbst habe zu der Frage kürzlich eine Arbeit geschrieben, sagt Scholz nur: „Schicken Sie mir die Arbeit, ich verteile sie.“ Damit hat er die Lacher auf seiner Seite, eine Antwort gibt er allerdings nicht. Warum er nicht mit der Faust auf den Tisch haue? Scholz sagt, dass Emmanuelle Macron, „mit dem ich sehr befreundet bin, auch wenn das öffentlich anders wahrgenommen wird“, es in der Innenpolitik nicht leichter als er habe, auch wenn dem französischen Präsidenten in der Regierung niemand widersprechen dürfe.

Ob er mit der Politik der Ampel die AfD stark gemacht habe, wird der Kanzler gefragt. Prognosen seien keine Wahlergebnisse, viele Leute würden sich schon noch Gedanken vor der Wahl machen, lautet die Antwort. Manche wählten die AfD wegen ihrer rechtsextremistischen Positionen, aber nicht alle Wähler seine rechtsextremistisch, womöglich sei das sogar die Mehrheit. Scholz nutzt die Gelegenheit, um an seine eigene Partei zu, die in Chemnitz zwar den Oberbürgermeister stellt, aber im Freistaat insgesamt schwach ist. Die SPD sei auch in Sachsen von armen Leuten und Handwerkern gegründet worden, es sei um deren Rechte gegangen, aber trotzdem hätten sie die Gesellschaft nicht auseinanderbringen wollen, wie es die AfD tue.

Unterschiedliche Einstellungen, etwa in den Großstädten oder auf dem Land, müssten allerdings akzeptiert werden. Und er selbst beteilige sich deshalb nicht an Debatten, „ob man gendern soll oder Würste essen soll“. Wenn eine Frau in Brandenburg zu ihm sage, sie sei Maurer, „dann haben wir alle eine gute Zeit, wenn wir gemeinsam ein Bier trinken“.

Vom Gendern ist der Weg nicht weit zur angeblichen Mutter aller Fragen, der Migration. Der Kanzler erinnert daran, dass es überall Probleme mit Migration gebe, auch in Ländern, „in denen nicht offen darüber gesprochen werden darf“, und meint wohl China. Ohne die sechs Millionen Arbeitskräfte aus dem Ausland, vor allem aus der EU, wäre die deutsche Wirtschaft längst zusammengebrochen, sagt er. Was die irreguläre Migration angehe, so habe die Ampel „die weitreichendsten Veränderungen seit 25 Jahren beschlossen“. Scholz nimmt dafür die Bezahlkarte in Anspruch und die geplante Digitalisierung der Ausländerbehörden, wobei er zugibt, dass er auch nicht verstehe, warum dafür drei Jahre notwendig sein sollen.

Er lobt die Einigung auf EU-Ebene, gibt aber zu, dass der EU-Pakt für Migration und Asyl von den Mitgliedsstaaten unterschiedlich interpretiert werde. Immerhin habe man jetzt „eine bessere Grundlage, um zu streiten.“ Auch sei eine Einigung in Asylfragen schwierig, wenn Länder wie Italien alle Migranten nach Deutschland durchwinkten. Lösungen seien langwierig und kompliziert, alles werde noch lange dauern, sagt Scholz dann. Überzeugend wirkt das nicht.

Eine junge Frau aus dem Erzgebirge, die Sprachkurse für Migranten organisiert, schildert, dass es an Geld fehle und an Kita-Plätzen für die Kinder. Auch wenn man die Sprache noch nicht perfekt beherrsche, könne man anfangen zu arbeiten, sagt Scholz dazu. Er berichtet von einem Bäcker in seinem Wohnort Potsdam, der viele Migranten eingestellt habe, auch ohne Deutschkenntnisse. „Die sind alle nett und können mittlerweile die Sprache“. Ab sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland könne man arbeiten. „Legt los!“, sagt der Kanzler. Dann bekommt er als Erinnerung noch eine Druckplatte der „Freien Presse“ überreicht, vom Tag seiner Kanzlerwahl. Scholz grinst dazu chinesisch und sagt leise „Tschüss“.

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