Timur Iwanow im „Aquarium“: Auf den Schulterklappen prangt der höchste zivile Rang russischer Staatsdiener
Ein ungewohnter Anblick bietet sich am Mittwoch in einem Moskauer Gericht: Hinter den Scheiben des „Aquariums“, wie der Angeklagtenkäfig genannt wird, steht ein Mann in dunkelgrüner Uniform. Es ist Timur Iwanow, 48 Jahre alt, glattrasiert und pausbackig. Die randlose Brille lässt ihn wie einen Buchhalter wirken, das graumelierte Haar ist nicht militärisch kurz.
Der Beschuldigte, den das Gericht unter dem Vorwurf, Schmiergeld in besonders großem Umfang erhalten zu haben, in Untersuchungshaft nehmen lässt, ist auch kein Soldat: Der silbrige Stern mit Blätterwerk und Doppeladler auf Iwanows Schulterklappen ist das Zeichen eines Staatsrats erster Klasse, des höchsten zivilen Rangs russischer Staatsdiener.
Der „Patriotenpark“ westlich von Moskau: Im Sommer 2023 präsentierte man hier erbeutete westliche Waffen
Der Ökonom war aber fast acht Jahre lang einer der Stellvertreter von Verteidigungsminister Sergej Schojgu – und hatte als Koordinator der Bauvorhaben des Militärs eine Schlüsselstellung inne. Wie lukrativ das für Iwanow war, haben unabhängige Rechercheure schon vor Jahren aufgezeigt, zunächst ohne Folgen. Doch jetzt ist Iwanow „der mit Blick auf Machthierarchie und Einfluss ranghöchste Verdächtige seit Anfang des Krieges“, wie die Journalistin Farida Rustamowa auf Telegram hervorhebt.
Zum Wohl: Nawalnyjs Team zeigt ein Bild von Timur Iwanow und Dmitrij Peskow im Bärenkostüm
Er gehört zu den reichsten Sicherheitsfunktionären
Viel wird nun darüber gesprochen, was Iwanows Sturz für Schojgu bedeutet, Präsident Wladimir Putins Mann für Krieg. Spätestens von 2012 an hat Iwanow für Schojgu gearbeitet. Damals fungierte Schojgu, der zuvor den Katastrophenschutz aufgebaut und das entsprechende Ministerium geführt hatte, einige Monate als Gouverneur des Moskauer Gebiets. Im Herbst jenes Jahres folgte er auf den – seinerseits über eine Korruptionsaffäre gestürzten – Anatolij Serdjukow im Amt des Verteidigungsministers. Iwanow ging mit Schojgu mit, führte ein ministeriumseigenes Bauunternehmen, bis er 2016 den Vizeministerposten erhielt.
Für Schojgu trieb Iwanow auch die wichtigsten Bauvorhaben voran. So die Errichtung des „Patriotenparks“ westlich von Moskau, wo das Verteidigungsministerium regelmäßig Großveranstaltungen abhält. Auf dem Gelände steht auch die „Hauptkirche der Streitkräfte“, geweiht 2020 als mit 95 Metern weltweit dritthöchste orthodoxe Kirche.
Wer sich Moskau von Westen im Auto nähert, sieht den Koloss in Dunkelkhaki über Baumwipfel ragen; es wirkt, als trage das Gotteshaus unter goldfarbenen Dächern und Kreuzen Uniform. Es feiert den Sieg im Zweiten Weltkrieg 1945 ebenso wie die Annexion der ukrainischen Krim 2014, verquickt Religion mit Weltlich-Bizarrem. In der Kirche „befinden sich echte Reliquien“, schwärmte Iwanow einmal im Staatsfernsehen, „einzigartige Sachen sind dort, bis hin zu einem Anzug Hitlers, der erhalten geblieben ist. Auch Mützen Hitlers sind dort.“
Schon 2019 führte der russische Ableger des Magazins „Forbes“ Iwanow auf einer Liste der „reichsten Silowiki“, russischer Sicherheitsfunktionäre. Da hatte das Investigativmedium „Projekt“ Iwanow und seiner damaligen Frau, Swetlana Maniowitsch (später Iwanowa), schon Luxusimmobilien in und nahe Moskau – an der sogenannten Rubljowka, einem Sammelpunkt von Putins Elite nahe dessen Hauptresidenz – zugeordnet, deren Wert mit offiziellen Bezügen nicht zu erklären war.
Ende 2022 enthüllten die Antikorruptionskämpfer des Putin-Widersachers Alexej Nawalnyj weitere Details des Luxuslebens Iwanows und Maniowitschs: Jährliche Reisen in Villen an die französische Côte d’Azur, Autos der Marke Rolls Royce in Frankreich und Moskau, häufiges Juwelen- und Mode-Shopping der Frau in Paris und Moskau für Hunderttausende Euro. Oftmals, so die Rechercheure, zahlten Bauunternehmen, mit denen das Verteidigungsministerium Geschäfte machte, Rechnungen für die Familie des Auftragskoordinators.
Iwanow posierte gern mit Putins Sprecher
Auch während des Überfalls auf die Ukraine Ende Februar 2022 und danach bereiste Maniowitsch demnach weiter ungehindert die EU, etwa, um eine Tochter in Paris zu besuchen. Iwanow koordinierte derweil Bauprojekte in der vom russischen Militär zerstörten ukrainischen Hafenstadt Mariupol. Von den Vereinigten Staaten wurde Schojgus Stellvertreter im März 2022, von der EU erst im Oktober jenes Jahres mit Sanktionen belegt. Anders Maniowitsch. Das Paar ließ sich im Sommer 2022 scheiden; eine weitere Recherche von Nawalnyjs Leuten offenbarte im vergangenen Juli, dass Iwanow mittlerweile mit Marija Kitajewa liiert ist: Die Tochter einer zu gewaltigem Reichtum gelangten Moskauer Baufunktionärin begann beim Fernsehen, drehte mit Putin, wurde von Schojgu als Beraterin ins Verteidigungsministerium geholt und bekam mit einem weiteren Stellvertreter des Ministers drei Kinder. Mittlerweile soll Kitajewa, die ebenfalls auch nach dem russischen Überfall von 2022 in die EU reiste, ein Moskauer Museum beraten.
Aufnahmen aus dem Leben Iwanows zeigen neben Luxusattributen wie Yachten, Autos und Champagner etliche bekannte Gesichter. Anderen voran das von Putins Sprecher taucht immer wieder auf: Mal sieht man Dmitrij Peskow mit Iwanow und Frauen beim Urlaub im sibirischen Altaigebirge (wo der Sprecher in ein Bärenkostüm schlüpfte), mal auf einer Feier an der Rubljowka: Peskow bringt einen Trinkspruch aus, Iwanow tritt hinzu und verdeckt eine laut Nawalnyjs Mitstreitern umgerechnet rund 70.000 Euro teure Uhr am Handgelenk des Sprechers, indem er den Ärmel von dessen Wolljacke darüber zieht, offenbar zum Scherz: Der Reichtum ist als Ausweis von Macht und Einfluss kein Tabu. Aber nur, solange Putins Gunst trägt.
Bald, nachdem das Ermittlungskomitee am Dienstagabend über die Festnahme Iwanows informiert hatte, sagte Peskow knapp, der Präsident sei darüber „unterrichtet“, Schojgu davon „zuvor in Kenntnis gesetzt worden“. Noch am Dienstagmittag hatte Iwanow an einer Sitzung mit Schojgu teilgenommen, auf der Letzterer der Ukraine angedroht hatte, „die Angriffe auf logistische Zentren und Aufbewahrungslager westlicher Waffen zu intensivieren“.
Prigoschin besorgte einen Evakuierungsflieger
Putin hat angekündigt, dass aus der „Spezialoperation“, dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, eine „neue Elite“ hervorgehen solle. Wie weit er geht, ist nicht ausgemacht. Am 7. Mai wird Putin abermals ins Präsidentenamt eingeführt. Danach wird eine Regierungsumbildung erwartet. Sollte Iwanows Chef Schojgu, über den es gleichfalls etliche Korruptionsrecherchen gibt, sein Amt behalten, dann mit „stark gestutzten Flügeln“, hebt der Journalist Dmitrij Kolesew hervor: „Über ihm wird das Damoklesschwert eines Strafverfahrens hängen.“ Am Mittwoch wurde erst einmal auch ein mit Iwanow verbundener Unternehmer in Haft genommen. Unklar war das Schicksal der früheren Frau Iwanows, die angeblich nicht für ihre Verwandten zu erreichen war. In manchen „Z-Kanälen“ feierten Kriegsenthusiasten die Festnahme Iwanows, auf der Linie Jewgenij Prigoschins.
Der Anführer der Wagner-Miliz, der im August genau zwei Monate nach seinem Aufstand bei einem Flugzeugabsturz umkam, hatte Schojgus Leuten Korruption vorgeworfen. Doch auch Prigoschin kommt in den Recherchen von Nawalnyjs Mitstreitern zum Luxusleben der Moskauer Baulöwenelite vor: Er besorgte demnach 2016 auf Initiative Iwanows einen Evakuierungsflug, der die damals schwangere Kitajewa aus Italien nach Moskau brachte, als verfrühte Wehen einsetzten.
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