Briefe an die Herausgeber vom 29. November 2023

briefe an die herausgeber vom 29. november 2023

Pfingstreise zum 9-Euro-Schnäppchen: Das günstige Ticket war der populärste Teil des Hilfspakets, mit dem die Ampel 2022 den Energiepreisschock lindert.

Deutsche Krisenpolitik

Zu dem Beitrag „Kann die Wirtschaftspolitik Krise?“ von Rüdiger Bachmann (F.A.Z. vom 7. November): In seiner ausführlichen Analyse und Bewertung der beispiellosen Krisenpolitik nach den wirtschaftlichen Schocks durch die Corona-Pandemie und den russischen Krieg in der Ukraine mit ihren binnenwirtschaftlichen Auswirkungen der enormen Rettungspakete in Deutschland und den USA stellt der in den USA lehrende Ökonomie-Professor Rüdiger Bachmann der deutschen Krisenpolitik am Beispiel zweier Studien zum Kinderbonus und der befristeten Mehrwertsteuersenkung insgesamt ein gutes Zeugnis aus. Er kritisiert jedoch den im „internationalen Vergleich schlechten Zustand der deutschen Dateninfrastruktur“, sodass die deutsche Krisenpolitik 2020 „weitgehend im Blindflug“ operierte. „Die unzureichende Datenverfügbarkeit gefährdet jedenfalls systematisch die faktenbasierte Bewertung von Maßnahmen, erzeugt unnötige Unsicherheit und verhindert ein Lernen der Wirtschaftspolitik“. Die Frage, ob die Wirtschaftspolitik Polykrisen bewältigen kann, lässt sich allerdings erst dann wirklich klarer beantworten, wenn man auch ihre Auswirkungen auf das internationale Finanzsystem in die Bewertung miteinbezieht. Angesichts der zusätzlich durch die Krisenpolitik aufgeblähten und immer noch wachsenden Schuldenberge ist große Skepsis angesagt, denn internationale Institutionen wie IWF, Weltbank, EZB und BIZ warnen seit Jahren ständig vor den Gefahren einer heraufziehenden Systemkrise, weil seit der Weltfinanzkrise von 2008/09 neben einigen Verbesserungen zahlreiche neue Gefahrenherde hinzugekommen sind.

Aber das bedarf einer gesonderten Analyse und Bewertung, die uns sicherlich auch Rüdiger Bachmann liefern könnte, denn die Krisenvielfalt ist durch den Nahostkrieg erweitert worden und hält wohl noch lange an! Hans-Henning Koch, Berlin

Nach dem Verfassungsurteil

Lars Feld, der Finanzminister Christian Lindner als persönlicher Beauftragter in Wirtschaftsfragen berät, hat in seinem Beitrag „Finanzpolitik nach dem Verfassungsurteil“ (F.A.Z. vom 21. November) die Ansicht vertreten, dass der Gesetzgeber die „neue Rechtslage“, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Nachtragshaushalt 2021 ergebe, „erst seit dem 15. November“ kenne und daher „davon ausgehen“ dürfe, „dass die erhöhten Darlegungspflichten in der Notlage erst für die Zukunft gelten“. Deshalb könne der Gesetzgeber für den Haushalt 2023 jetzt noch eine Notlage feststellen, ohne diese näher begründen zu müssen – das sei erst für den Haushalt 2024 erforderlich. Dabei übersieht der Autor gleich drei Aspekte: Erstens ist die Rechtslage keineswegs neu. Das BVerfG hat ja nicht mit einer Art Gestaltungsakt ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt und damit eine andere Rechtslage geschaffen. Vielmehr hat das Verfassungsgericht lediglich festgestellt, dass das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 (immer schon) verfassungswidrig und damit nichtig war. Zweitens hat das BVerfG die Verfassungswidrigkeit des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 unter ­anderem damit begründet, dass „der Gesetzgeber den notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den ­ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt“ hatte. Nach Auffassung des BVerfG sei eine solche Darlegung aber erforderlich, um der demokratischen Öffentlichkeit eine Kontrolle zu ermög­lichen. Im Gesetzgebungsverfahren darzulegen seien die Diagnose der ­Naturkatastrophe oder der außergewöhnlichen Notsituation sowie ihrer Ursachen, die Absicht, durch die erhöhte Kreditaufnahme diese Notlage abzuwehren oder zu überwinden, und die begründete Prognose, dass und wie durch die erhöhte Kreditaufnahme dieses Ziel erreicht werden kann, sie also zur Beseitigung der Notlage geeignet erscheint (Rn. 150 der Entscheidungsgründe). Auch das im Jahr 2022 – also in der Vergangenheit – beschlossene Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 scheiterte somit in Karlsruhe bereits an der fehlenden Substantiierung der Notlage durch den Gesetzgeber. Die Ansicht von Feld, das sei eine neue Rechtslage und gelte nur für zukünftige Haushaltspläne, ist angesichts der klaren Aussagen im Urteil des BVerfG schlechterdings unvertretbar. Und schließlich drittens: Wenn dem Gesetzgeber die (unterstellt) neue Rechtslage nun seit dem 15. November 2023 bekannt ist, dann hat er sich ab diesem Zeitpunkt daran zu halten. Warum es jetzt noch zulässig sein soll, in Kenntnis der Rechtslage rückwirkend für den Haushalt 2023 rasch noch eine Notlage festzustellen und dabei die vom BVerfG vorgegebenen Darlegungspflichten zu vernachlässigen, ist nicht nachvollziehbar. Die Ampelkoalition wäre schlecht beraten, wenn sie auf der Grundlage einer solchen Einschätzung gleich den nächsten verfassungswidrigen Bundeshaushalt beschließen würde. Stephan Altenburg, München

Schlecht gelaunte Meinung

Verschiedene Artikel von Edo Reents habe ich gelegentlich mit Interesse gelesen. Seine direkte Art, vieles außerhalb des vermuteten F.A.Z.-Mainstreams anzugehen, fand ich bereichernd für die Themenbreite in der F.A.Z. Manches war zudem mit Esprit geschrieben. Man freute sich, wie sehr er auf den Punkt kam. Leider konnte dieses Niveau nicht gehalten werden. Der heutige Artikel zur deutschen Bahn „Bedingt fahrbereit“ (F.A.Z. vom 24. November) ärgert sehr. Natürlich versteht Herr Reents nicht alles im Detail – wer tut das schon – und muss es vielleicht auch nicht. Aber in diesem Artikel so oberflächlich über die Deutsche Bahn zu schreiben, von deren Rahmenbedingungen er anscheinend kaum etwas versteht, um dann mal kurz mit wenigen Worten das Bundesverfassungsgericht abzuwatschen, nähert sich meiner Ansicht nach dem Stammtisch oder – in seiner arroganten Selbstsicherheit – dem AfD-Niveau. Das ist so platt, dass ich es in der F.A.Z. nicht für möglich gehalten hätte. Okay, ein Meinungsartikel. Aber die schlecht gelaunte Meinung von Herrn Reents versuche ich künftig von mir fernzuhalten. Schade. Martin Sigmund, Bonn

Was das kostet!

Den Artikel „Bedingt fahrbereit“ von Edo Reents in der F.A.Z. vom 24. November habe ich mit großem Interesse gelesen. Die Geschicke der Bahn liegen mir sehr am Herzen, und diesen Brief schreibe ich im Zug von Frankfurt nach Leipzig. Neun Jahre meines BerufslebenS – von 1982 bis 1989 als Leiter des Referats „Finanzfragen des Verkehrs“ im Bundesfinanzministerium und 2000/2001 als Vorstand für Infrastruktur in der DB Netz AG – habe ich den Finanzfragen der deutschen Eisenbahn gewidmet. Dabei wurde mir frühzeitig klar, dass die Eisenbahninfrastruktur (wenn man Umweltfragen außer Acht lässt) bezogen auf die Transportkapazität grundsätzlich weitaus teurer als die Straße ist. Dieser Sachverhalt ist unaufhebbar. Die für die Bahn insgesamt zur Verfügung stehenden Finanzmittel haben aber durchgehend in der gesamten Nachkriegszeit bis in die Gegenwart niemals ausgereicht, um gleichzeitig das vorhandene Netz in gutem zeitgemäßen Zustand zu erhalten und Neubau in großem Stil zu betreiben. Auch die 1994 erfolgte Überleitung von Bundesbahn und Reichsbahn in die Deutsche Bahn AG konnte dieses Problem nicht lösen. Zwar durfte man sich durch die Veränderung der Rechtsform den ein oder anderen Effizienzgewinn erhoffen, das änderte aber nichts daran, dass der Unterhalt des Oberbaus, die Signaltechnik, Brücken, Tunnel, Neubaustrecken und so weiter nun mal das kosteten, was sie kosten. Der Versuch, die Zahlen der Deutsche Bahn AG in Richtung Privatisierung hinzutrimmen, und die teuren Neubauprojekte führten seit Mitte der Neunzigerjahre zu einer über Jahrzehnte anhaltenden, sträflichen Vernachlässigung des Netzzustands. Die Folgen sehen wir heute. Auch die zeitweilige Verschiebung ganzer Investitionspakete in Fonds außerhalb des Haushalts ändert an den tatsächlichen Kosten der Bahninfrastruktur nichts, sondern kann sie allenfalls verschleiern. Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwingt die Bundespolitik dazu, sich jetzt umfassend ehrlich zu machen. Das reicht vom Bürgergeld über die Bundeswehr bis hin zur Eisenbahninfrastruktur. Wenn die deutsche Politik das nicht schafft, wird in den nächsten Jahren in Deutschland mehr zerbröseln als das eine oder andere Brückenbauwerk bei der Deutschen Bahn. Dr. Thilo Sarrazin, Berlin

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