Kommentar: Lauterbachs Notfallreform ist ein Fortschritt

kommentar: lauterbachs notfallreform ist ein fortschritt

Ein Krankenwagen in Frankfurt am Main

Die geplante Notfallreform des Gesundheitsministers mag spät kommen, doch richtig ist sie allemal. Der Sozialdemokrat Karl Lauterbach will erreichen, dass Patienten in Notlagen besser versorgt werden, und besser bedeutet in diesem Fall: an der richtigen Stelle des Gesundheitswesens. Dessen Aufteilung in sogenannte Sektoren macht es Kranken seit jeher schwer, sich einen Weg durch die Zuständigkeiten zu bahnen. Viele Patienten mit leichten Erkrankungen suchen die Notaufnahmen der Krankenhäuser auf, die eigentlich für lebensbedrohliche Fälle ausgestattet sind, und nicht den Hausarzt oder den Notdienst der niedergelassenen Kassenärzte.

Lauterbach will das ändern und in Krankenhäusern sogenannte Integrierte Notfallzentren einführen. Patienten sollen sich an einem Tresen anmelden, dessen Personal sie auf den passenden Versorgungsweg weiterleitet: die leichteren Fälle zu den Kassenärzten, die schwereren in die Notaufnahme. Den Dualismus der Sektoren will Lauterbach auch bei den telefonischen Leitstellen verringern, indem die jeweiligen Notrufnummern miteinander vernetzt werden. Der Rettungsdienst ist unter der 112 erreichbar, der Notdienst der Kassenärzte unter der 116 117. Wenn sich Bund und Länder einigen – was nicht ausgemacht ist –, sollen Anrufer von einem System zum anderen hin­übergestellt werden.

In einer idealen Welt gäbe es freilich nicht zwei Telefonnummern, sondern nur eine. Und es stünde auch nicht der stationäre Sektor dem ambulanten gegenüber, sondern alles wäre eins. Diese Utopie, von der im Gesundheitswesen immer wieder bunt geträumt wird, vermag selbst Lauterbach nicht wahr werden zu lassen. Dem Bund fehlen dazu die Kompetenzen.

Debatte prägt bisweilen ein feindseliges Bild von Patienten

Die Notfallreform ist nicht nur in der Sache ein Fortschritt, sondern auch im Ton – denn die Debatte hat zuletzt eine unschöne Schlagseite bekommen. Weil vielerorts zu viele Patienten die Notaufnahmen aufsuchen, machte immer wieder die Phantasie die Runde, dass eine Strafgebühr für Bagatellfälle das Pro­blem lösen könne. Unter anderem vertrat die Unionsfraktion im Bundestag diese Position. Dahinter steht nicht nur eine fragwürdige Auffassung von sozialer Gerechtigkeit, weil sich Menschen mit wenig Geld ohne Zweifel dreimal überlegen dürften, ob sie mit Schmerzen in der Brust spätabends in die Notaufnahme gehen.

Vor allem verbirgt sich hinter dem Vorschlag, die Leute über Abgaben „besser“ in ein intransparentes System zu lenken, ein unrealistisches und bisweilen feindseliges Bild von Patienten. Natürlich können viele Ärzte auf einen Blick einschätzen, ob das Ziehen in der Wade von einem Mückenstich herrührt oder von einer gefährlichen Beinvenenthrombose. Doch den meisten Patienten fehlt diese Kompetenz. Sie können oft nicht wissen, ob ihre Schmerzen auf ein Pro­blem zurückgehen, das zügig behandelt werden muss. Solche Fragen zu klären – ob am Telefon oder im unmittelbaren Kontakt – und den Menschen dabei die Angst zu nehmen ist eine wesentliche Aufgabe des Gesundheitswesens.

Selbst wer aus Bequemlichkeit die Notaufnahme aufsucht, statt sich einen Termin beim Facharzt zu organisieren, handelt nicht unmoralisch. Die Klinik wäre wohl kaum eine Option, wäre der Termin in der Praxis leicht zu bekommen. Die Vorstellung, dass Menschen aus Bosheit, Egoismus oder um dem System ein Schnippchen zu schlagen, stundenlang im Wartebereich einer Notaufnahme ausharren, ist absurd.

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