Am Samstag fliegt der Bundeskanzler zu Chinas Partei- und Staatsführer Xi Jinping. Es wird keine einfache Reise: Olaf Scholz muss die Balance aus Zusammenarbeit und Abschreckung gelingen.
Sind sich ähnlicher, als man erwarten würde: Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Nachfolger Olaf Scholz (SPD).
Seine Art, mit Problemen umzugehen, abzuwarten und die Dinge laufen zu lassen – darin erinnert Olaf Scholz stark an seine Vorgängerin Angela Merkel. Das gilt auch für die Außenpolitik, vor allem im Umgang mit Peking. Allen guten Vorsätzen in der neuen China-Strategie zum Trotz. So kann, so darf es nicht weitergehen.
Doch merkeln ist keine Option, wenn der Kanzler ab Samstag durch die Volksrepublik tourt.
Die Kanzlerin betrieb bis zuletzt eine wirtschaftsfokussierte China-Politik. Als sie 2005 die Regierungsgeschäfte übernahm, war das Land ein begehrter Handelspartner. Wachstumsraten dort von gut elf Prozent machten die Welt sprachlos – und neidisch. Aufbruch und Zusammenarbeit prägten diese glorreichen Jahre Ende der 1990er, Anfang der 2000er – und die deutsche Wirtschaft begann, die eigenen Strukturen mit den chinesischen zu verflechten. Rekordgewinne waren der Lohn. Die Hoffnung: Es möge immer so weitergehen.
Dabei geht nichts einfach so weiter, schon seit Jahren nicht mehr. Der von der Bundesregierung lang beschworene Wandel durch Handel ist krachend gescheitert. Seit Xi Jinpings Aufstieg zum Partei- und Staatsführer wird das Land zunehmend totalitärer. Er setzt auf zweifelhafte Partnerschaften, wie zu Russland, und treibt einen expansionistischen Kurs im Südchinesischen Meer voran.
Parallel dazu hält er seine nationale Wirtschaft dazu an, sich unabhängig zu machen von internationalen Märkten und ausländischen Technologien. Mit diesem De-Risking hat Europa jetzt auch begonnen, jedoch viel zu langsam. Dabei müsste jedem Staats- und Regierungschef bewusst sein: War die Loslösung vom russischen Energiemarkt schmerzhaft, so wäre ein ähnlich abruptes Sanktions-Szenario mit China – etwa bei einem Überfall auf die Insel-Demokratie Taiwan durch Pekings Truppen – ein wirtschaftlicher Totalschaden. Doch statt sich auf ein derartiges Szenario ernsthaft vorzubereiten, hat etwa die BASF im vergangenen Jahr ein Investitionspaket in Höhe von zehn Milliarden Euro für die Volksrepublik beschlossen.
Das zeigt: Wirtschaftskonzerne denken in Märkten – und das größte Wachstumspotenzial in der Chemiebranche liegt Prognosen zufolge in China. Wird jetzt nicht groß investiert, machen andere das Geschäft. Ein klassischer Fall von Fomo, der Fear of missing out. Aber wollen wir wirklich, dass Unternehmen, getrieben von der Angst, etwas zu verpassen, den größten Einfluss auf unsere politischen Entscheidungen haben?
Prioritär für sie sind nicht die deutschen Interessen, sondern ihre eigenen Gewinne. Das ist verständlich – nur eben dann schädlich, wenn sie aufgrund einer zu großen Abhängigkeit von China erpressbar werden und es dennoch schaffen, Scholz wie einst Merkel als ihre Markenbotschafter auftreten zu lassen.
Soll die Bundesregierung deutsche Firmen bei ihrem Chinageschäft unterstützen, könnte sie hierfür eine Gegenleistung erwarten, in Form von Verantwortung zum Beispiel. Die Großunternehmer könnten helfen, politische Grenzen zu ziehen. Eine wäre, wie BASF, den Standort Xinjiang zu verlassen, um zu signalisieren, dass sie die Menschenrechtsverletzungen gegen Uiguren und andere Muslime ablehnen und sich nicht mehr für das White Washing in der Region instrumentalisieren lassen. VW tut das bislang nicht.
Die andere Grenze ist die Lage in der Straße von Taiwan, eine der weltweit wichtigsten Seerouten: 50 Prozent aller Handelsschiffe fahren dort hindurch. Auf seiner Reise muss Scholz zu verstehen geben, dass eine Veränderung des Status quo durch Peking, etwa in Form einer Seeblockade oder einer Invasion, fatale Folgen und hohe ökonomische Kosten für Deutschland ebenso wie für China hätte.
Die EU hat die Kraft, abzuschrecken – doch wirksam wird das nur, wenn alle, auch und vor allem Deutschland, an einem Strang ziehen. Angesichts ihres Wirtschaftskriegs mit den USA hoffen die Chinesen, dass sich die Europäer nicht ausschließlich auf die Seite der Amerikaner schlagen.
Damit hat Scholz einen Trumpf in der Hand. Den muss er jetzt ausspielen. Denn: China hat sich verändert – also müssen wir uns verändern. Was klingt wie ein Kalenderspruch, fasst die Misere treffend zusammen. Scholz muss Xi klarmachen: Deutschland möchte gute Beziehungen zu China, aber nicht um jeden Preis.
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