Doch kein "soft landing" für die US-Wirtschaft? - Experten befürchten "no landing"-Szenario

• US-Aktienmarkt hat “soft landing” für Wirtschaft eingepreist

• “No landing”-Szenario wird wahrscheinlicher

• Sollten Anleger Vorsicht walten lassen?

An den Börsen weltweit ist bislang im noch jungen Jahr 2024 bereits viel passiert. Getrieben durch zahlreiche Bilanzvorlagen, Wirtschaftsdaten & Co. kletterten die Aktien auf neue Rekordstände. Das ging auch an den großen Indizes nicht spurlos vorbei, wie Dow Jones Market Data zeigt. Während der Dow Jones Industrial Average im neuen Jahr bereits neun Mal mit einem neuen Höchststand schloss, erreichte der S&P 500 indes seinen siebten Rekordschluss.

“Soft landing” oder “no landing”?

Auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung hatte zuletzt Optimismus überwogen – der US-Markt hatte das Szenario eines “soft landing” für die Wirtschaft eingepreist. Die jüngsten Entwicklungen deuten nun allerdings auf ein anderes Ergebnis hin.

Ein “soft landing” beschreibt einen sanften Abschwung der Wirtschaft, also eine moderate Verlangsamung des Wirtschaftswachstums mit kontrolliertem Rückgang der Inflation im Anschluss an eine Wachstumsphase. Dadurch werden eine Rezession oder hohe Arbeitslosigkeit verhindert.

Einige Faktoren wie der starke Arbeitsmarktbericht für Januar, relativ starke Unternehmensgewinne oder auch die jüngsten Kommentare von Fed-Chef Jerome Powell könnten nun allerdings auf ein “no landing” hindeuten, wie MarketWatch berichtet. Die US-Wirtschaft wuchs im vierten Quartal 2023 mit 3,3 Prozent – Experten hatten mit etwa 2 Prozent gerechnet – viel schneller als erwartet, betont CNBC. Die Inflation liegt mit 3,4 Prozent aber noch immer über dem Ziel der Fed von 2 Prozent. Dies mache ein “no landing”-Szenario wahrscheinlicher. “No landing bedeutet ein über dem Trend liegendes Wachstum und auch eine über dem Trend liegende Inflation”, zitiert CNBC Alejandra Grindal, Chefökonomin bei Ned Davis Research – also eine Wirtschaft, die “überhitzt”.

“Zum Beispiel: Wenn das Wirtschaftswachstum weiterhin dem Trend entspricht oder darüber liegt, die Inflation jedoch nicht in den Bereich von 2-2,25 % auf Jahresbasis zurückkehrt, könnte man davon ausgehen, dass wir uns in einem Umfeld befinden, in dem es keine Landung gibt. In diesem Fall wäre die Fed gezwungen, die Leitzinsen strenger zu steuern, und es könnte unter anderem zu Vermögensblasen und Arbeitsungleichgewichten kommen”, zitiert Nasdaq Peter C. Earle, leitender Ökonom am American Institute for Economic Research. Shawn Carpenter, Chairman und CEO von StockAlarm, fügte hinzu: “Einfach ausgedrückt ist es so, als ob die Wirtschaft zu heiß läuft. Dies unterscheidet sich von einem ‘soft landing’, bei dem sich die Wirtschaft allmählich abkühlt, ohne eine Rezession auszulösen” und stimmte auch Grindal damit zu. “Das bedeutet, dass mehr Menschen Geld ausgeben, Unternehmen wie verrückt investieren und der Arbeitsmarkt angespannt wird. Aber hier ist der Haken: Die zusätzliche Nachfrage nach Gütern lässt die Preise in die Höhe schnellen und führt zu einer überdurchschnittlichen Inflation”, ergänzte Carpenter.

Inflation, Leitzinsen und die Fed

Seit der Corona-Pandemie stellt die Inflation ein Problem dar: Die Preissteigerungen erreichten den höchsten Stand seit Anfang der 1980er-Jahre. Die US-Notenbank reagierte darauf mit Zinserhöhungen – der Leitzins stieg auf den höchsten Stand seit mehr als 22 Jahren.

Auf der jüngsten Sitzung beließ die Fed den Leitzins wie erwartet unverändert. In der anschließenden Pressekonferenz dämpfte Fed-Chef Jerome Powell zudem die Markterwartungen, dass die Zentralbank im März mit der Senkung der Zinsen beginnen könnte: “Aufgrund der heutigen Sitzung würde ich Ihnen sagen, dass ich es nicht für wahrscheinlich halte, dass der Ausschuss bis zur März-Sitzung ein Maß an Vertrauen erreichen wird, um den März als den richtigen Zeitpunkt dafür zu identifizieren. Aber das wird sich zeigen”. Roger Ferguson, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der Fed, merkte im Interview mit CNBC an, Powell habe “eine neue Art von Risiko eingeführt, das Risiko eines no landing”.

Auch die Arbeitsmarktdaten für Januar, die stärker ausfielen als erwartet, machen eine Zinssenkung im März unwahrscheinlicher, so Richard Flax, CIO bei Moneyfarm. Hinzu kommen starke Ergebnisberichte, darunter auch jene mehrerer Tech-Giganten wie Microsoft, Apple, Meta und Amazon. Die überwiegende Mehrheit der S&P 500-Unternehmen habe die Erwartungen mit ihren Gewinnen bislang übertroffen, merkten Analysten von Fundstrat kürzlich an. Die Gewinne der Konzerne seien zwar “in Ordnung”, die Prognosen hingegen nicht, warnte derweil José Torres, leitender Ökonom bei Interactive Brokers. Die Rally der Tech-Aktien basiere insbesondere auf der Aussicht auf Umsätze mit Produkten der künstlichen Intelligenz, erklärte Torres MarketWatch zufolge. Die meisten Tech-Unternehmen seien allerdings noch gar nicht in der Lage, den KI-Trend zu monetarisieren, warnte er in einem Telefoninterview.

Daneben sorgen die US-Regionalbanken ebenfalls für Aufruhr, die Gefahr einer erneuten Bankenkrise nimmt zu. Würde die Fed im März damit beginnen können, den Leitzins zu senken, wäre dies “eine Art Krankenwagen, der regionale Banken abholen und retten würde”, zitiert MarketWatch Torres. “Jetzt kommt der Krankenwagen frühestens im Mai. Ich denke, dass wir uns von jetzt bis Mai in einer besonders riskanten Zeit befinden.”

Gefahr für Anleger?

Dem Moneyfarm-CIO Flax zufolge könnte ein “no landing”-Szenario für US-Aktien noch immer positiv sein – solange die Inflation stabil bleibe. Sollte sich die Inflation allerdings beschleunigen, könnte die Fed zögern, den Leitzins stark zu senken, was wiederum zu weiteren Problemen führen könnte.

Torres rät Anlegern angesichts der jüngsten Entwicklungen daher, das Risiko vor Mai zu scheuen: “Letztes Jahr haben Waren und Rohstoffe sehr zur Desinflation beigetragen. Damit sich die Desinflation in diesem Jahr fortsetzt, brauchen wir Dienstleistungen, die dazu beitragen. Dann müssen wir einen Anstieg der Arbeitslosenquote erleben”. Torres bevorzuge in diesen Zeiten US-Staatsanleihen mit einer Laufzeit von vier Jahren oder kürzer, heißt es bei MarketWatch. Bei Aktien ziehe er die Sektoren Gesundheitswesen, Versorger, Basiskonsumgüter und Energie vor.

Doch nicht alle zeigen sich so skeptisch wie Torres. Keith Buchanan, Senior Portfoliomanager bei Globalt Investments, etwa gab sich zuletzt optimistischer. Die Verlangsamung der Inflation sowie die relativ guten Wirtschaftsdaten und Gewinne “ergeben kein wirkliches Bild für ein Risikoscheu-Szenario”. “Das Setup für Risikoanlagen tendiert immer noch zu einer bullischen Erwartung”, zitiert ihn MarketWatch.

Mark Higgins, Senior Vice President bei Index Fund Advisors, betonte laut CNBC: “Es ist normal, dass eine Wirtschaft Phasen des Aufschwungs und des Rückgangs durchlebt. Kurzfristig wird es schmerzhaft sein, langfristig ist es besser, wenn wir das Notwendige tun, um zur Preisstabilität zurückzukehren”.

Als sicher gilt jedoch: Die Fed werde die hohen Zinsen in jedem Fall noch für eine Weile beibehalten. “In der Zwischenzeit werden die Verbraucher aufgrund der immer noch, wenn auch nur leicht, erhöhten Inflation weiterhin höhere Preise zahlen und aufgrund dieser höheren Zinssätze mehr für die Kredite zahlen, die sie in Anspruch nehmen”, erklärte Michele Raneri, Vizepräsidentin für US-Forschung und -Beratung bei TransUnion Nasdaq zufolge. Ein wenig Vorsicht sei demnach nicht verkehrt. Redaktion finanzen.net

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