Salman Rushdies „Knife“: Das Buch über den Mordversuch – die Kritik

salman rushdies „knife“: das buch über den mordversuch – die kritik

Salman Rushdie, berühmt durch Romane wie „Mitternachtskinder“, „Die satanischen Verse“, „Joseph Anton“ und „Victory City“.

Der Mann, der am Morgen des 12. August 2022 im Amphitheater von Chautauqua am Eriesee, sieben Autostunden von New York City, auf Salman Rushdie einstieß, war „eine Art Zeitreisender“.

Warum nach all den Jahren?, habe Rushdie sich im Moment des Angriffs gefragt, schreibt er in seinem Buch „Knife“. Es erscheint jetzt in mehr als 15 Ländern gleichzeitig. Der Titelbegriff ist nicht übersetzt, das deutsche Wort „Messer“ spielt aber in dem Buch eine wichtige Rolle.

Rushdie saß an jenem Tag in dem Veranstaltungszentrum auf der Bühne, um an einem Gespräch über die Sicherheit von verfolgten Schriftstellern teilzunehmen. Er sah den Attentäter auf sich zukommen, aus dem rechten Augenwinkel. Es war „das Letzte, was mein rechtes Auge je sehen würde“.

Er nahm den Angreifer als einen „mörderischen Geist aus der Vergangenheit“ wahr, weil 33 Jahre vergangen waren, seit der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini zu Rushdies Ermordung aufgerufen hatte. Hinter ihm lagen viele Jahre des Versteckens, weitere, in denen er nur mit Polizeischutz auftreten konnte. Am 12. August 2022 gab es keine Security-Kontrollen am Einlass, Salman Rushdie schreibt, er war ein „Kaninchendepp im Scheinwerferlicht“.

So ist dieses neue Buch: Tatsachen beschreibend und gleichzeitig mit Witz und Sarkasmus herausfordernd. Es kann passieren, dass man auf einer Seite zum Lachen gebracht wird und kurz danach eine Träne aufs Papier tropft. Rushdie ist auch in eigener Sache ein begnadeter Erzähler. „Mein Körper starb, und er nahm mich mit“, schildert er seine Empfindungen während der 27 Sekunden, als der Mann auf ihn einstach. Einsamkeit fühlte er, als er zusammenbrach, denn er würde ohne die Menschen sterben, die er liebte. „Doch, wie dem aufmerksamen Leser kaum entgangen sein dürfte, habe ich überlebt.“

Es ist ein politisches Buch, weil es sich gegen Terror wendet und weil das Attentat politisch war. Der Angreifer hat nichts von Rushdie gelesen, aber Videos gesehen, in denen der Autor der „Satanischen Verse“ verunglimpft wird – von Menschen, die nur das Gerücht der Prophetenbeleidigung kennen, nicht den Roman. „Leben war mein Sieg“, schreibt Rushdie. „Doch die Bedeutung, die das Messer meinem Leben gab, war meine Niederlage.“ Denn er wurde zurückgeworfen in die Opferposition.

Salman Rushdie musste „Knife“ schreiben, um wieder Schriftsteller zu sein. Der 2023 erschienene schillernde Roman „Victory City“, sein 22. Buch, war kurz vor dem Attentat fertig geworden. Und für den nächsten Roman hat er schon Notizen. Doch sein Agent Andrew Wylie sagte Salman Rushdie beim ersten Besuch in der Rehaklinik in New York, dass er sich „natürlich“ dem Geschehen stellen müsse. Monate später gab der ihm recht, „denn das Schreiben war mein Weg, das Vorgefallene anzuerkennen, die Kontrolle zurückzugewinnen, mir das Geschehene anzueignen und nicht ein bloßes Opfer zu sein“.

Wie aber macht man das? Und wie kann so etwas Lesern zugemutet werden? Er hat ja schon einmal von seinem Leben erzählt: Im autobiografischen Roman „Joseph Anton“ formte er aus sich selbst eine Figur und erzählte in der 3. Person. Damals ging es um viele Jahre der Bedrohung. Diesmal konnte erst nach acht Stunden Operation eine vorsichtige Prognose abgegeben werden, dass er überleben könnte. Diesmal sagt er souverän „ich“.

Er greift vor und geht zurück im Erzählen. Er öffnet sich und zeigt seine Verletzungen, die Schnitte am Oberkörper und am Hals, die linke Hand mit den zertrennten Sehnen, die schwer verheilende Wunde im Mundbereich. Und das verlorene Auge! „Lassen Sie mich Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, einen Rat geben: Falls Sie es vermeiden können, dass man Ihnen die Lider zunäht … vermeiden Sie es. Es tut wirklich, wirklich weh.“ Rushdie erzählt, wie seine Söhne ihn besuchen und lässt spüren, was sie für eine enge Beziehung haben – nachdem er selbst mit einem trunksüchtigen, selbstgerechten Vater aufgewachsen war.

salman rushdies „knife“: das buch über den mordversuch – die kritik

Salman Rushdie und seine Frau Rachel Eliza Griffiths

Seine Frau schaltete im Krankenhaus zwar „auf Superheldinnenmodus um“, war ständig mit Ärzten und Sicherheitsleuten in Kontakt. Später sah er, wie sehr sie sich selbst angegriffen fühlte. Das Buch ist auch eine Liebeserklärung an sie, die Dichterin Rachel Eliza Griffiths, Rushdies fünfte Ehefrau. Das gemeinsame Glück sei noch da, schreibt er am Ende, aber es ist verletzt, „und in einer seiner Ecken lauerte ein Schatten, vielleicht für immer“.

Das Messer hat tief in sein Leben geschnitten, aber wir wissen, um auch einmal vorzugreifen, dass Salman Rushdie im Oktober 2023 in Frankfurt am Main den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen hat und dort vor dem Erstarken extremistischer Religionen und bigotter Ideologien in der Welt warnte. So weit in der Zeit gereist ist der Attentäter nämlich doch nicht. „Schlechte Rede mit besserer Rede kontern, falschen Narrativen bessere entgegensetzen, auf Hass mit Liebe antworten“, bot Rushdie als Lösung an, „und nicht die Hoffnung aufgeben, dass sich die Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen durchsetzen kann.“ In „Knife“ nennt er sein Werkzeug, die Sprache, ein Messer: „Sie kann die Welt aufschneiden und ihre Bedeutung zeigen, ihre inneren Mechanismen, ihre Geheimnisse, ihre Wahrheit.“

Kann sie auch von Ideologie und Hass verklebte Hirne öffnen? Rushdie stellt sich vor, den Attentäter im Gefängnis zum Gespräch herauszufordern, vier Szenen erfindet er. Es sind die schwächsten Seiten des Buches: Der 24-Jährige ist selbst im fiktiven Dialog Argumenten nicht zugänglich. Warum er es versuchte? Rushdie nennt „Optimismus meine große Schwäche oder auch meine große Stärke“.

In erinnerten Träumen und sogar im eigenen Werk findet Rushdie Vorahnungen für das Ereignis und spielt sie ironisch herunter: „Prophet wäre kein Job, für den ich mich bewerben würde.“ Die Fantasie funktioniere eben gelegentlich auf eine Weise, „die selbst der fantasierende Geist nicht vollends begreifen kann“. In vielen Situationen fallen ihm literarische Vergleiche ein, assoziierend wandelt er zwischen Figuren und Zitaten von Beckett, Orwell oder Kafka, zitiert er Shakespeare oder fühlt sich bei der Rückkehr in die eigene Wohnung wie der Maulwurf im Kinderbuch „Der Wind in den Weiden“.

Vor fünf Jahren veröffentlichte Philippe Lançon, Überlebender des Attentats auf die Redaktion Charlie Hebdo in Paris, sein eindringliches Erinnerungsbuch „Der Fetzen“, um die Deutungshoheit über das Geschehen zu erlangen. Auch er geht immer wieder zu eigenen Leseerfahrungen zurück. Literatur kann ein Anker sein, der einem im Leben hält. Als eine Woche nach dem Anschlag auf Rushdie Freunde und Verbündete vor der New York Public Library demonstrierten, sagte der Schriftsteller Colum McCann „Je suis Salman“. Er führte die Solidarität für den gerade Angegriffenen mit der für Charlie Hebdo zusammen – ein Statement für die Freiheit des Wortes und der Kunst. Zwei Tage später gab es auch eine Solidaritätskundgebung in Deutschland, im Berliner Ensemble. Bernhard Robben, der dieses und überhaupt die meisten Bücher Rushdies übersetzt hat, war dabei.

„Knife“ mag Salman Rushdie selbst den Weg für andere Bücher freigemacht haben. Doch es ist auch ein wichtiges Buch für seine Leser, um zu verstehen: Er braucht kein Mitleid, sondern Mitstreiter; er ist ein Kämpfer und ein großartiger Autor.

Salman Rushdie: Knife. Gedanken nach einem Mordversuch. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Penguin, München 2024. 256 Seiten, 25 Euro

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