Diebstahl in großem Stil: Mit fadenscheinigen Argumenten lässt Putin die ihm ergebenen Behörden gegen unliebsame Oligarchen von der Kette. So könnte sich der Staat die besten Unternehmen unter den Nagel reißen.
Russland: Wladimir Putin lässt unliebsame Oligarchen enteignen – Kolumne
In Gesprächen unter russischen Unternehmern macht dieser Tage vor allem ein Wort Karriere: »Entprivatisierung«. Dahinter verbirgt sich folgender Vorgang: Die Generalstaatsanwaltschaft leitet immer öfter Strafverfahren gegen Unternehmer ein und entzieht ihnen ihre Firmen zugunsten des Staates. Es ist eine rabiate Art der Umverteilung von Eigentum in Zeiten des Krieges.
In den vergangenen zwei Jahren hat die russische Staatsanwaltschaft mehrere Dutzend Strafverfahren gegen die größten Geschäftsleute des Landes eingeleitet. Sie alle endeten auf die gleiche Weise: Privates Eigentum wurde beschlagnahmt. Präsident Putin bemüht sich noch nicht einmal besonders, diese Enteignungen zu vertuschen: Natürlich sagt er, dass es so etwas nicht gebe und auch nicht geben werde. Zuletzt etwa auf einer Sondersitzung im Büro des Generalstaatsanwalts. Dort bemühte er sich um den Eindruck, er halte die Staatsanwälte extra an, die Wirtschaft zu schützen.
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Doch in Wirklichkeit war es genau umgekehrt. Denn Putin sagte auch, dass »die Strafverfolgungsbehörden das Recht haben, in bestimmten Fällen zu beurteilen, was in der Wirtschaft geschieht«. Und generell sei die Rückführung von Vermögenswerten in Staatseigentum unter manchen Umständen gerechtfertigt. Zum Beispiel, wenn diese unter Verletzung von Gesetzen erworben und »zum Schaden des Staates verwendet« worden seien. Die Staatsanwälte verstanden das als Aufforderung.
Enteignungen von Putins Gnaden
Quellen in Moskauer Wirtschaftskreisen sind sich sicher, dass jede Beschlagnahmung »im ersten Kabinett beschlossen« wird – das heißt von Putin persönlich. Alle in letzter Zeit bekannt gewordenen Fälle von »Entprivatisierung« sind sehr aufschlussreich, denn sie sagen viel darüber aus, in welche Richtung sich Russlands Wirtschaft in den Augen des Präsidenten entwickeln soll.
Zum Beispiel der Nudelhersteller: Anfang Mai wird in Tscheljabinsk, einem regionalen Zentrum in Sibirien, der aufsehenerregendste Strafprozess des vergangenen Jahres in Russland fortgesetzt. Die Generalstaatsanwaltschaft versucht, 100 Billionen Rubel (eine Billion Euro) von Michail Jurewitsch zu erstreiten. Jurewitsch war einst Gouverneur der Region, vor allem aber gehört ihm die Firma Makfa. Sie ist der größte russische und einer der fünf größten Nudelhersteller der Welt.
Die Summe, die die Staatsanwaltschaft von dem Konzernbesitzer fordert, ist etwa dreimal so hoch wie der Jahreshaushalt Russlands für 2023 – das heißt, sie ist unrealistisch hoch und willkürlich gesetzt. Es geht nicht darum, für irgendein Fehlverhalten Schadensersatz zu ergattern, sondern darum, dem Ex-Gouverneur sein Unternehmen abzuluchsen.
Jurewitsch hatte Makfa in den Neunzigerjahren gegründet. Im Jahr 1999 trat er in die Politik ein. Er glaubte wohl, es sei so für ihn einfacher, geschäftliche Probleme zu lösen. Zunächst wurde Jurewitsch ins russische Parlament gewählt, dann zum Bürgermeister von Tscheljabinsk, und 2010 wurde er Gouverneur der Region. Allerdings: Nach russischem Recht darf ein Politiker keine privaten Geschäfte machen. Also übertrug Jurewitsch das Unternehmen an seinen Vater.
Im Jahr 2014 entließ Putin Jurewitsch als Gouverneur, weil er im Verdacht stand, zu liberal zu sein. Außerdem ist die Region Tscheljabinsk die wichtigste Industrieregion Russlands mit mehreren Rüstungsunternehmen. Der Nudelkönig wurde auf Wunsch Putins durch den Chef von Uralwagonsawod, ein Unternehmen, das Panzer herstellt, als Gouverneur ersetzt.
Blaupause für weitere Schläge gegen Unternehmer
Das Strafverfahren gegen Jurewitsch wurde bereits 2017 eingeleitet, als er Russland nach Israel verließ und von dort nach London zog. Die entscheidende Phase dieses Falles hat jedoch erst jetzt begonnen – die Generalstaatsanwaltschaft hat grünes Licht erhalten, um mit der Beschlagnahmung von Eigentum illoyaler Geschäftsleute zu beginnen.
Auffallend ist, dass es sich nicht etwa um eine Stahlhütte oder einen Ölkonzern handelt. Sehr häufig wurde die alte sowjetische Schwerindustrie in den Neunzigerjahren auf betrügerische Weise privatisiert. Das Hauptproblem von Jurewitsch ist offensichtlich, dass er im entscheidenden Moment keinen einflussreichen Gönner hat. Er hat kaum eine Chance, sein Vermögen vor dem Staat zu retten.
Die Staatsanwaltschaft behauptet, dass Jurewitsch nur vorgab, das Unternehmen an seinen Vater zu übergeben, während er es in Wirklichkeit weiterhin leitete. Praktisch alles, was seit 1999 unternehmerisch bei Makfa unternommen wurde, ist damit illegal.
Die Argumentation der Staatsanwaltschaft gegen Makfa könnte eine Blaupause für weitere Enteignungen sein: Denn das Business an Verwandte zu übertragen – das ist unter Beamten und Abgeordneten bis heute eine gängige Praxis. Russische Behörden könnten mit dem Argument, die Übertragung sei nur dem Anschein nach erfolgt, gegen fast alle größeren Firmen vorgehen – zumal sie ja die Rückendeckung durch Putin haben. Ihnen stehen unendliche Möglichkeiten offen.
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