Russische Spionage in Deutschland: „Es reicht nicht, den Botschafter einzubestellen“

Die Festnahmen mutmaßlicher russischer Agenten zeigen die Auswüchse der Kreml-Spionage. Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom hält die deutschen Dienste nicht ausreichend gerüstet.

russische spionage in deutschland: „es reicht nicht, den botschafter einzubestellen“

Die russische Botschaft in Deutschland liegt mitten im Herzen der Bundeshauptstadt. Das Gebäude wirkt abweisend, viele Rollläden sind heruntergelassen, Vorhänge zugezogen.

Am Donnerstag waren zwei Russlanddeutsche wegen Spionageverdachts festgenommen worden. Die Männer lebten in einer kleinen Gemeinde in Oberfranken, planten aus dem Mehrfamilienhaus laut der Anklage des Generalbundesanwalts sogar Sabotage-Akte. Seitdem fragen sich viele, wie weit der Arm des Kremls nach Deutschland hineinreicht, wie viele Agenten unter uns leben. Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom warnt: Mögliche Rekruten gibt es viele.

Wie sehr ist Deutschland von russischer Spionage betroffen?

Das Spionageproblem durch die Russische Föderation ist ausgesprochen groß, weil dieser ganze Staat ein nachrichtendienstlicher Apparat ist. Das beginnt mit dem ehemaligen KGB-Mann Putin an der Spitze, aber auch der Nationale Sicherheitsrat besteht überwiegend aus aktiven und ehemaligen Nachrichtendienstlern. Und die russischen Nachrichtendienste agieren immer aggressiver.

Wenn Sie sagen, das Problem ist außerordentlich groß, wie viele Spione sind in Deutschland aktiv?

Bevor das Außenministerium nach Beginn des Ukrainekriegs 40 russische Agenten ausgewiesen hat, schätzte der Verfassungsschutz den Bestand russischer Geheimdienstoffiziere in der Bundesrepublik auf etwa 150 Personen. Davon sind also heute noch über 100 aktiv, in Österreich weitere 80, in der Schweiz mindestens 50 – diese Agenten wirken auch in die Bundesrepublik hinein. Das Hauptziel dieser großen nachrichtendienstlichen Mannschaft ist die Bundesrepublik. Die Agenten beobachten unsere politische, militärische und rüstungstechnische Aufstellung.

Um wirklich etwas zu bewirken, müsste das Auswärtige Amt im großen Stil Agenten ausweisen, wie es Reagan in den 80er Jahren in den USA getan hat.

Erich Schmidt-Eenboom über die Wirksamkeit deutscher Anti-Spionageaktionen.

Wie lange hat es nach der Ausweisung der russischen Agenten gedauert, bis Russland wieder bei voller Schlagkraft war?

Wenn neue Diplomaten kommen, dauert es bis zu einem Jahr, bis Verfassungsschützer feststellen können, ob es sich bei den Neuen um einen echten Diplomaten oder um einen verkappten Geheimdienstoffizier handelt. Um wirklich etwas zu bewirken, müsste das Auswärtige Amt Agenten im großen Stil ausweisen, so wie es Ronald Reagan in den 80er Jahren in den USA getan hat. Es reicht nicht, wenn die deutsche Außenministerin den russischen Botschafter einbestellt.

Die beiden mutmaßlichen Agenten, die in Bayern festgenommen wurden, hatten sowohl die deutsche, als auch die russische Staatsbürgerschaft. Wen wirbt Russland bevorzugt an?

Im Jahr 1992 schrieb ein KGB-General, dass die russische Gemeinschaft in Deutschland ein ideales Einfallstor für nachrichtendienstliche Operationen ist. Auch die Gruppe der nationalistischen Russen, die während des Ukrainekriegs in Deutschland mit russischen Fahnen für Putin demonstriert haben, bilden das Potenzial, aus dem die russischen Nachrichtendienste schöpfen.

Wie schwer ist es für die deutschen Nachrichtendienste, diese Personen zu enttarnen?

Wenn neue mutmaßliche Agenten ins Land kommen, bedarf es einer sogenannten Personenabklärung, die man am ehesten durch Observation erreicht. Nur sind die Observationskapazitäten des Verfassungsschutzes außerordentlich begrenzt. Man kann zudem die Telekommunikation überwachen, falls sie nicht so stark verschlüsselt ist, dass man sie nicht knacken kann. Aber es ist ausgesprochen schwer nachzuweisen, wer russischer Geheimdienstoffizier ist.

Es gibt den Fall des Bundeswehrsoldaten aus Koblenz, der wegen Spionage vor Gericht steht, dann Carsten L., der als Referatsleiter im Bundesnachrichtendienst mutmaßlich als Doppelagent Unterlagen an Russland weitergegeben haben soll. Jetzt die zwei Männer in Bayern. Welcher dieser Fälle hat Deutschland am meisten geschadet?

Sicherlich der Fall Carsten L., der als Leiter der Auswärtigen Gruppe technische Aufklärung im Bundesnachrichtendienst Informationen an die Russen weitergegeben hat. Auch wenn er vor Gericht behauptet, er sei völlig unschuldig, halte ich das für unglaubwürdig. Insbesondere, nachdem man in seinem Schließfach 400.000 Euro gefunden hat.

Zeitgleich zu den Festnahmen in Deutschland meldete Polen einen Zugriff. Ein Mann soll dort im Auftrag Russlands einen Flughafen ausgespäht haben – womöglich weil er ein Attentat auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj plante.

Die Ausspähung dieses Flugplatzes ist nur der jüngste Fall. Schon 2022 gab es in Polen Festnahmen. Die polnischen Abwehrdienste hatten Agenten festgenommen, die das Eisenbahnnetz und damit die Nachschublinie in die Ukraine, ausgespäht haben. Auch Sabotageaktionen waren geplant. Insofern war damit zu rechnen, dass Ähnliches auch in Deutschland passiert. Im schlimmsten Fall müssen wir davon ausgehen, dass dieses Duo aus Bayern nicht das einzige Eisen ist, das die russischen Nachrichtendienste hierzulande im Feuer haben.

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