Finanzpolitik in der Krise: Schuldenbremse abschaffen oder reformieren?

finanzpolitik in der krise: schuldenbremse abschaffen oder reformieren?

Die Richter des Bundesverfassungsgerichts bei der Urteilsverkündung zur Schuldenbremse

Schon lange war da ein leichtes Grummeln und Grollen, immer zu hören, nie richtig laut, aber die Unzufriedenheit mit der Schuldenbremse wuchs unter Politikern wie unter Fachleuten. Doch dann kam das Bundesverfassungsgericht. Dessen zweiter Senat hat bekanntlich beschlossen, dass die Schuldenbremse strenger beachtet werden muss, als es die Ampelkoalition gerne hätte – und jetzt fehlen in den nächsten vier Jahren 60 Milliarden Euro für Ideen, auf die sich die Bundesregierung schon geeinigt hatte.

Jetzt streitet das Land nicht nur darüber, wo das Geld herkommen soll – sondern auch, ob die Schuldenbremse überhaupt so bleiben soll, wie sie ist. SPD-Chefin Saskia Esken will sie noch zwei Jahre aussetzen. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge will sie gleich ganz reformieren. Doch ob man Deutschland mit mehr Schulden im Moment überhaupt nach vorne bringen könnte, das ist fraglich.

Ihren wichtigsten Zweck hat die Schuldenbremse jedenfalls durchaus erfüllt: Deutschlands Staatsfinanzen wieder solide zu kriegen. Im Jahr 2009 war sie eingeführt worden. Nach der Finanzkrise und enormen Rettungspaketen waren die Staatsschulden emporgeschnellt. Um der Politik, den Bürgern und den Kreditgebern zu demonstrieren, dass Deutschland seine Schulden bald wieder in den Griff bekommen würde, führten Bund und Länder damals die Schuldenbremse ein. Die wichtigste Regel: kaum Schulden machen. Die Bundesländer dürfen gar keine, die Bundesregierung darf nur 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung an Krediten aufnehmen, in Rezessionen etwas mehr, in wirtschaftlich guten Zeiten etwas weniger. Im Fall von großen Krisen darf sich die Bundesregierung auch mal höhere Schulden genehmigen lassen.

Investitionen von der Schuldenbremse ausnehmen?

So weit funktionierte das ganz gut. Jahrelang sorgte Finanzminister Wolfgang Schäuble dafür, dass nicht nur die Schuldenbremse eingehalten wurde, sondern die „schwarze Null“ stand: ein Haushalt ohne neue Schulden. Die Wirtschaftslage war gut, das Bruttoinlandsprodukt wuchs immer weiter – also verlor der alte Schuldenberg nach und nach an Bedeutung.

Als die Corona-Pandemie und die Gaskrise kamen, hatte Deutschland genug Finanzkraft, um mit Hilfsprogrammen zu klotzen. „Bazooka“, „Wumms“, „Doppelwumms“ – dass Olaf Scholz solche Worte wählen konnte, hatte er auch seinem Vorgänger zu verdanken. So viel Geld konnte die Bundesregierung sich einräumen lassen, dass 60 Milliarden Euro aus der Corona-Pandemie übrig blieben. Diese Kredite hätte die Bundesregierung jetzt gerne für Klimaschutz und Subventionsprogramme aufgenommen. Doch das hat das Verfassungsgericht am Mittwoch verboten.

Und jetzt geht es los. Jeder meldet sich zu Wort, der sich schon lange an der Schuldenbremse gestört hat, und viele neue Leute dazu. Eine richtige Abschaffung fordert kaum jemand, die meisten verlegen sich auf andere Vorschläge – sei es aus Überzeugung, sei es wegen größerer Durchsetzungschancen.

Da ist zum Beispiel Eckhard Janeba. Er leitet den wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums, der unabhängig vom Minister arbeitet und seine Mitglieder selbst rekrutiert. Der Beirat ist längst nicht immer auf Linie des Ministers, doch bei Janeba wächst die Bereitschaft zu Reformen an der Schuldenbremse – nicht zuletzt weil sie in den letzten Jahren sowieso immer wieder umgangen worden ist. „Der Deal muss sein, dass wir wieder zu einer regelbasierten Politik zurückfinden“, sagt Janeba. Er könnte sich vorstellen, Ausgaben für Investitionen nicht mehr auf die Schuldenbremse anzurechnen, allerdings müsse man genau überlegen, welche Ausgaben zu den Investitionen zählen.

Ähnlich klingt Ifo-Präsident Clemens Fuest: „Denkbar wäre eine Reform der Schuldenbremse, die Neuverschuldung auf Nettoinvestitionen begrenzt“ – der Ersatz verfallender Investitionen wäre nicht einbezogen. Dass das schwer abzugrenzen ist, merkt Fuest selbst an.

Den grundsätzlichen Gedanken haben inzwischen einige Experten: Politiker haben immer einen Anreiz, mehr Geld in Konsum, soziale Wohltaten und Subventionen zu stecken als in Investitionen. An Einnahmen fehlt es der Bundesregierung schließlich auch heute nicht.

Der Bund hatte viel Geld, investiert hat er es trotzdem nicht

In den guten Zehnerjahren stieß der Bund nicht mal an die Schuldenbremse, für Investitionen wäre Geld da gewesen. Doch Bund und Länder konnten ihr Geld gar nicht so schnell investieren, wie sie es sich genehmigten. Insgesamt stehen derzeit noch mehr als 70 Milliarden Euro in den Haushalten, die zwar schon von den Regierungen verplant sind, aber noch nicht ausgegeben werden konnten, weil das Geld nicht abfließt.

Gleichzeitig fließt immer mehr Geld in die Staatskasse, weil immer wieder irgendwelche Steuern steigen. Von 100 erwirtschafteten Euro führen die Deutschen inzwischen 42,40 Euro in Form von Steuern und Abgaben an den Staat ab – so viel wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Müsste der Staat damit nicht auskommen können?

Vielleicht schon. In den vergangenen Jahren sind allerdings nicht die Investitionen gestiegen, sondern andere Staatsausgaben. „In den Zehnerjahren hatten wir Anstiege in allen Ausgabenkategorien außer den Zinsen“, sagt Lars Feld, der Chef des Eucken-Instituts, der auch Finanzminister Lindner berät. Stark wuchsen zum Beispiel die Sozialleistungen. Inzwischen wird fast jeder dritte in Deutschland erwirtschaftete Euro für soziale Zwecke umverteilt. Die 15 Milliarden Euro, die jetzt jährlich fehlen, sind nur ungefähr ein Zehntel des Betrags, den der Bund jährlich der Rentenversicherung zuschießt, damit die Deutschen nicht später in Rente gehen müssen.

Eine große Reform ist praktisch ausgeschlossen

Es gibt noch mehr Sparideen. Am Ende der Woche sind schon die ersten Reaktionen der Ampelkoalition auf das Urteil aus Karlsruhe deutlich geworden. So soll die Mehrwertsteuersenkung, die Gastronomen während der Corona-Pandemie bekommen haben, zum Jahresende nun doch auslaufen. Da haben das Verfassungsgericht und die Schuldenbremse schon mal eine Ersparnis veranlasst, die Experten für sinnvoll halten.

Gleichzeitig verschafft die Schuldenbremse selbst dem Staat Finanzspielraum. Schon ohne große neue Kredite muss der Bund dieses Jahr rund 40 Milliarden Euro an Zinsen zahlen – mit jedem neuen Euro an Schulden wird es noch mehr. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil die Zinskosten des Bundes um etwa 1,5 Milliarden Euro jährlich gesenkt, ein Zehntel des fehlenden Betrags finanziert sich also gewissermaßen selbst. Gerade erst hat der ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds davor gewarnt, dass die wachsenden Zinsen Schulden verteuern und die Welt jetzt ihre Schulden im Zaum halten muss.

Eine große Reform der Schuldenbremse ist politisch in dieser Legislaturperiode sowieso praktisch ausgeschlossen. Die Regeln stehen im Grundgesetz, ohne die Zustimmung der Union lässt sich nicht viel tun. Entsprechend findig werden diejenigen, die trotzdem Geld ausgeben wollen.

Irgendeine Krise ist immer

Technisch raffiniert, im Ziel aber sehr simpel ist zum Beispiel ein Vorschlag der SPD-nahen Denkfabrik „Dezernat Zukunft“. Sie schlägt vor, die Berechnungsformel der Schuldenbremse zu verändern, denn dafür würde ein einfaches Gesetz mit der Mehrheit der Ampelkoalition reichen. Kurz zusammengefasst würde in Deutschland dann auf dem Papier häufiger Wirtschaftsflaute herrschen, der Staat dürfte mehr Schulden aufnehmen. Das ist gedanklich schon nah daran, dass inzwischen viele Leute ihr Lieblingsanliegen zur großen Krise ausrufen. Irgendeine Krise ist immer, und gerade da liegt nicht der Sinn von schuldenfinanzierter Krisenpolitik.

Denn ob eine Krise mit Staatsschulden beantwortet werden sollte, das hängt nicht davon ab, wie schwerwiegend sie ist – sondern ob sie bald vorüber ist. Das ist sehr wichtig, wenn es ums Klima geht. Mag man die Erhitzung der Erde noch so sehr als „Klimakrise“ bezeichnen, höhere Staatsschulden wären dagegen das falsche Mittel.

Staatsschulden taugen nicht gegen dauerhafte Krisen

Staatsschulden sind nach allgemeiner Lehre wirtschaftlich dann sinnvoll, wenn es den Unternehmen für kurze Zeit an Nachfrage fehlt. Dann soll der Staat Schulden machen, um die Nachfrage zu ersetzen und zu verhindern, dass ein Teufelskreis nach unten in Gang kommt, in dem immer mehr Menschen entlassen werden und die Wirtschaftskrise immer tiefer wird. So ein Programm kann seine Kosten tatsächlich überkompensieren, wenn es rechtzeitig kommt – typischerweise also nicht so sehr bei kleinen Rezessionen, sondern eher bei großen und tiefen Krisen.

Anders ist es, wenn viele Unternehmen voll ausgelastet sind und im Land sowieso schon Arbeitskräftemangel herrscht – so wie es im Deutschland dieser und der nächsten Jahre der Fall sein wird. Heute schon finden Restaurants keine Mitarbeiter, herrscht am Flughafen Arbeitskräftemangel. An Ingenieuren und anderen Fachkräften fehlt es sowieso allerorten.

Wenn der Staat jetzt große Schulden aufnimmt, dann baut er damit Investitionen und schafft Arbeit, für die gar keine Arbeitskräfte da sind. Der Staat saugt noch mehr Arbeit auf und steigert nebenbei die Inflation. „Auch aus dieser Sicht sind strukturelle Mehrausgaben falsch“, sagt Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel.

Der Staatshaushalt ist eben auch ein Symbol dafür, was in der Realwirtschaft passiert. Die Regierung muss ihre Prioritäten wirklich setzen – und wenn sie es nicht wegen ihrer Finanzlage tun muss, dann wegen der Auslastung der Wirtschaft. Wer also mehr Aufwand in den Klimaschutz stecken will, der muss zwangsläufig anderswo den Aufwand senken, so oder so.

Erst in diesem November hat der angesehene Harvard-Ökonom Robert Barro gemeinsam mit seinem Kollegen Francesco Bianchi eine Studie vorgelegt, in der die Folgen der meist schuldenfinanzierten Corona-Hilfspakete untersucht worden sind. Das Ergebnis war deutlich: Währungsräume, in denen der Staat mehr Corona-Hilfen geleistet hat, hatten anschließend auch eine höhere Inflation – dieser Effekt kam zu den Folgen der Ukrainekrise dazu. 40 bis 50 Prozent der Corona-Hilfsprogramme, so schätzen die Forscher, haben die Bürger sehr schnell durch die spätere Inflation zurückgezahlt.

So gesehen hat es auf jeden Fall diesen Vorteil, wenn die Corona-Milliarden nicht mehr ausgegeben werden: Es hilft gegen die Inflation.

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