Rezension von Mareike Fallwickls Roman „Und alle so still“

rezension von mareike fallwickls roman „und alle so still“

Porträt der österreichischen Autorin und Bloggerin Mareike Fallwickl

Schon als Mareike Fallwickl ihren vor zwei Jahren erschienenen Roman „Die Wut, die bleibt“ schrieb, war ihr klar, „dass darin eine weitere Geschichte, ein neues Buch steckt“. Das erste wurde zum Verkaufserfolg und von Jorinde Dröse als Schauspiel für die Salzburger Festspiele inszeniert. Und hier ist nun der zweite Teil: „Und alle so still“. Er basiert auf einem Gedanken einer ihrer vorherigen Figuren, Lola: „Ich hab mich gefragt, was wäre, wenn alle Frauen sich verweigern würden, wenn sie nichts mehr tun würden, gar nichts.“ Mit diesem Szenario befasst sich der neue Roman.

Das Geschehen wird hauptsächlich aus drei Perspektiven geschildert: Da ist Elin, 21 Jahre alt und ein Social-Media-Star. Sie lebt mit ihrer Mutter Alma allein in ihrem Hotel in Österreich. Alma ist Feministin durch und durch, Elin hat sie durch eine künstliche Befruchtung bekommen. Die Tochter kennt außer der Mutter niemanden aus ihrer Familie, da Alma der Meinung ist, dass eine Frau unabhängig von der restlichen Verwandtschaft aufwachsen muss, um sich emanzipieren zu können. Doch in Elin ist eine „Leerstelle“, die sich mit jedem Tag, an dem sie nur ihre Mutter kennt, stärker bemerkbar macht.

rezension von mareike fallwickls roman „und alle so still“

Der zweite Blick auf die Geschichte ist der von Ruth, 55 Jahre und alleinstehende Krankenschwester, die schon einiges im Leben erleiden musste. Und dann ist da Nuri, neunzehn Jahre jung, der die Schule abgebrochen hat und sich als Fahrradkurier, Barkeeper und Aushilfskraft im Krankenhaus über Wasser zu halten versucht.

Diese drei Lebenswege hätten sich wahrscheinlich nie gekreuzt, wäre an einem Sonntag das gewöhnliche Leben nicht empfindlich gestört worden: Plötzlich, egal wo man hingeht, liegen überall Frauenkörper auf den Straßen. Als Ausdruck eines Protests, denn „das ganze System beruht auf unserer Verfügbarkeit. Unseren Körpern, unserer Kraft, unserer Zeit. Die Verfügbarkeit zu entziehen, ist die letzte Möglichkeit, die uns noch bleibt.“ So sagt es eine der liegend protestierenden Frauen.

Mareike Fallwickl wurde 1993 geboren und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Hof bei Salzburg. Seit sie sich dem Feminismus verschrieben hat, kämpft sie für mehr Gleichberechtigung und Beachtung der „Care-Arbeit“. In „Und alle so still“ wird schonungslos beschrieben, wie es ist, wenn die ungefähr 16,4 Milliarden Stunden Fürsorgearbeit pro Tag (so Fallwickl in einem Fernsehgespräch) weltweit wegfallen: Tätigkeiten wie Kochen, Putzen, Kinder in die Schule bringen und sie dort wieder abholen . . . alles Dinge, die als selbstverständlich gelten.

In dem Roman wird mit geschlechterspezifischen Rollenbildern gearbeitet: Die Frau muss sich um die Kinder kümmern, der Mann geht arbeiten und ist ein narzisstischer, frauenverachtender Tyrann. Zugleich werden sehr eindrucksvoll die Rolle von Frauen in der Gesellschaft und die Umstände, mit denen sie zu kämpfen haben, beschrieben. Aber nicht nur die Emanzipation spielt hier eine große Rolle, sondern auch die generelle personelle Notlage in den Krankenhäusern, verkörpert durch Ruth, die trotz gemeinschaftlichen Protests nicht aufhört, in der überlasteten Klinik zu arbeiten.

Stellenwert der Care-Arbeit

Zwischen den Kapiteln treten weitere Stimmen auf: Eine Gebärmutter, die Berichterstattung und eine Pistole werden da personifiziert und teilen interessante Sichtweisen und schockierende Fakten mit, zudem spielen sie auch eine bedeutende Rolle für das Romangeschehen. So erfahren wir von der Pistole: „Ich würde den Geruch der Freiheit atmen, er riecht nach Schießpulver.“

Fallwickl zeigt Geschick darin, zwischenmenschliche Beziehungen emotional packend zu beschreiben. Insbesondere der Zusammenhalt der Frauen wird immer wieder allegorisch hinterlegt: „Charlie wirft ihr einen Blick zu, den Elin sich um die Brust knüpft wie das Ende eines Seils. Oder der Anfang.“ Jedoch gibt es hin und wieder Textstellen, die unangemessen pathetisch daherkommen. Die Figuren verlieren ihre Authentizität, die Worte wirken wie ihnen in den Mund gelegt. Mareike Fallwickl zwingt dem Romangeschehen ihre persönlichen Ansichten zur Position der Frau in Geschichte und Gemeinwesen stellenweise auf.

Doch durch das im Buch geschilderte drastische Szenario wird klar, wie wichtig Care-Arbeit ist und dass wir noch viel an unseren Gesellschaftsstrukturen arbeiten müssen, wenn wir nicht so enden wollen wie Elin, Ruth und Nuri. Wir hätten keine Gleichberechtigung erlangt, nur den Zugang zu Erwerbstätigkeit und Bildung, meint Mareike Fallwickl in ihrem Fernsehinterview.

Mareike Fallwickl: „Und alle so still“. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024. 367 S., 23,– €.

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