Putins Angriffskrieg und die Folgen - „Pompöse Rhetorik“: Experte zerlegt linke Kräfte, die Ukraine längst aufgegeben haben

putins angriffskrieg und die folgen - „pompöse rhetorik“: experte zerlegt linke kräfte, die ukraine längst aufgegeben haben

Der Politikwissenschaftler Andreas Heinemann-Grüder übt scharfe Kritik an allen „Zögerern und Zauderern“, die sich für einen schmutzigen Frieden zulasten der Ukraine starkmachen. Das nütze am Ende nur Kriegsherr Putin – und erhöhe das Risiko für den Westen.

Seit Februar 2022 führt Russland einen verheerenden Angriffskrieg gegen die Ukraine – und ein Ende des Blutvergießens ist nicht abzusehen. In den letzten Wochen hat das russische Militär seinen Druck an mehreren Frontabschnitten verstärkt und die ukrainischen Truppen, die zunehmend unter Munitionsmangel für ihre Artillerie leiden, zurückgedrängt.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach zuletzt mehrfach von einer schwierigen Lage und warnte den Westen eindringlich davor, die Hilfen für sein Land zu drosseln, insbesondere Waffenlieferungen.

Er forderte den gleichen Schutz für sein Land wie für Israel, das mit Hilfe westlicher Verbündeter einen massiven iranischen Drohnen- und Raketenangriff erfolgreich abwehren konnte. Denn sollte die Ukraine gegen Russland verlieren, werde Kremlchef Wladimir Putin den Krieg näher an den Westen herantragen, mahnte Selenskyj.

Vor diesem Hintergrund übt der Politikwissenschaftler Andreas Heinemann-Grüder von der Universität Bonn scharfe Kritik an der Haltung linker Politiker in Deutschland, die sich für einen „schmutzigen Frieden“ zulasten der Ukraine starkmachen.

Ukraine-Krieg: Experte Heinemann-Grüder rügt das deutsche Zögern

„Seit Monaten lautet die Botschaft zum Kriegsverlauf: Die Ukraine ist Russland unterlegen und sollte lieber früher als später unerreichbare Kriegsziele preisgeben. Wie in einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung scheinen die Zögerer und Zauderer recht zu bekommen, die schon am Anfang die Ukraine aufgegeben hatten“, sagte Heinemann-Grüder im Gespräch mit FOCUS online.

Die zweimalige Ablehnung der Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine durch die Parteien der Ampelkoalition habe „die Prioritäten deutlich gemacht“. Selbst die Unterstützer der Taurus-Lieferung in der FDP und bei den Grünen hätten dagegen gestimmt. „Der Koalitionsfrieden ist allemal wichtiger als die eigene Überzeugung“, rügt Heinemann-Grüder. „An der Logik des deutschen Zögerns hat sich im Kern seit Beginn des Krieges nichts geändert.“

Der Russland-Experte erinnert in diesem Zusammenhang an die Worte des früheren Verteidigungsministers Peter Struck (SPD), wonach der Westen „am Hindukusch“ verteidigt werde, auch mit eigenen Soldaten. „Und 1999 hatte Deutschland laut damaligem SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping einen Genozid im Kosovo verhindert.“

Doch in den Augen der jetzigen Ampelregierung und insbesondere der SPD sei die Ukraine „nicht der Hindukusch, nicht der Kosovo, geschweige denn Israel“, so der Experte. „Die Ukraine soll nicht ganz verlieren, aber gewinnen soll sie auch nicht dürfen.“ In dieses Bild passe, dass der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich jüngst ein „Einfrieren“ des Kriegs forderte.

Ähnliches gelte für den langjährigen außenpolitischen Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und jetzigen Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen. Er setzt auf eine Verhandlungslösung nach Vorbild des Minsker Abkommens.

Das Minsker Abkommen war 2015 unter deutsch-französischer Vermittlung zwischen Russland und der Ukraine geschlossen worden, um den bereits damals unter russischem Einfluss stehenden Osten der Ukraine zu befrieden. Die meisten Verpflichtungen wurden allerdings nie umgesetzt, der Vertrag scheiterte.

„Pompöse Rhetorik in Talkshows ersetzt kein Lagebild”

Andreas Heinemann-Grüder kritisiert gegenüber FOCUS online Vorstöße wie die von Mützenich und Heusgen scharf: „Pompöse Rhetorik in Talkshows ersetzt kein Lagebild!“.

Stattdessen sollte man die „harten Fakten“ zur Kenntnis nehmen und seine Politik daran ausrichten. „Die Ukraine ist erschöpft, die inneren Bruchlinien vertiefen sich, der Krieg bedroht sogar die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit des Landes“, stellt der Forscher fest.

Seiner Einschätzung nach würde „keine Waffengattung für sich genommen“ den Kriegsverlauf entscheidend verändern. Allerdings bleibe festzuhalten: „Der Westen hindert die Ukraine systematisch daran, den Krieg nach Russland zu tragen, denn es soll ja ein asymmetrischer Krieg bleiben. Die Ukraine wiederum kann die Ergebnisse der Annexion der Krim und der russisch kontrollierten Gebiete im Donbass nicht militärisch revidieren.“

In Russland sei „keine Friedenspartei in Sicht“, konstatiert der Experte. Die Wirtschaft des Landes habe sich als widerstandsfähiger erwiesen als von den meisten erwartet. China, Brasilien, Südafrika, Saudi-Arabien und die Türkei, die sich zwischenzeitlich als Friedensstifter anboten, seien „unwillig oder unfähig, ihren Worten Taten folgen zu lassen“.

Heinemann-Grüder zu FOCUS online: „Der globale Süden verurteilt Russland mitnichten, sondern ist nur an Getreidelieferungen interessiert, ansonsten aber heimlich erfreut über eine Schwächung des Westens.“

Viele zu „schmutzigem Frieden mit Russland bereit“

Zur Rolle des Westens erklärte der Politikwissenschaftler: „Der Westen büßt seine moralische Lufthoheit täglich mehr ein; von der ‚soft power‘, mit der vor zwei Jahren noch Russland in der UNO mehrheitlich verurteilt wurde, ist seit dem Krieg in Gaza ohnehin nichts mehr geblieben.“ Vor diesem Hintergrund wachse die Fraktion derer, „die zu einem schmutzigen Frieden mit Russland bereit ist“.

Allerdings könnten einzig und allein die Ukrainer entscheiden, „mit welchem Kriegsende sie zu leben bereit sind“, so der Professor. Es liege auf der Hand, dass jede Art des Kriegsendes Folgen für Mittel- und Westeuropa habe. „Mit jedem Etappensieg der russischen Kriegsmaschine erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Verteidigungsfalls für Nato-Staaten.“

Für Andreas Heinemann-Grüder ist klar, dass die Ukraine nur durch massive militärische Unterstützung der USA eine realistische Chance gegen Russland hat: „Die Ukraine wird verlieren, wenn ein möglicher US-Präsident Donald Trump es so will.“ Dennoch könnten auch Deutschland und die anderen EU-Staaten Russlands Fähigkeit zur Kriegsführung empfindlich schwächen.

„Die Ukraine hat Mühen, Soldaten zu rekrutieren. Könnte die Ukraine mit Finanzhilfen aus der EU einen höheren Sold zahlen, würden sich weniger der Mobilisierung entziehen“, so der Experte. Allein in Deutschland lebten derzeit schätzungsweise 200.000 ukrainische Wehrpflichtige, „die es vorziehen, ihr Vaterland mit Postings auf Facebook zu unterstützen“.

Ein weiterer Punkt: „Im Frühjahr 2022 haben zahlreiche russische IT-Experten das Land verlassen, doch mittlerweile sind viele zurückgekehrt, weil ihre Mittel in Armenien, Georgien, der Türkei oder Kasachstan aufgebraucht sind“, so Heinemann-Grüder. „Es gibt keine Kollektivschuld aller Russen, auch wenn manche Ukrainer nun pauschal gegen alle Russen sind. Russophobie ist nur Wasser auf Putins Propagandamühle.“

Deutschland sollte nicht in „Russophobie“ verfallen

Vielmehr sollte jeder, der dem putinschen Regime den Rücken kehrt, „in Deutschland willkommen sein“, fordert der Experte. „Die Abwerbung und Aufnahme von russischen IT-lern würde Russlands Kriegsfähigkeit schwächen.“

Auch russische Oligarchen sollten eine wohlwollende Behandlung erfahren: „Wer sich von Putins Krieg glaubhaft und tatkräftig distanziert, könnte von Sanktionen befreit werden und seinen Geschäften im Westen nachgehen“, schlägt der Forscher vor.

Heinemann-Grüder stellt fest, dass in vielen russischen Waffen „immer noch westliche Technologie verbaut wird – eingeführt über Drittstaaten wie Armenien, die Türkei oder zentralasiatische Staaten.“ Eine Verschärfung der Sekundärsanktionen würde Russlands militärtechnisch bedeutsamen Nachschub treffen. „Zudem könnten russische Vermögenswerte gepfändet werden, um der Ukraine finanziell zu helfen.“

Einen weiteren Ansatz sieht der Experte in der Bekämpfung „von Russlands hybrider Kriegsführung mit seiner täglichen Produktion von fake news, die zu Verwirrungen, Spaltungen und Destabilisierungen in Europa“ führen. „Bisher fehlt es an europaweiten Strategien, um sich diesem Informationskrieg entgegenzustellen.“

Eine anwendungsorientierte Forschung zur Früherkennung von russischen Maßnahmen mithilfe von künstlicher Intelligenz wäre laut dem Experten eine sinnvolle strategische Investition. „Das Feld von TikTok, Instagram, Telegram und Facebook darf nicht den russischen – oder chinesischen – Manipulatoren überlassen bleiben!“

Generell seien ein „neues Denken und ein ganzheitlicher Ansatz“ im Kampf gegen Putin und dessen Mitstreiter erforderlich, so Andreas Heinemann-Grüder. „Das Motto muss lauten: Die Ukraine stärken, Russland schwächen und Partner gewinnen.“

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