Problem für Putin: Tschetschenien sucht nach einem Thronfolger

Wechsel im Kadyrow-Clan

Problem für Putin: Tschetschenien sucht nach einem Thronfolger

Ramsan Kadyrow ist dem Tode geweiht – so lauten Gerüchte. Auf einem Fitness-Video will der Tschetschenen-Führer aber aussehen wie das blühende Leben.

Grosny – „So Gott will, wirst Du ewig leben“ – das läuft als Singsang im Hintergrund eines Videos von Fitness-Übungen Ramsan Kadyrows. Der Tschetschenen-Führer lanciert pressewirksam seinen vermeintlich tadellosen Gesundheitszustand, nachdem das russische Online-Medium Nowaja Gaseta Europa unter Berufung auf anonyme Quellen verbreitet hatte, Kadyrow sei todkrank – deren Meldungen zufolge leide er unter nekrotisierender Pankreatitis, einer schweren Erkrankung der Bauchspeicheldrüse – und das möglicherweise schon seit vier Jahren. Die Bild spricht jetzt von „plötzlicher Panik in Putins Machtapparat”, die Nowaja Gaseta sucht bereits einen Thronfolger für die Teilrepublik der Föderation Russlands. Denn: Ein blutiger Machtkampf soll unbedingt verhindert werden.

Seit dem vergangenen Jahr soll dem Vasallen von Wladimir Putin sein schlechter Gesundheitszustand deutlich anzusehen sein, wie die Gaseta schreibt: „Selbst der unaufmerksamste Beobachter konnte erkennen, dass Kadyrow aufgrund von Nierenversagen und Flüssigkeit in der Lunge auf das Eineinhalbfache seiner ursprünglichen Größe angewachsen war. Er zeigte alle Anzeichen einer abnormalen Flüssigkeitsansammlung im Bauchraum, litt unter schrecklicher Atemnot, hatte Schwierigkeiten beim Sprechen, ging langsam und war für das tschetschenische Klima überbekleidet.“

Aderlass: Putin verliert mit Kadyrow neben Prigoschin seinen zweiten Warlord

Dieser Beobachtung folgten mehrere öffentliche Termine, die Kadyrow hatte platzen lassen, dazu Berichte über Krankenhausaufenthalte in Moskau, teilweise zur intensivmedizinischen Behandlung. Jetzt schießen die Gerüchte über seine Nachfolge ins Kraut, wobei die Gaseta auch klar macht, dass über den künftigen tschetschenischen Machthaber definitiv im Kreml entschieden werden würde. Das ARD-Magazin Monitor hat Kadyrow zu einem „der schlimmsten Diktatoren unserer Zeit“ erklärt – er ist einer der engsten Abhängigen von Wladimir Putin – sein „Bluthund“, wie ihn die Medien betiteln, weil er in Person und seine Truppen immer wieder mit Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang gebracht werden. Kadyrow ist neben dem vermeintlich toten Führer der Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, der zweite bedeutende Warlord, der im Ukraine-Krieg mitmischte.

„Der 15-jährige Sohn von Ramsan Kadyrow hat schon sieben Orden, den Titel ,Held Tschetscheniens‘ und einen ,verantwortungsvollen Posten‘ im Sicherheitsdienst seines Vaters erhalten. Warum bekommt er solche Aufmerksamkeit?“

Markian Ostaptschuk über Adam Kadyrow in der Deutschen Welle

Kadyrow scheint vor allem wirtschaftliche Ziele abseits der Schlachtfelder zu verfolgen. Während Staatspräsident Wladimir Putin nach Macht giert, schielt sein tschetschenischer Vasall auf Profit. Auch lässt er Familienmitglieder auf gut dotierte Posten setzen. Politik scheint ihn dabei nur zu interessieren hinsichtlich des Nord-Kaukasus; dort streitet sich das unter seiner Herrschaft stehende Tschetschenien mit dem Nachbarn Inguschetsien um die Vorherrschaft.

Die Nowaja Gaseta sucht einen Nachfolger zunächst unter seinen Kindern – er hat zwölf davon. Ende vergangenen Jahres hatte auch die Deutsche Welle das Spekulieren begonnen – mit dem Blick auf Adam Kadyrow hat sie diskutiert: „Der 15-jährige Sohn von Ramsan Kadyrow hat schon sieben Orden, den Titel ,Held Tschetscheniens‘ und einen ,verantwortungsvollen Posten‘ im Sicherheitsdienst seines Vaters erhalten. Warum bekommt er solche Aufmerksamkeit?“ Kadyrow junior leitet offenbar die Sicherheitsabteilung, die seinen Vater beschützt, und er soll auch schon Orden der Russischen Föderation erhalten haben. Das Magazin nd stempelte ihn quasi zum geborenen Diktator: Adam Kadyrow hat zu seinem 16. Geburtstag Orden und eine Armeeeinheit bekommen.“

problem für putin: tschetschenien sucht nach einem thronfolger

Adam Kadyrow steht in Kampfuniform mit einer Waffe im Anschlag am Rande einer Parade.

Familienbande: Putins nächster Vasall eventuell ein Sproß aus dem Kadyrow-Clan

Ein Video zeigt den Sprössling bei der Misshandlung eines tschetschenischen Häftlings – das erwecke unter Beobachtern den Eindruck, als würde Kadyrow einen Nachfolger küren und ihn Putin schmackhaft machen wollen, vermutet Nikolaj Petrow gegenüber der Deutschen Welle: Der Leiter des russischen Zentrums für politisch-geografische Forschung schließt nicht aus, „dass Ramsan Kadyrow austesten will, wie weit er gegenüber Moskau gehen und selbstständig handeln kann“. Auch eine Tochter des Autokraten steht bereits in den Startlöchern. Seine mit 24 Jahren älteste Tochter, Aishat Kadyrowa, ist laut Informationen von Radio Free Europe (RFE) im Oktober von der Kulturministerin zur stellvertretenden Vorsitzenden der tschetschenischen Nationalregierung geworden.

„Kadyrow erklärte offen, dass er es nicht zulassen werde, dass ihm Ernennungen von außen aufgezwungen würden und seine Personalpolitik diskreditiert werde“, schrieb im Oktober 2022 Natalia Kildiyarova für das RFE-Medienprojekt Caucasus.Realities. Nach deren Recherchen „waren im Jahr 2016 zu verschiedenen Zeiten etwa 100 Personen aus dem sogenannten Kadyrow-Clan in Regierungsämtern tätig, ein Drittel davon waren Blutsverwandte des tschetschenischen Oberhauptes. Im Jahr 2018 veröffentlichte der BBC Russian Service eine Untersuchung, in der behauptet wurde, dass von 158 Beamten in Tschetschenien etwa 47 Personen mit Kadyrow verwandt seien“.

Geben und Nehmen: Kadyrow hält Tschetschenien zusammen und darf sich dafür austoben

Neben dem Belarusen Alexander Lukaschenko gilt Kadyrow als wohl Putins engster Verbündeter im Rahmen der Russischen Föderation – in Tschetschenien ist der Clan-Chef scheinbar auch unangefochten, „und dem Kreml scheint diese gewaltsame Befriedung den Preis beinahe totalitärer Willkür und gelegentlicher Übertreibungen wert zu sein. Aber ohne den Kreml käme der bärtige, oft entrückt wirkende Tschetschene nicht weit. Verlöre er die Gunst Putins, könnten sich weder er noch seine ebenso wenig vor Folter und Mord zurückschreckenden Mitstreiter lange an der Macht halten“, schrieb die Neue Zürcher Zeitung am Ende des ersten Jahres des Ukraine-Kriegs.

Außenpolitisch fehlen Putin unverrückbare Freundschaften, insofern wird erwartet, dass der russische Diktator sehr genau auswählen wird, wer Kadyrow folgen könnte. Die Nowaja Gaseta Europa spekuliert neben den Familienangehörigen noch mit den externen Kandidaten Magomed Daudow und Adam Delimchanow. Daudow ist Sprecher des tschetschenischen Parlaments, und Delimchanow Abgeordneter für Tschetschenien im Unterhaus des russischen Parlaments, der Staatsduma. Dritter externer Kandidat mit – nach Meinung der Gaseta – vielleicht besten Chancen ist Apti Alaudinow, der die tschetschenische Freiwilligeneinheit Achmat kommandiert und die Reste der nach dem Putsch verstreuten Wagner-Söldner unter sein Kommando genommen hatte – mit dem Segen des Kreml-Chefs.

Wie die Gaseta berichtet hat, wurde Alaudinow von Putin selbst zum Stellvertreter der Hauptdirektion für militärische und politische Arbeit im Verteidigungsministerium ernannt. „Putins Anordnung könnte als Bestätigung dafür dienen, dass sich der Kreml endlich auf einen Nachfolger für Kadyrow geeinigt hat, dessen Gesundheitszustand im vergangenen Jahr die Hauptnachricht aus Tschetschenien war“, wie die Gaseta berichtet. Ihr zufolge soll das aktuell veröffentlichte Video den wahren Gesundheitszustand des Diktatoren verschleiern.

Nestbeschmutzer: Kadyrow wirft ein schlechtes Licht auf das Image Wladimir Putins

Ob mit oder ohne ihn wird sich am Kurs des rund 1,5 Millionen Menschen zählenden Völkchens möglicherweise kaum etwas ändern; die Teilrepublik hängt wirtschaftlich am Tropf Russlands. Nach Monitor-Angaben sind auch die Truppen des Landes ein unverzichtbarer Teil der russischen Invasion der Ukraine – den Tschetschenen werden auch zahlreiche Kriegsverbrechen vorgeworfen. In einem Fernseh-Interview in 2017 hatte Kadyrow seine hündische Abhängigkeit von Putin offen zugegeben: „Kadyrow beschrieb Putin als sein ,Idol‘ und sagte in dem Interview: ,Ich bin bereit, für ihn zu sterben, jeden Befehl zu erfüllen‘“, wie der britische Guardian berichtet hat.

Erstaunlicherweise hatte der seit 2007 durch Russlands Gnaden regierende Politiker vor den Oberhauptswahlen in seinem Land im Jahr 2016 eine noch sehr schüchterne Meinung von seiner Rolle – er war einer der Kandidaten. Laut dem Guardian sagt er in einem Interview dem staatlichen russischen Fernsehsender Rossija 1: „Früher gab es für Leute wie mich das Bedürfnis zu kämpfen, die Dinge in Ordnung zu bringen. Jetzt haben wir Ordnung und Wohlstand … und es ist Zeit für Veränderungen in der Republik Tschetschenien. Allerdings gelten diese Aussagen als vermeintliche Beschwichtigung, weil parallel auch Putin zur Wahl stand und eine zu große Nähe zu Kadyrow einen Schatten auf sein Image geworfen hätte.

Auf die in diesem Interview gestellte Frage, ob er zum Rücktritt bereit sei, soll Kadyrow geantwortet haben: „Man kann sagen, dass es mein Traum ist.“

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