Unterhaltungsindustrie: Country in den USA: Warum die oft totgesagte Musikrichtung im Zentrum der Kulturkämpfe steht

Country-Musik erlebt einen Boom in Amerika, auch dank Taylor Swifts Wurzeln in der Szene. Die Branche versucht, Vorurteile abzuschütteln – löst aber immer wieder politische Kontroversen aus.

Sie hatte alle Klischees über Country im Kopf, als sie ins amerikanische Musikbusiness einstieg: Cowboyhüte, monströse Gürtelschnallen und Lieder, die von Geländewagen, Whiskey, Gott und Herzschmerz handeln. „Etwas, das man nicht so richtig ernst nehmen kann“, erinnert sich Marion Kraft. Aus Deutschland, wo die 59-Jährige aufgewachsen ist, kannte sie höchstens die Band Truck Stop, ansonsten habe sie mit Country nicht viel anfangen können.

Doch inzwischen ist Kraft, die 1985 in die USA auswanderte, die Managerin einer der größten US-Countrystars. Kraft hat in Nashville, dem Mekka der Szene, ihre Agentur ShopKeeper aufgebaut und unter anderem Miranda Lambert unter Vertrag, eine vielfach preisgekrönte Sängerin und Songwriterin.

„Die Countrymusik von heute ist in Wahrheit die neue Rockmusik“, erklärt Kraft, die ihren schwäbischen Akzent behalten hat. Aerosmith, Bon Jovi, die Rolling Stones, etwas Vergleichbares habe es nach den späten 80ern kaum noch gegeben.

Country erlebe in den USA einen unvergleichlichen Boom, das Fangemeinde wachse zur Zeit schneller als bei Hip-Hop und R&B. „Mal im Ernst, die Leute wollen doch nicht nur ‚uh uh baby‘ und ‚give it to me‘ hören. Sie wollen mitsingen, sich wiederfinden in ihrem Alltag.“

Die Zahlen geben Marion Kraft recht: Laut den neusten Daten des Branchenbeobachters Luminate waren im Jahr 2023 vier der zehn digital am häufigsten gestreamten Stücke in den USA Countrysongs. Luminate zufolge stiegt der Konsum von Countrymusik in den USA um rund 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr an.

Zum Teil ist die Countrywelle auch auf Megastar Taylor Swift zurückzuführen: Ihre ersten vier Countryalben, die sie aufnahm, bevor sie zum Pop wechselte, werden im Zuge des Swift-Hypes neu entdeckt.

Aber auch abseits von Swift bricht das Genre neue Rekorde: 2023 kletterte erstmals in der Geschichte der Streaming- und Verkaufscharts ein Newcomer über Nacht an die Spitze: Oliver Anthony klampfte in „Rich Men North of Richmond“ gegen die „gierige Regierung“, Steuern und Inflation an.

Demnächst geht der zuvor unbekannte Sänger auf Europatour. Ein deutscher Spitzenpolitiker erzählte kürzlich im Vertrauen, er habe sich den Song angehört, um die Stimmung vor den Präsidentschaftswahlen besser zu verstehen, denn Anthony hatte mit seinem Hit in den USA eine Kontroverse ausgelöst.

US-Republikaner und Rechtsaußenpolitikerinnen wie die Trump-Vertraute Marjorie Taylor Greene priesen den Song als Hymne der Arbeiterklasse gegen Präsident Joe Biden. Anthony singt von der Regierung, die „totale Kontrolle“ ausübe, von „Scheißlöhnen“ und „fettleibigen Sozialhilfebetrügern“ – und ist damit erfolgreich.

Sein umstrittener Hit wirkte wie ein Ventil in einem gespaltenen Land, das vor einer Trump-Rückkehr ins Weiße Haus steht. Plötzlich stand Country im Zentrum der amerikanischen Kulturkämpfe – mit größerem Einfluss als je zuvor.

Dabei wurde Country schon oft für tot erklärt. Die „New York Times“ schrieb im Jahr 1985 und um die Jahrtausendwende, dass sich Country „im Abschwung“ befinde: zu weiß, ausgrenzend und altbacken sei der Musikstil, er könne mit dem gesellschaftlichen Fortschritt nicht mithalten. In der Branche, die jährlich einen Umsatz von vier Milliarden Dollar erwirtschaftet, kann man darüber nur lächeln.

In der „Country Music Hall of Fame“ in Nashville hängt der „New York Times“-Artikel an der Wand, kommentarlos neben Rekordzahlen von Konzertticketverkäufen. Leslie Fram, Programmdirektorin beim Country-Musiksender CMT, sieht das Genre im Mainstream angekommen. „Großartige Songs steigen an die Spitze der Charts und können das Genre weltweit katapultieren“, auch nach Europa, ist Fram überzeugt.

Sina Hall vom deutschen Konzertveranstalter Semmel sieht gerade in Deutschland einen Wachstumsmarkt: „Wir sehen rasant steigende Zahlen bei den Ticketverkäufen“, sagt sie dem Handelsblatt. Karten für Deutschlandkonzerte von Sängern wie Luke Combs oder Lainey Wilson seien schnell vergriffen. Laut der amerikanischen Country Music Association habe sich in die Wachstumsrate beim Streaming von Country in Deutschland zuletzt verdreifacht.

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