Politisches Beben nach AKW-Papieren: Warum berichten Tagesschau und heute-Journal nicht?

politisches beben nach akw-papieren: warum berichten tagesschau und heute-journal nicht?

Versucht nach den AKW-Enthüllungen zu beschwichtigen: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

Am Donnerstagmorgen enthüllte das Cicero-Magazin, wie grüne Spitzenbeamte im Frühjahr 2022 mit der Frage einer möglichen Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke umgegangen waren. Der Bericht legt nahe: Expertenurteile zum Atomausstieg wurden verfälscht, Politiker und Öffentlichkeit vorsätzlich getäuscht. In der Folge griffen etliche Medien die Recherche auf. Der Bundestag entschied, eine Sondersitzung des Energieausschusses einzuberufen, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geriet unter Erklärungsdruck. Aber weder der ARD-Tagesschau noch dem heute-Journal des ZDF, die quotenstärksten Nachrichtenformate des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, war das gestern Abend eine Nachricht wert.

Stattdessen widmete das heute-Journal etwa einem Medienskandal in Italien einen ausführlichen Beitrag, während die Tagesschau unter anderem die Aufhebung des Urteils gegen den amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein thematisierte. Auf die Frage der Berliner Zeitung, warum ARD und ZDF in ihren prominenten Nachrichtensendungen nicht über die Cicero-Enthüllungen berichtet hatten, gingen die Sender nicht direkt ein. Stattdessen verwiesen sie auf andere aktuelle Formate, in denen man über das Thema berichtet habe.

Die ARD leitete die Anfrage an den NDR weiter – der Sender mit Sitz in Hamburg ist federführend für die Berichterstattung der Tagesschau. Eine Sprecherin ließ diese Zeitung wissen, ARD-aktuell habe „bereits gestern, am 25.04., um 17.22 Uhr, auf tagesschau.de“ über die Cicero-Recherche berichtet. Seit Freitagmorgen sei überdies dieses Thema „mit dem Beginn der Sondersitzung des Bundestags-Ausschusses für Klimaschutz und Energie“ im linearen Fernsehen Teil der Tagesschau-Berichterstattung. „Unser Nachrichtenangebot ist breit gefächert und findet auf vielen Ausspielwegen statt“, so die Sprecherin.

Auch das ZDF verweist auf ein anderes aktuelles Nachrichtenformat, und zwar auf ZDF heute. Dieses berichte „seit Bekanntwerden umfangreich über die AKW-Papiere und die damit verbundenen Vorwürfe, die gegen den Wirtschaftsminister erhoben werden“, teilt ein Sprecher der Berliner Zeitung mit. Am Donnerstagnachmittag seien zudem die Ausschusssitzungen „mit Robert Habeck und Steffi Lemke für diesen Freitag angesetzt“ worden. Daher hätten die Nachrichtensendungen entschieden, erst am Freitag „ausführlich mit Bildern, Stellungnahmen und Reaktionen aus dem Parlament zu berichten und die Hintergründe einzuordnen“.

Zur Wahrheit gehört zwar: Nicht wenige der Themen, über die die öffentlich-rechtlichen Sender am Donnerstagabend berichtet hatten, waren auch trotz der Cicero-Enthüllung weiter relevant. So etwa die Kontroverse um Spionage-Ermittlungen gegen einen Mitarbeiter des AfD-Europaparlamentariers Maximilian Krah oder die Debatte rund um die Einrichtung eines Bundeswehr-Veteranentags. Auch eine Rede von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, in der er die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Rüstungsindustrie fordert, besaß offensichtlich Relevanz. Ob das auch auf Berichte über eine Touristensteuer in Venedig oder gestrandete Grindwale an der Westküste Australiens zutrifft – über beides berichtete die Tagesschau in ihrer Ausgabe um 20 Uhr –, ist jedoch fraglich.

Fest steht: Schon am Donnerstagvormittag war für viele Journalisten absehbar, dass die Cicero-Recherche zum Politikum werden würde. Politiker der Unionsparteien, sogar der Regierungspartei FDP, forderten von Habeck umgehend eine Erklärung. Manche legten ihm sogar den Rücktritt nahe. Die Entscheidung am Donnerstagnachmittag, den Energieausschuss des Bundestags zu einer Sondersitzung einzuberufen, war vor diesem Hintergrund zu erwarten. Wieso die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF bis dahin mit größerer Berichterstattung abwarteten, bleibt offen.

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