Polen bei der EM: Diesmal endlich mehr als nur Lewandowski?

polen bei der em: diesmal endlich mehr als nur lewandowski?

Lewandowski schaut lieber weg: Szene beim Elfmeterschießen in Cardiff.

Der ehemalige Bayern-Stürmer hat mit der Nationalmannschaft noch eine Rechnung offen. Dass Polen nach dem Sieg in den Playoffs mit Ambitionen zur EM reist, hat aber vor allem mit den Mannschaftskollegen zu tun.

Diesmal endlich mehr als nur Lewandowski?

Robert Lewandowski hat in seiner langen Laufbahn als Ausnahmestürmer von Borussia Dortmund, dem FC Bayern und dem FC Barcelona nahezu alles gesehen und erlebt. Trotzdem konnte der Kapitän der polnischen Nationalelf im Elfmeterschießen des Playoff-Finales um die EM-Teilnahme gegen Wales nicht mehr hinschauen. Vor dem entscheidenden Fehlschuss des Walisers Daniel James drehte der 35-Jährige am Mittelkreis im Beisein seiner Teamkollegen dem Geschehen den Rücken zu – und hielt sich die Hände gebetsartig vor das Gesicht.

Das Foto verbreitete sich rasend schnell in der digitalen Fußballwelt. Und die Polen dürften es in Zukunft in Ehren halten, so wie den Angreifer selbst, der als Rekordspieler ihres Landes sagenhafte 82 Tore in 148 Ländermatches erzielt hat.

Lewandowskis Reaktion drückte die Bedeutung des Duells um den letzten verbliebenen Turnierstartplatz für ihn und seine Nation aus. Die ersten neun Schützen hatten im Shootout ihre Strafstöße souverän verwandelt, sodass James für Wales gezwungen war, zu treffen, um eine weitere Runde zu erzwingen – doch er scheiterte mit seinem Rechtsschuss in die linke Ecke an Polens Torwart Wojciech Szczesny. Dessen Mitspieler stürmten sofort auf ihn zu und feierten eine Party im Tor: Alle fanden sich im Jubel über den 5:4-Sieg im Elfmeterschießen hinter der Linie ein.

Nur einer fehlte zunächst, Lewandowski. Er bekam die Neuigkeit verzögert mit, womöglich durch den Anblick der trauernden Waliser auf den Stadiontribünen in Cardiff. Er habe gehofft, dass Szczesny sein Können im Elferschießen schon früher zeige, erklärte sich Lewandowski hinterher mit einem Augenzwinkern. Deshalb habe er sich beim fünften walisischen Versuch gesagt: “Okay, Wojciech, ich schaue dir jetzt nicht mehr zu. Vielleicht bist du ein wenig deprimiert. Ich werde dir nun mehr Freiraum geben.” Der Schlussmann von Juventus Turin konterte genauso schlagfertig, dass Lewandowski ihn für “schwach” hielte, da er ihm eben nie zusehe.

Aus den Äußerungen von Lewandowski und Szczesny ließ sich besonders ein Gemütszustand ableiten: Erleichterung. Und die verspürt tags darauf auch Artur Wichniarek im Gespräch mit der SZ. Er hatte das Drama gegen Wales für den heimischen TV-Sender TVP kommentiert. Gleich zu Beginn betont der ehemalige Bundesligastürmer von Arminia Bielefeld und Hertha BSC, dass der Anblick von Lewandowski einen Eindruck liefere, wie viel Druck auf ihm gelastet habe – nachdem die Mannschaft in der Qualifikation trotz einer machbaren Auslosung an Albanien und Tschechien gescheitert war. Viele Fans hätten im Vertrauen auf das Nationalteam schon frühzeitig die Reise ins Nachbarland gebucht, erzählt Wichniarek. So sei es die Pflicht der Spieler um Lewandowski gewesen, die Teilnahme zumindest im zweiten Anlauf über die Nations-League-Wertung klarzumachen.

Der dafür nötige Schub setzte in Polen mit dem Trainerwechsel im September 2023 ein, als der Portugiese Fernando Santos nach einer Pleite gegen Albanien freigestellt wurde. Stattdessen übernahm der landesweit bekannte Coach Michal Probierz, in den Neunzigerjahren Abwehrspieler unter anderem für Bayer Uerdingen und die SG Wattenscheid. Mit ihm sei so etwas wie personelle und strukturelle Konstanz in der Mannschaft zurückgekehrt, findet Wichniarek: In den Playoff-Duellen mit Estland und Wales spielte Polen erstmals seit 2016 (!) zwei Matches in Serie mit derselben Startelf.

Polen hat eine der stärksten Gruppen erwischt

Vor allem ist dem 47-jährigen aufgefallen, dass diesmal “nicht nur eine Mannschaft gespielt hat, die ausschließlich auf Robert schaute, sondern jeder Spieler ein Teil des Erfolgs” gewesen sei. Diese Ansicht belegt auch das Elferschießen. Lewandowski gab als erster Schütze mit einer waghalsig, fast aus dem Stand geschossen Ausführung den Ton an. Ihm folgten die Kollegen Szymański, Frankowski, Zalewski und Piatek, die allesamt bei bekannten Klubs unter Vertrag stehen. Dass auch andere Spieler Verantwortung übernehmen, habe Lewandowski immer wieder eingefordert, ergänzt Wichniarek.

Denn aus seiner Sicht habe der zweimalige Fifa-Weltfußballer der Jahre 2020 und 2021 trotz seines Status als bester Spieler in der Historie seines Landes “noch eine Rechnung offen”: ein achtbares Turnierergebnis. Bei seinen bisherigen zwei WM- und drei EM-Teilnahmen kam Lewandowski mit Polen nicht über das Viertelfinale hinaus. 2016 scheiterte das Land im Elfmeterschießen an Portugal, der nach wie vor größte Erfolg bei einer EM. Allerdings reicht dieses Abschneiden nicht an die dritten Plätze bei den Weltturnieren 1974 und 1982 heran.

So weit voraus will Wichniarek nicht blicken. Er sehe Polen momentan “keinesfalls in einer Pole-Position, sondern in einer hinteren Reihe”. Bei der EM in Deutschland bekommt es das Land mit Frankreich, den Niederlanden und Österreich zu tun, einer der stärksten Vorrundengruppen. Auch wenn die Erwartungen in Polen aufgrund der Vorgängergenerationen immerzu hoch sind, scheint die gemeisterte Qualifikation für Lewandowski einem Titel gleichzukommen. Eine EM in Deutschland, wo ihm seine größten Erfolge gelangen, hat auch er noch nicht absolviert.

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