58 Cent mehr Rundfunkbeitrag: Wie rechnen Sie das denn aus, Herr Detzel?

58 cent mehr rundfunkbeitrag: wie rechnen sie das denn aus, herr detzel?

Martin Detzel, Vorsitzender der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF)

Die Gebührenkommission KEF hat die Finanzbedarfsanmeldung der öffentlich-rechtlichen Sender um zwei Drittel reduziert. Dennoch stünden ARD, ZDF und Deutschlandradio, Ihrem Vorschlag folgend, für die nächsten vier Jahre fast drei Milliarden mehr zur Verfügung. Welchen Mehraufwand haben Sie anerkannt?

Die Kürzung der KEF um circa zwei Drittel betraf den ungedeckten Fehlbetrag für 2025 bis 2028, der durch eine Beitragserhöhung auszugleichen ist. Hierzu haben zu etwa 50 Prozent Aufwandskürzungen, zu etwas mehr als 30 Prozent Ertragszuschätzungen und zu rund 15 Prozent Zuschätzungen bei den verfügbaren Eigenmitteln beigetragen. Die Kürzungen beim Aufwand umfassen 950,3 Millionen Euro. Die Kommission entscheidet in der Regel also über Kürzungen, nicht über die Anerkennung jeder einzelnen angemeldeten Aufwandsposition.

Warum ist das so?

Verfassungsgerichtlich steht den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Bestands- und Entwicklungsgarantie zu. Methodisch schreibt die Kommission folglich den Aufwand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zunächst einmal auf der Basis repräsentativer Basisjahre fort. Dabei kommen, abhängig von der Aufwandsart, möglichst sachgerechte Preisindizes zur Anwendung. Im 24. Bericht waren von den Kürzungen insbesondere die Aufwandsarten Personal, betriebliche Altersversorgung und Programm betroffen.

Die Beitragserhöhung liegt unter der Inflationsrate. Wie wäre es möglich, dass der Beitrag gar nicht steigt?

Das Ergebnis des 24. Berichts, das in die Empfehlung einer Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 58 Cent für 2025 bis 2028 mündet, beruht auf dem aktuellen Auftrag der Länder. Schließt man die von der Kommission für 2025 bis 2028 empfohlene Beitragserhöhung in die Berechnung mit ein, so ist seit 2009, also über eine Dauer von 20 Jahren, für die Beitragszahler nahezu eine absolute Beitragsstabilität erreicht. Unter Berücksichtigung der Kaufkraftentwicklung ist die relative Beitragsbelastung sogar rückläufig. Dazu hat die Umstellung vom Gebühren- auf das Beitragsmodell beigetragen. Den Anstalten ist absolut gesehen mehr Geld zugeflossen. Veränderungen der Rahmenbedingungen liegen nun in der Hand der Länder. Für die Empfehlung des 24. Berichts bleibt dies ohne Einfluss. Dabei ist erwähnenswert, dass bereits im Spätherbst dieses Jahres das Anforderungsschreiben für den 25. Bericht ansteht.

Die KEF muss nicht alle zwei Jahre eine Empfehlung abgeben.

Nach dem Staatsvertrag besteht kein Unterschied zwischen einem Beitragsbericht und einem Zwischenbericht. Jeder Bericht kann auch ein Beitragsbericht sein, wenn die Kommission zu entsprechenden Ergebnissen kommt. Auch in einem Zwischenbericht finden Sie die Formulierung „Die Kommission hat keine Anhaltspunkte für eine Veränderung der Beitragsempfehlung“. Das heißt aber auch, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, berechnet die KEF den Bedarf aufgrund des neuen Auftrags und der Anmeldung der Anstalten.

Bis 2030 scheiden bei der ARD altersbedingt 30 Prozent der Belegschaft aus. Welche Rolle hat das für die Anmeldung der Anstalten gespielt?

In den Jahren zwischen 2021 bis 2030 scheiden tatsächlich rund 30 Prozent der Beschäftigten aus. In dem jetzt verbleibenden kürzeren Zeitraum von 2023 bis 2030 sind es zwischen 20 und 24 Prozent. In jedem Fall eröffnet dies erhebliche Handlungsoptionen. Die Anstalten weisen immer wieder darauf hin, dass sie zur Transformation ihrer Leistungen in die digitale Welt andere Kompetenzen benötigen. Die Kommission verfolgt zur Dämpfung der Personalkostenentwicklung parallel folgenden Ansatz: Einerseits behält sie die Vorgabe aufrecht, dass jährlich 0,5 Prozent der besetzten Stellen abzubauen sind. Andererseits können die Anstalten darüber hinausgehende frei werdende Stellen bedarfsgerecht, also gemessen am Auftrag, mit den benötigten neuen Kompetenzen wiederbesetzen.

Im Bericht heißt es, die Transformation von der analogen in die digitale Medienwelt sei grundsätzlich aus dem Bestand zu finanzieren. Betrifft das auch technische Investitionen, wie sie die ARD angemeldet hat?

Die Kommission hat das angemeldete Entwicklungsprojekt „Digitale Erneuerung“ der ARD nicht anerkannt. Das Entwicklungsprojekt beinhaltete primär Personal- und Sachaufwendungen. In Letzteren sind technische Investitionen enthalten. Zusammenfassend gesagt sind Content, Personal und Sachmittel für die Transformation aus dem Bestand zu finanzieren.

ARD und ZDF sagen, sie schichten Mittel fürs Digitale um, und nennen das „Einsparungen“. Sind sie das?

Unstrittig ist, dass die Transformation von der analogen in die digitale Welt Anlaufkosten verursacht. Gleichzeitig können aber Aufwendungen für die analoge Welt zurückgefahren werden. Die Kunst ist es, dies durch Umschichtungen auszutarieren. Dabei kommt den Anstalten zugute, dass die Beitragsperiode vier Jahre umfasst, sodass Verschiebungen innerhalb von Jahresscheiben der gleichen Beitragsperiode keine Auswirkungen auf den Finanzbedarf dieser Periode haben. Richtig ist, dass die Anstalten vor substanziellen Veränderungen stehen und große Kostenblöcke weitgehend nur über die Zeitschiene verändert werden können.

Die KEF fordert, Doppelstrukturen zu vermeiden. Welche haben Sie im Blick?

Diese Aussage betrifft nicht nur die Erwartung vermehrter Kooperation zwischen den Landesrundfunkanstalten, sondern umfasst den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, also auch die Verstärkung der Kooperationsschritte zwischen ARD, ZDF und Deutschlandradio. Die größte Chance dafür besteht immer dann, wenn große technologische Sprünge umgesetzt werden müssen. Stichwort: Transformation, gemeinsame technische Plattform. Einmal verfestigte Strukturen sind dann nur noch mit hohem Aufwand wieder aufzulösen. Kooperationsalternativen müssen also von Anfang an mitgedacht werden.

Sie haben betont, dass Überlegungen zum künftigen Auftrag und der Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erst dann von der Kommission berücksichtigt werden, wenn diese konkret in einem Staatsvertrag geregelt seien. Könnten Sie das bitte erläutern?

Sowohl die Anmeldung der Anstalten als auch die darauf aufbauende Prüfung und die Beitragsempfehlung benötigen eine belastbare rechtliche Grundlage. Für den aktuellen 24. Bericht war dies der Dritte Medienänderungsstaatsvertrag in der Fassung, in der dieser von allen Ministerpräsidenten unterschrieben war. Da die Länder von der Empfehlung der Kommission nur in sehr engen Grenzen und auch nur einstimmig abweichen dürfen, könnte ansonsten eine Empfehlung für die Beitragspflichtigen wirksam werden, der lediglich Wünsche oder Ideen zugrunde liegen. Für die aktuellen Überlegungen zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liegen bisher weder ein verbindlicher Zeitplan noch ein ausreichend konkretisierter Änderungsvorschlag vor. Auf dieser Grundlage kann die Kommission keine Beitragsempfehlung abgeben.

Das heißt, ein KEF-Bericht zu den Einsparmöglichkeiten ist erst sinnvoll, wenn wenigstens der Entwurf des Reformstaatsvertrags vorliegt?

Sonderberichte betreffen ausgewählte Fragestellungen der Länder jenseits der staatsvertraglich geregelten zweijährigen Berichterstattung der Kommission. Die Ausführungen ersetzen nicht einen Beitragsbericht, sondern können lediglich helfen, Handlungsüberlegungen im Gesamtzusammenhang wirtschaftlich abzuschätzen. Eine konkrete Empfehlung zur Anpassung des Rundfunkbeitrags setzt ein reguläres Verfahren auf der Grundlage eines geltenden Staatsvertrags voraus. Der darin formulierte Auftrag bestimmt die Anmeldung der Anstalten sowie deren Prüfung durch die Kommission und die darauf basierende Beitragsempfehlung. Für den aktuell diskutierten KEF-Sonderbericht ist eine bedeutende Voraussetzung, dass die Änderungsvorschläge der Länder ausreichend konkret formuliert sind.

Der „Zukunftsrat“ schlägt vor, die Zusammensetzung und Aufgabe der KEF zu verändern. Was halten Sie davon?

Die Empfehlungen des Zukunftsrats zur qualitativen Auftragsüberwachung durch eine neu zu strukturierende Kommission erscheint aus Sicht der derzeitigen Kommission systemfremd. Mit der Aufwertung der Gremien durch den Vierten Medienänderungsstaatsvertrag haben die Länder vielmehr die Grundlage geschaffen, innerhalb der dafür vorgesehenen anstaltsinternen Aufsicht die Umsetzung des Auftrags sowohl ex ante als auch ex post prüfen zu können. Die Zusammensetzung der Gremien ermöglicht eine Abbildung der Gesellschaftsstruktur. Zur Anwendung kommende Methoden könnten zwischen den Gremien übergreifend standardisiert werden. Jede sanktionsberechtigte externe Kontrolle einer Programmqualität läuft große Gefahr, mit der verfassungsrechtlichen Programmautonomie der Anstalten zu kollidieren.

Martin Detzel ist Vorsitzender der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs KEF und Professor für Betriebswirtschaftslehre an der DHBW Karlsruhe.

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