FDP stellt 12-Punkte-Papier vor: Bombe mit begrenzter Sprengkraft

Die FDP nährt mal wieder Spekulationen über ein vorzeitiges Ende der Ampel. Doch mit ihrem Papier zur »Beschleunigung der Wirtschaftswende« beruhigen die Liberalen vor allem die Gemüter der Parteibasis.

fdp stellt 12-punkte-papier vor: bombe mit begrenzter sprengkraft

FDP stellt 12-Punkte-Papier vor: Bombe mit begrenzter Sprengkraft

Eines muss man Bijan Djir-Sarai, dem Generalsekretär der FDP, lassen. Er schafft es regelmäßig, seine Partei auf den Titelseiten der Zeitungen zu platzieren. Am Sonntag war es ein Zwölfpunkteplan zur »Beschleunigung der Wirtschaftswende«, der aus Sicht der Koalitionspartner SPD und Grüne einem politischen Giftcocktail gleicht:

    Kürzungen beim Bürgergeld,

    Moratorium für Sozialleistungen,

    Ende der Rente mit 63.

»FDP-Angriff auf SPD und Grüne«, titelte die »Bild am Sonntag« und machte das Szenario eines vorzeitigen Endes der Ampelkoalition auf. »Eine Scheidungsurkunde für die Ampel« nannte es CSU-Chef Markus Söder. »Wenn die FDP das ernst meinen würde – also jetzt umzusetzen gedenkt – dann liest sich das Papier wie eine Austrittserklärung aus der Koalition«, sagte auch SPD-Sozialexperte Helge Lindh.

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Wie ernst also meint es die FDP? Welche der zwölf Punkte sind ihr am wichtigsten? Bis wann sollen sie durchgesetzt werden? Und falls sich SPD und Grüne weigern – verlässt die FDP dann die Ampel?

Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler, der die Partei schon beim Euro (2011) und beim Heizungsgesetz (2023) vor sich hergetrieben hatte, schrieb beim Kurznachrichtendienst X, das Zwölfpunktepapier sei kein Angriff, »sondern eine notwendige Bedingung«. Generalsekretär Djir-Sarai retweetete Schäfflers Post.

»Es ist ja nicht einfach so, dass wir nur ein Papier schreiben«, sagt Djir-Sarai bei der Pressekonferenz nach der Präsidiumssitzung am Montagvormittag. »Das mag vielleicht in der Opposition so sein. Diese Dinge meinen wir schon sehr ernst.« Sorgfältig trägt er die zwölf Punkte noch mal vor.

Keine Rücksicht?

Manchmal sei man mehr General, manchmal mehr Sekretär, hat Djir-Sarai einmal gesagt. Djir-Sarai versteht seinen Job so, dass er nicht der Sekretär von Parteichef und Finanzminister Christian Lindner ist. Er sieht es als einen Vorteil, dass er anders als Lindner nicht auf das Kabinett Rücksicht nehmen muss.

Aber an diesem Vormittag klingt Djir-Sarai nicht wie ein General, der mit einem ernsthaften Angriff droht. Von sich aus wird die FDP die Koalition nicht platzen lassen, das wird mit jeder Antwort klarer.

Bis wann die FDP die zwölf Punkte denn umzusetzen gedenke, lautet eine Frage. Beim Parteitag der Liberalen am Wochenende in Berlin werde man »durch die Brille der FDP deutlich machen, was Deutschland jetzt braucht«, sagte Djir-Sarai. Er sei sich aber darüber im Klaren, fügte er ironisch hinzu, »dass der eine oder andere Koalitionspartner diese Position nicht auf Anhieb nachvollziehen kann«.

Ob er die wichtigsten der zwölf Punkte nennen könne? Das sei ein netter Versuch, sagt Djir-Sarai. Er werde aber keinen Punkt herausgreifen. Denn sobald man einen konkreten Punkt benenne, sei klar, dass etwas nicht kommen werde. »Ich finde, dass diese Punkte alle wichtig sind.«

Ob er irgendwelche Signale aus der Ampel bekommen habe, dass die Forderungen der FDP vor dem Sommer umgesetzt werden könnten? »Nein, habe ich nicht.«

Und was passiert, wenn keine Punkte umgesetzt würden? Das nennt der FDP-Generalsekretär eine »theoretische Frage« und weicht aus. Das könne »kommunikationsintensiver« werden, sagt Djir-Sarai, »aber am Ende des Tages ist klar, dass diese Maßnahmen eingeleitet werden müssen«.

Auch auf die Frage, wie die FDP angesichts der Schuldenbremse denn die Mindereinnahmen finanzieren wolle, die einige Punkte mit sich brächten, bleibt Djir-Sarai eine Antwort schuldig. »Die meisten Experten sagen, dass diese Maßnahmen notwendig sind«, sagt er nur. Und dass die FDP beim Thema Schuldenbremse inzwischen sehr einsam sei.

Genervte SPD, gelangweilte Grüne

In der SPD ist man mittlerweile ziemlich genervt vom kleinsten Koalitionspartner. Wenn die FDP glaube, es gehe der Wirtschaft besser, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter gehe, »dann irrt sie gewaltig«, sagt Parteichef Lars Klingbeil. Fraktionschef Rolf Mützenich nennt die Ideen der Liberalen »Überbleibsel aus der Mottenkiste«, und Generalsekretär Kevin Kühnert spricht von einem »zynischen Blick auf unsere Mitmenschen«.

Am Montagmittag tritt Spitzenkandidatin Katarina Barley auf die Bühne im Willy-Brandt-Haus. An ihrer Seite: der Sozialkommissar aus Brüssel, Nicolas Schmit. Die beiden möchten gern über den Europawahlkampf sprechen. Doch jetzt interessiert vor allem der Wirtschaftsplan der FDP.

Ein Scheidungspapier? Es handele sich eher um »ein Anti-Sozialpapier«, kritisiert Barley. Sie wirft den Liberalen die Blockade mehrerer Projekte auf europäischer Ebene vor. »German vote« heiße dank der FDP mittlerweile: »lange verhandeln und im letzten Moment die Bremse reinhauen«. Das sei nicht gut für Deutschland, warnt Barley.

Kurioserweise spricht sie aber auch davon, das SPD-Präsidium habe den FDP-Vorstoß gelassen zur Kenntnis genommen. »Ein Papier ist ein Papier«, sagt sie beschwichtigend. Verbindlich für die SPD sei der Koalitionsvertrag. Soll heißen: Ein Sozialabbau ist mit der SPD nicht zu machen. Gesprächsbereit zeigt sich die Parteispitze um Klingbeil dagegen beim Bürokratieabbau und bei weiteren Hilfen für die Wirtschaft.

Was die SPD jedoch wirklich nervt: Die FDP bestimmt mit ihren Anti-Ampel-Vorstößen die Debatten. Ein eigener Zehnpunkteplan der SPD in der Wirtschaftspolitik verpuffte dagegen Mitte März. Dass die Liberalen einen Bruch der Koalition planen, glauben die meisten Sozialdemokraten nicht. Aber sie fürchten, bis zur Bundestagswahl immer wieder in Abwehrkämpfe verstrickt zu werden. Sprich: FDP-Ideen abzublocken, statt mit eigenen Positionen zu punkten.

Vor fünf Jahren sah das noch anders aus. In der Großen Koalition war es der Juniorpartner SPD, der 2019 ein Sozialstaatskonzept vorlegte. Es umfasste den Abschied von Hartz IV und war mit der Union auf keinen Fall zu machen. Die SPD verabschiedete das Konzept trotzdem, zog damit in den Wahlkampf und setzte es nach 2021 in der Ampel um. Der Name der Reform lautete: Bürgergeld.

Nicht schon wieder einen Konflikt aufzwingen lassen

Bei den Grünen gibt man sich angesichts des erneuten FDP-Vorstoßes betont gelangweilt. »Die Positionen der FDP sind nicht neu. Parteitage sind dazu da, Beschlüsse zu fassen, und wir haben in diesen Fragen bekanntermaßen unterschiedliche Auffassungen«, sagt Grünenchef Omid Nouripour auf der Montagspressekonferenz. »Das ist alles bekannt.«

Es fehlt nur noch ein demonstratives Gähnen. Sich nicht schon wieder einen Konflikt aufzwingen lassen, schon gar nicht zwischen Gelb und Grün – das ist erkennbar der strategische Umgang mit dem Papier. »Die FDP kann sich in ihrer Parteizentrale privat Gedanken machen und eigene Programme aufstellen. Zusammenhänge mit dem aktuellen Handeln der Bundesregierung sehe ich nicht«, sagt die Klimapolitikerin Lisa Badum dem SPIEGEL. »Die Lage ist zu ernst für solche plumpen Manöver«, sagt der Haushaltspolitiker Felix Banaszak.

Aber hinter der demonstrativen Gelassenheit verbergen sich ernste Fragen: Könnte es nicht doch sein, dass die FDP den Bruch vorbereitet? Oder dass der Kanzler den Liberalen Zugeständnisse machen wird – dort wo es den Grünen wehtut, weniger der SPD? In der Sache wären immerhin gleich mehrere der Forderungen für viele Grüne kaum erträglich.

»Die FDP-Forderung nach einer Abschaffung der ›Rente mit 63‹ zur Gewinnung von Fachkräften erscheint mir weltfremd«, sagt Frank Bsirske dem SPIEGEL. Es gebe zahlreiche Berufe, in denen es fast unmöglich sei, nach 45 Jahren weiterzuarbeiten: »Deswegen lehnen wir die Abschaffung der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren ab.«

Und die Haushaltspolitikerin Jamila Schäfer vom linken Parteiflügel sagt: »Gerade in diesen Krisenzeiten wäre es bescheuert, Axt an den inneren Zusammenhalt unseres Landes anzulegen, nur damit es ein paar wenigen Reichen noch besser geht und allen anderen schlechter.«

Ob er verstehen könne, dass man bei SPD und Grünen die FDP-Vorschläge als Provokation empfinde, wird der FDP-Generalsekretär in der FDP-Zentrale gefragt. »Das ist nicht Provokation«, sagt Djir-Sarai. »Diese Positionen sind unsere Ideen, wie wir den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder wettbewerbsfähig machen. Wir werden dafür kämpfen, dass diese Punkte nicht nur auf dem Papier stehen.«

Schließlich wird der FDP-Generalsekretär nach dem Kanzler gefragt. Olaf Scholz hatte erklärt, die Ampel habe zwei wirtschaftliche »Turnaround-Jahre« geliefert. Wer denn nun recht habe, die FDP oder der Kanzler, wird Djir-Sarai gefragt.

»Netter Versuch«, sagt Djir-Sarai. Er bitte um Verständnis, dass er diese Frage so nicht beantworten werde. Nur so viel: »Wir sind der Meinung, dass diese Maßnahmen notwendig sind.«

Der Kanzler ist auch für die FDP bislang tabu, so viel wird an diesem Tag klar.

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