Paulskirchen-Verfassung: Kraftloses Jubiläum der deutschen Demokratie

paulskirchen-verfassung: kraftloses jubiläum der deutschen demokratie

Wiege der deutschen Demokratie: In der Frankfurter Paulskirche wurde vor 175 Jahren die erste gesamtdeutsche Verfassung verkündet.

Zum 175. Jahrestag der ersten gesamtdeutschen Verfassung wird es keine Feierstunde am Ort ihrer Entstehung, der Frankfurter Paulskirche, geben. Und auch ansonsten scheint es, als ginge den Beteiligten zum Ende des doppelten Jubiläumsjahres von 1848/49 die Luft aus. Das lässt auch an den hochfliegenden, aber inhaltlich unbestimmten Plänen für das „Haus der Demokratie“ zweifeln, das an der Paulskirche entstehen und den Rang Frankfurts als Hauptstadt der deutschen Demokratiegeschichte institutionalisieren soll.

Es geht nicht nur um eine versäumte Feier zum Gedenken an den 28. März 1849, an dem die Parlamentarier die Verfassung als eine der damals fortschrittlichsten in Europa verkündeten. Ein Ausweis der Kraftlosigkeit ist auch der „Demokratiepreis Paulskirche“, von der Stadt mit Blick auf das Jubiläum als Auszeichnung nationaler, wenn nicht internationaler Reichweite geplant. Nach pein­lichen Querelen um die Besetzung des Kuratoriums wurde das Vorhaben aufgeschoben und ist inzwischen in der Versenkung verschwunden.

Nun kann man streiten, ob Gedenkstunden und Preisverleihungen ein Gradmesser für die Vitalität der deutschen Demokratie sind. In der Regel bleiben bei solchen Anlässen die üblichen Verdäch­tigen unter sich, und meist geben sie auch nur die üblichen Gemeinplätze von sich. Anders sollte es auf der Global Assembly sein, einem internationalen zivilgesellschaftlichen Treffen, das zum Paulskirchen-Jubiläum organisiert und von der Stadt finanziert wurde.

Wie steht es heute um Freiheit und Parlamentarismus?

Doch ausgerechnet dieses Treffen, das Mitte März hätte stattfinden sollen, wurde von den Veranstaltern kurzfristig abgesagt. Als Begründung gaben sie ein gesellschaftliches Klima an, in dem nicht offen über Postkolonialismus und insbesondere den Nahostkonflikt gesprochen werden könne. Spätestens seit Beginn des Kriegs zwischen der Hamas und Israel sei es in Deutschland nicht mehr möglich, die israelische Politik zu kritisieren, ohne als Antisemit verunglimpft zu werden. Das wolle man den Teilnehmern aus aller Welt ersparen.

Bedauerlich – kurz vor dem 175. Jahrestag einer Verfassung, die das Recht auf freie Rede in ganz Deutschland garantierte. Die Stadt Frankfurt weist in einer jetzt vorgestellten Plakatkampagne darauf hin, dass der Grundrechtskatalog von 1849 maßgeblich für die 100 Jahre später beschlossene Verfassung der Bundesrepublik war. „In Frankfurt erdacht. Im Grundgesetz verankert“, lautet der lokalpatriotische Slogan. Eine Antwort darauf, wie es um Freiheit und Parlamen­tarismus heute und künftig bestellt ist, gibt er nicht.

Diskutiert werden sollten solche Fragen im Haus der Demokratie, doch was daraus wird, ist zweifelhaft. Ein Beschluss des Magistrats, eventuell doch keinen zentralen Neubau zu errichten, sondern die Einrichtung auf mehrere Stellen zu verteilen, deutet eine Abkehr von vor allem hinsichtlich der Wortwahl ambitionierten Vorstellungen an. Um sie zu konkretisieren und vor allem die Bevölkerung für sie zu gewinnen, bedürfte es einer Dynamik, die am Jubiläumstag der Verfassung nicht zu erkennen ist.

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