Paris entdeckt den Maler Auguste Herbin: Ein Farbkomponist der neuen Wege

paris entdeckt den maler auguste herbin: ein farbkomponist der neuen wege

Die Dame mit dem Hütchen: Herbins „Porträt eines jungen Mädchens“ von 1907

Schon im ersten Saal mit dem Frühwerk ziehen die Farben Auguste Herbins den Betrachter in ihren Bann. Das Stillleben „Die drei Vasen“ von 1904 zeigt den Einfluss der Postimpressionisten auf den zweiundzwanzigjährigen Maler, der sein Gemälde mit erstaunlicher Sicherheit zwischen markanten Primärkontrasten aus Blau und Rot aufbaut. Dabei verbindet Herbin die Gegenstände auf der Tischdecke mit feinen Farbharmonien, belebt sie mit orangefarbenen, violetten, hellgelben oder grünen borstenpinselbreiten Strichen. Noch vor den Fauvisten – diesen neuen Wilden der eklatanten Farbe wie Henri Matisse, André Derain oder Maurice de Vlaminck, die 1905 durch den ironischen Ausruf eines französischen Kunstkritikers ihren Namen verpasst bekamen – war Herbin ein Fauve mit ungezähmter und doch harmonierender Farbpalette.

Im Bildaufbau und den breiten Pinselstrichen erkennt man sein Vorbild Cézanne, in den Farben den von ihm verehrten van Gogh. Besonders überzeugend sind die frühen Porträtdarstellungen, etwa des deutschen Schriftstellers Erich Mühsam. Auf einem Selbstbildnis zeigt er sich elegant, nachdenklich und doch bestimmt. Ein violett-blaues Muster züngelt auf der Anzugjacke, in der Hand hält er seine Zukunft: eine in allen Farben des Spek­trums bekleckste Palette.

Er war ein unablässiger harter Arbeiter

Herbin wurde 1882 bei der nordfranzösischen Stadt Le Cateau-Cambrésis geboren. Als Sohn eines Webers kam er aus einfachen Verhältnissen. Sein Leben lang war er ein unablässiger und harter Arbeiter, der seine Kunst mit Ernst und Leidenschaft betrieb. 1901 ging er nach Paris, nirgendwo ließ sich die Malerei damals besser erlernen. Fast zwanzig Jahre lang lebte er am Montmartre im Le Bateau-Lavoir, wo er 1909 Picassos Atelierraum übernommen hatte. Ganz in der Nähe, im charmanten Musée Montmartre, wird nun die längst überfällige, von den Kunsthistorikern Mario Choueiry und Céline Berchiche ausgerichtete Retrospektive zu Auguste Herbin gezeigt. Mit gut siebzig Werken ist sie die erste monographische Ausstellung in Paris zu dem Maler überhaupt.

Nach seinem Tod im Jahr 1960 geriet Herbin allmählich in Vergessenheit. Weltweit wichtigen Ausstellungen zu Fauvismus, Kubismus oder der modernen Abstraktion, jenen Bewegungen also, die er nachhaltig mitbestimmt hatte, blieb er weitgehend absent. Dabei hatte Herbin schon sehr früh Anerkennung erfahren. Zu den ersten, die den angehenden Maler in Paris entdeckten, gehörte der deutsche Kunsthistoriker, Sammler und Galerist Wilhelm Uhde, der ein feines Gespür für die Avantgarde seiner Zeit besaß. Schon von 1904 an kaufte er Werke von Herbin.

Eine Cézanne-Retrospektive, die 1907 in Paris stattfand, wirkte auf Herbin wie ein Aufruf, den Bildraum von „realistischen“, also perspektivischen und plastischen Vorgaben zu befreien. In seinen von da an kubistischen Landschaften oder Stillleben bewahrt er bis zum Ersten Weltkrieg noch ei­ne figurative Welt. In Gemälden wie „Mauleselweg und Haus in Céret“ von 1913 oder „Die Familie, Frauen und Kinder“ von 1914 komponiert er das Dargestellte aus geometrischen Formen und Flächen, die er wie Farbfelder behandelt.

Die Farbe pulsiert, als wäre sie lebendig

Im Gegensatz zu anderen Kubisten blieb Auguste Herbin immer ein leidenschaftlicher und phantastischer Kolorist. In seinen Gemälden, ob figurativ oder später abstrakt, pulsiert die Farbe wie eigenständiges Leben. In diesen frühen Jahren stellte er in den Pariser Galerien von Wilhelm Uhde oder Berthe Weill aus, dann in Berlin bei Eduard Schulte und der Galerie Der Sturm oder im Folkwang Museum, das sich damals in Hagen befand. Große Sammler wie Sergei Schtschukin, Helene Kröller-Müller oder Henry B. Simms kauften seine Werke.

Der Erste Weltkrieg bedeutete eine Zäsur. Von 1915 an malt Herbin erste abstrakte Bilder, die er meist „Composition“ nennt. Zunächst lassen sich noch Elemente aus der Natur oder architektonische Fragmente erkennen, die bald einer dekorativen, geometrischen und konstruktivistischen Gestaltung weichen. 1916 nimmt ihn der einflussreiche Händler Léonce Rosenberg unter Vertrag. 1921 sind Herbins Werke teurer als die von Léger und auf gleichem Niveau wie die von Georges Braque.

Zuletzt verwandelte er Wörter in Gemälde

Die verwinkelten Räume im Musée Montmartre sind nicht leicht zu bespielen. Für Herbin eignen sie sich gut, weil sein Werk selten mittelgroße Formate überschreitet. In elf Kapiteln und Räumen wird Herbins komplexe malerische Entwicklung nachvollzogen. Nach Fauvismus, Kubismus und einer ersten, dekorativen Abstraktion – parallel zu Bewegungen wie De Stijl oder dem Bauhaus – kehrte er unter dem Stichwort „Retour à l’ordre“ zu einer formell vereinfachten, klassizistischen Figuration zurück.

Herbins letzte Periode begann während des Zweiten Weltkrieges. Unter dem Einfluss von Georg Steiners Anthroposophie und Goethes Farbenlehre entwickelte der mittellose Maler ein „Alphabet plastique“, das fortan sein Werk bestimmte. In einer Tabelle ordnete Herbin jedem einzelnen Buchstaben des Alphabets geometrische Formen, eine Farbe und Noten der C-Dur-Tonleiter zu. Auf dieser Basis konstruierte er mit geometrischen Figuren aus Kreis, Halbkreis, Dreieck und Viereck ein unendlich kombinierbares Bildvokabular. Seinem plastischen Alphabet folgend, transponierte Herbin ausgewählte Worte in Gemälde: nicht nur „Fleur“, die Blume, „Lune“, den Mond, sondern auch „Christ“, „Dieu“ und das Wort „Fin“, Ende, sein tatsächlich letztes Werk.

Herbin war 1931 Mitbegründer der Vereinigung Abstraction-Création, der Hans Arp, Wassily Kandinsky oder Piet Mon­drian angehörten, und leitete über Jahre hinweg den 1946 ins Leben gerufenen, einflussreichen Salon des Réalités Nouvelles. Dass sein Werk nach den Sechzigerjahren allmählich ins Abseits gedrängt wurde, hing nicht nur mit der wachsenden Vorherrschaft der amerikanischen Pop-Art und des Minimalismus zusammen. Auguste Herbins wenig diplomatischer, autoritärer und eigenbrötlerischer Charakter hat ihm postum geschadet. Er soll sich einflussreiche Feinde zugelegt haben, die sein Werk nicht förderten. Für die folgende Künstlergeneration der geometrischen Abstraktion, allen voran Victor Vasarely, galt dieser wundervolle Farbkomponist jedoch als unbestrittener Meister.

Auguste Herbin. Musée Montmartre, Paris; bis 15. September. Der Katalog kostet 32 Euro.

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