Parallelen zum Fall Oury Jalloh: Wurde Jürgen Rose 1997 von Polizisten in Dessau den Tod geprügelt?

parallelen zum fall oury jalloh: wurde jürgen rose 1997 von polizisten in dessau den tod geprügelt?

Iris Rose verlor ihren Ehemann Jürgen Rose 1997. Nun erheben sie und ihre Tochter Diana (r.) schwere Vorwürfe gegen die Polizei.

Als Jürgen Rose ins Dessauer Krankenhaus eingeliefert wurde, war er querschnittsgelähmt. Ein Lendenwirbel war zertrümmert, er hatte einen Lungenabriss erlitten, der Hoden war gequetscht, Rücken und Gesäß offenbar mit Striemen übersät. Einen Tag später, am 8. Dezember 1997, starb der Vater von zwei Kindern an seinen schweren inneren Verletzungen. Der Maschinenbauingenieur aus Bitterfeld-Wolfen wurde 36 Jahre alt.

Mehr als 26 Jahre später haben an diesem Donnerstag seine Witwe Iris Rose und seine Kinder zusammen mit dem Recherche-Zentrum Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gegen vier einstige Polizisten des Dessauer Polizeireviers gestellt. Der Vorwurf, der den Beamten aus Sachsen-Anhalt in dem 40 Seiten langen Papier gemacht wird, lautet auf Mord.

„Wir halten die Polizeibeamten als verdächtig, Jürgen Rose am 7. Dezember 1997 im Polizeirevier Dessau schwerst gefoltert und misshandelt zu haben“, sagt Nadine Saeed von der Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh, aus der das Recherche-Zentrum hervorgegangen ist, bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Berlin.

Demnach hätten mindestens vier Beamte der Nachtschicht Jürgen Rose mit Tritten und Schlagstöcken traktiert und ihn dann am frühen Morgen um 4.30 Uhr nur mit T-Shirt und Hose bekleidet vor dem Wohnhaus in der Wolfgangstraße 15 in einer Pfütze abgelegt. „Wir gehen davon aus, dass diese Polizeibeamten in der Absicht gehandelt haben, Jürgen Rose dort sterben zu lassen, um auf diese Weise die schweren Misshandlungen zu verschleiern“, sagt Saeed.

Jürgen Rose war in der Nacht zum 7. Dezember 1997 in Dessau alkoholisiert am Steuer seines Autos festgestellt und zur Wache gebracht worden. Um 3.35 Uhr wurde er angeblich aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Eineinhalb Stunden später fand ein Bewohner der Wolfgangstraße den schwerstverletzten Mann – nur 250 Meter von der Polizeiwache entfernt.

Roses Tod sei von den Strafverfolgungsbehörden nicht aufgeklärt worden. Man ging offenbar von einem Fenstersturz aus. Ein erstes Ermittlungsverfahren wurde 2002, ein erneuter Versuch, den Fall zu klären, 2014 eingestellt.

Nun habe man die Umstände des Todes von Jürgen Rose intensiv beleuchtet, ausführlich die Akten studiert und zahlreiche Gespräche mit Angehörigen und damals involvierten Personen geführt, sagt Saeed. Sie spricht von Vertuschungen, von mutwilligen Änderungen in den Polizeiprotokollen, die ein renommierter Schriftexperte in einem Gutachten bestätigt habe. All das habe zu der nun erfolgten Strafanzeige geführt.

Bei Jürgen Rose handelt es sich um den ersten ungeklärten Todesfall, der im Zusammenhang mit dem Dessauer Polizeirevier stehe und zum Tatkomplex Oury Jalloh gehöre, sagt Luke Harrow, Mitbegründer des Recherche-Zentrums. Jalloh verbrannte, an Händen und Füßen gefesselt, 2005 in einer Zelle des Dessauer Reviers. Schon 2002 starb in derselben Zelle, in der Jalloh zu Tode kam, Mario Bichtemann. Todesursache des obdachlosen Mannes war ein Schädelbasisbruch.

Nadine Saeed erklärt, in der Anzeige seien zahlreiche neue Beweise und Informationen zum Fall Rose dargelegt worden. Sie verweist auf ein auffälliges Verhalten der Beamten der Nachtschicht, das von einem Kollegen festgestellt worden sei. Aussagen wie: „Der wollte mir doch da ein paar auf die Fresse hauen, da hab’ ich ihm aber eine eingezogen“, will er gehört haben. Zudem habe es widersprüchliche und unglaubhafte Angaben der Polizisten aus der Nachtschicht gegeben.

Laut Saeed gab es Hinweise darauf, dass Jürgen Rose im Speisesaal des Polizeireviers an eine Säule angekettet, getreten und mit Schlagstöcken geschlagen worden sei. Die Hinweise seien aus den Akten verschwunden. Im Sektionsbericht sei festgestellt worden, dass der Mann zu Lebzeiten zahlreiche schwere, stumpfe Gewalteinwirkungen insbesondere auf Rücken, Gesäß und Beine erlitten haben müsse. Ein Fenstersturz sei ausgeschlossen worden.

Der Rechtsmedizinerin waren bei dem Toten „zahlreiche parallel streifenförmig verlaufende, quer über die gesamte Rückenbreite angeordnete“ Hautunterblutungen aufgefallen. Diese Verletzungen entstünden, so sagte sie es, „typischerweise durch Stockschläge“. Sie schloss aus, dass der Fundort des schwerverletzten Jürgen Rose auch der Tatort gewesen sei.

„Abschürfungen an den Außenseiten der Schuhe von Jürgen Rose deuten darauf hin, dass er zum Fundort geschliffen wurde“, sagt Saeed. Ein Anwohner des Hauses in der Wolfgangstraße 15 habe zudem kurz vor fünf Uhr morgens die Schiebetür eines Autos und mehrere Stimmen vor dem Haus gehört.

Trotz des rechtsmedizinischen Gutachtens hätten Polizei und Staatsanwaltschaft weiter die These vom Fenstersturz verfolgt und die Ermittlungen eingestellt. Polizei und Staatsanwaltschaft seien sowohl bei Jürgen Rose, als auch bei Mario Bichtemann und Oury Jalloh ihrer Pflicht zur Aufklärung mutmaßlich schwerer Gewaltverbrechens nicht nachgekommen, obwohl es in allen Fällen einen hinreichenden Tatverdacht gegen Polizeibeamte gegeben habe, so Saeed.

Zeitgleich zu der Anzeige wegen Mordes starten die Familie von Jürgen Rose und das Recherche Zentrum einen Aufruf, in dem sie Zeuginnen und Zeugen bitten, ihr Schweigen zu brechen. Er habe Hoffnungen, dass sich etwas bewege, sagt Sebastian Scharmer, der Anwalt der Familie von Jürgen Rose. „Vielleicht melden sich couragierte Polizeibeamte des Reviers, die das, was damals abgelaufen ist, nicht weiter ertragen können“, erklärt der Jurist.

Er hoffe auch, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernehmen werde. Scharmer zählt die Gründe auf: „Es sind möglicherweise drei Tötungsverbrechen begangen worden. Es handelt sich um ein strukturelles Problem. Und das Vertrauen in den Rechtsstaat wäre gefährdet, wenn Polizeibeamte willkürlich Menschen festnehmen, foltern und umbringen können, ohne dass sie verfolgt werden.“

Iris Rose, die Witwe von Jürgen Rose, ist an diesem Tag mit ihrer Tochter Diana nach Berlin gekommen. Vor der Presse sagt die 56-Jährige, sie sei froh, dass sie nach so langer Zeit hoffen könne, endlich etwas zu erreichen. „In all den Jahren wurden wir belogen, wir haben keine Akteneinsicht erhalten, wurden sogar auch verdächtigt, etwas mit dem Tod meines Mannes zu tun zu haben. Wir hatten die Hoffnung schon aufgegeben“, sagt sie.

Die Witwe bestätigt, dass ihr der ermittelnde Beamte damals gesagt habe, man wisse, wer es war. „Aber sie können nichts machen.“ Nun hofft sie „auf ein bisschen Gerechtigkeit“ und dass die Familie endlich zur Ruhe kommen könne. Dazu zähle auch Jürgens Mutter, die heute 90 Jahre alt sei. Sie leide noch immer unter dem Verlust ihres einzigen Sohnes.

Später sagt Iris Rose, sie habe ihren damals noch kleinen Kindern gesagt, dass der Vater bei einem Autounfall gestorben sei. Erst vor wenigen Jahren habe sie ihrer Tochter und ihrem Sohn die Wahrheit erzählt.

News Related

OTHER NEWS

Ukraine-Update am Morgen - Verhandlungen mit Moskau wären „Kapitulationsmonolog" für Kiew

US-Präsident Joe Biden empfängt Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Evan Vucci/AP/dpa Die US-Regierung hält Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum jetzigen Zeitpunkt für „sinnlos”. Bei einem Unwetter in Odessa ... Read more »

Deutschland im Wettbewerb: Subventionen schaden dem Standort

Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November 2023 im Bundestag Als Amerikas Präsident Donald Trump im Jahr 2017 mit Handelsschranken und Subventionen den Wirtschaftskrieg gegen China begann, schrien die Europäer auf ... Read more »

«Godfather of British Blues»: John Mayall wird 90

John Mayall hat Musikgeschichte geschrieben. Man nennt ihn den «Godfather of British Blues». Seit den 1960er Jahren hat John Mayall den Blues geprägt wie nur wenige andere britische Musiker. In ... Read more »

Bund und Bahn: Einigung auf günstigeres Deutschlandticket für Studenten

Mit dem vergünstigten Deutschlandticket will Bundesverkehrsminister Wissing eine junge Kundengruppe dauerhaft an den ÖPNV binden. Bei der Fahrkarte für den Nah- und Regionalverkehr vereinbaren Bund und Länder eine Lösung für ... Read more »

Die Ukraine soll der Nato beitreten - nach dem Krieg

Die Ukraine soll nach dem Krieg Nato-Mitglied werden. Die Ukraine wird – Reformen vorausgesetzt – nach dem Krieg Mitglied der Nato werden. Das hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, ... Read more »

Präsidentin droht Anklage wegen Tod von Demonstranten

Lima. In Peru wurde eine staatsrechtlichen Beschwerde gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Sie wird für den Tod von mehreren regierungskritischen Demonstranten verantwortlich gemacht. Was der Politikerin jetzt droht. Perus Präsidentin ... Read more »

Novartis will nach Sandoz-Abspaltung stärker wachsen

ARCHIV: Das Logo des Schweizer Arzneimittelherstellers Novartis im Werk des Unternehmens in der Nordschweizer Stadt Stein, Schweiz, 23. Oktober 2017. REUTERS/Arnd Wiegmann Zürich (Reuters) – Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will ... Read more »
Top List in the World