ÖRR unter Druck: Das Mitarbeiter-Manifest darf nicht im Sand verlaufen

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Abwehr und leider auch Diffamierung: Die Reaktionen auf das „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“ zeigen, dass die Initiatoren mit ihrer Kritik und ihren Vorschlägen voll ins Schwarze getroffen haben.

Es könnte ein bedeutender Beitrag zur Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) sein, den die 130 Unterzeichner des Manifestes, darunter viele Mitarbeiter des ÖRR, geleistet haben. Bei den Beitragszahlern hat das Manifest durchaus viel Beachtung gefunden.

Es wurde fleißig geteilt, und mehr als 21.000 Menschen haben es (Stand Sonntag) bereits unterzeichnet. Allein eine sachliche Auseinandersetzung in den öffentlich-rechtlichen Medien selbst und in der Politik steht bislang aus. Das Manifest droht zur Eintagsfliege zu werden, wenn es nicht zum Gegenstand der medienpolitischen Debatte wird. Das Thema ist zu wichtig und die Vorschläge sind zu gut, als dass die Initiative im Sand verlaufen darf.

Die Kritik des Manifestes am gegenwärtigen Zustand des ÖRR setzt da an, wo auch viele Zuschauer und Zuhörer ein Unbehagen empfinden: an der Meinungsvielfalt, die der ÖRR abbilden und fördern soll, von der aber nicht mehr allzu viel zu sehen ist. Stattdessen allenthalben „Einordnung“ von Informationen, Kommentierungen, teilweise gehässig und überaus parteiisch, einseitige Berichterstattung unter Auslassung wichtiger Aspekte, die nicht ins gewünschte Bild passen.

Ob Nachrichten, Politikmagazin oder Satiresendung: Überall werden dem Zuhörer und Zuschauer dieselben politischen Botschaften nahegebracht. Es sind die Botschaften derer, „die weit oben stehen“, wie es Christine Prayon, Mitunterzeichnerin des Manifestes, im letzten Jahr bei ihrem Ausstieg aus der „heute-show“ formulierte. Abweichungen davon werden lächerlich gemacht oder diffamiert („rechts“, „Schwurbler“, „Verschwörungstheorie“).

Das Manifest kritisiert nicht nur, es unterbreitet konkrete Vorschläge: Fairness und Respekt sollen in den Mittelpunkt gerückt, Framing und abwertende Formulierungen vermieden werden. Alle Meinungen und Perspektiven, die nicht gegen das Grundgesetz verstoßen, sollen vorkommen. Lokaljournalismus soll gestärkt werden. Zuschauer und Zuhörer sollen in Kontrolle und Programmgestaltung einbezogen, die Drehtür zwischen Politik und ÖRR, die zuletzt bei der Besetzung der RBB-Intendanz wieder in Schwung kam, soll geschlossen werden. Völlige Transparenz hinsichtlich der Gehälter und sonstiger Finanzflüsse wird ebenfalls gefordert.

Das sind vernünftige Anregungen. Andere Forderungen teile ich nicht unbedingt. Die Zuschauerquoten als wichtige Rückmeldung von Publikum zu Sender völlig außer Acht zu lassen, hielte ich für falsch. Und ein völliges Werbeverbot wäre derzeit wohl kaum finanzierbar, ohne die Beiträge stark zu erhöhen. Aber sei’s drum. Das Manifest sollte zur Debatte anregen. Auch uns Politiker.

In der Politik gab es bislang wenig Debatte über das Manifest. Das verwundert, denn es platzt mitten in wichtige Auseinandersetzungen, die im politischen Raum, etwa in den Landtagen, geführt werden: über eine Rundfunkreform und über die Festsetzung der künftigen Rundfunkgebühr. Und das alles vor dem Hintergrund einer wachsenden Skepsis der Beitragszahler gegenüber ihren Sendern.

Uneingeschränkt positiv haben sich allein Politiker des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) auf das Manifest bezogen. Eine taktisch motivierte Zustimmung kam von der AfD. Sie ist nicht inhaltlich begründet. Denn anders als die Initiatoren des Manifests will die AfD keinen starken und beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, im Gegenteil: Sie will die Gebühren abschaffen und den ÖRR auf einen „Grundfunk“, wie sie es nennt, reduzieren, der dann nur noch für Informationsformate zuständig wäre, während alle anderen Formate vom Zuschauer und Zuhörer zugekauft werden müssten. Das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was das Manifest vorschlägt.

Umso perfider war der Versuch des Deutschen Journalistenverbands DJV, die Initiatoren des Manifestes in die Nähe der AfD zu rücken. Dieser plumpe Ansatz wurde nun aufgegeben und hat einer neuen Strategie Platz gemacht, die auch von den Sendern selbst und von den Redaktionsausschüssen angewendet wird: Die Kritik wird mit der Behauptung abgetan, dass die geforderte Meinungsvielfalt durchaus schon gewährleistet sei. Das Manifest sei also überflüssig, ja seine Existenz bezeuge geradezu, dass es in den Redaktionen lebhafte Debatten gebe.

Nein, keineswegs! Wenn es in den Redaktionen des ÖRR lebhafte Debatten gibt, wie die Sender jetzt behaupten, dann dringt davon jedenfalls nichts nach außen. In allen großen Fragen unserer Zeit, etwa im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine und die Wege, ihn zu beenden, herrscht im ÖRR eine klare Linie. Es ist die Linie der Bundesregierung. Und sollte sich doch mal eine Kommentatorin mit einer kritischen Haltung zu Waffenlieferungen oder Sanktionen ins Programm verirren, beeilen sich die Sender, sich so schnell wie möglich von dieser Mitarbeiterin zu distanzieren und ihren Kommentar ins „richtige“ Licht zu rücken.

Fehlende Ausgewogenheit führt zu Informationsverlust. Ein Beispiel: Im Wahlkampf in der Slowakei haben wir vom ÖRR erfahren, wer der „gute“ Kandidat ist (der Oppositionspolitiker und Nato-Freund Korcok) und wer der „schlechte“ (der Regierungspolitiker Pellegrini, im ÖRR als „Populist“ bezeichnet). Es fällt in der Berichterstattung über Osteuropa immer wieder auf, dass die Korrespondenten gerne die Brille der urbanen, liberalen Elite in den Hauptstädten aufsetzen.

Der Zuschauer oder Zuhörer darf sich dann regelmäßig darüber wundern, dass die Wahlen in den betreffenden Ländern doch ganz anders ausgehen, als im ÖRR vorausgesagt. In der Slowakei hat der „Populist“ Pellegrini mit Abstand die meisten Wähler überzeugt. In Ungarn wählen die Menschen seit vielen Jahren Orbán. Warum das so ist, werden wir hier vermutlich nie erfahren. Nur, dass es schlecht ist.

Wie die Initiatoren des Manifestes bin auch ich ein entschiedener Verfechter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – aber gerade deshalb muss Kritik erlaubt und sogar erwünscht sein. Zumindest von Letzterem kann leider keine Rede sein, wie die achselzuckenden Reaktionen aus den Sendern nahelegen.

Wir brauchen eine Auseinandersetzung über einen besseren, einen demokratischeren, einen transparenteren, einen lebensnaheren öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür.

Alexander King ist fraktionsloser Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus und Mitglied des Bündnisses Sahra Wagenknecht. King ist auch Mitglied des Medienausschusses.

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