Olympia 2024: Der soziale Waffenstillstand ist gescheitert

Vor den Olympischen Spielen in Paris haben zahlreiche Gewerkschaften Streiks angemeldet. Das hat Tradition. Doch diesmal sind selbst die Medaillenmacher betroffen.

olympia 2024: der soziale waffenstillstand ist gescheitert

Zahlreiche Gewerkschaften kündigen Streiks im Zuge der Olympischen Spiele in Paris an.

Sie sind wohl derzeit das begehrteste Objekt für viele Athleten und Sportler auf der ganzen Welt. Die bronzenen, silbernen und goldenen Medaillen für die in wenigen Monaten anstehenden Olympischen Sommerspiele werden von Juwelieren in der Pariser Münzprägeanstalt Monnaie de Paris gefertigt. In jedem Amulett ist in der Mitte ein Stück des stählernen Eiffelturms eingearbeitet, 18 Gramm schwer. Das Metall wurde bei früheren Renovierungen, so bewarb es das Olympische Komitee, entnommen und an einem “geheimen Ort” für die sportliche Auszeichnung aufbewahrt.

Die mehr als 1.150 Jahre alte Prägestätte verkauft normalerweise Gold- oder Silbermünzen und schmiedet staatliche Verdienstorden in ihrem Atelier direkt an der Seine. Und spätestens bis zum 26. Juli, dem Tag der olympischen Eröffnungsfeier, sollte sie auch die 5.084 Medaillen in der sechseckigen Form von Frankreichs geografischen Umrissen ausgeliefert haben. Doch dieser wichtige Auftrag könnte nun in Gefahr sein. Seit mehr als drei Wochen hat ein Teil der Belegschaft von Monnaie de Paris die Arbeit niedergelegt. Sie fordern mehr Gehalt. “Das bisherige Angebot für uns ist lächerlich gering”, sagt Etienne Coste von der Gewerkschaft CGT Finances und schnaubt dabei verächtlich in den Telefonhörer. “Ohne die Medaillen läuft bei Olympia nichts – und die Expertise der Angestellten ist seit vielen Jahren nicht honoriert worden.”

Angestellte mit 2.000 Euro Nettolohn sollten nur 50 Euro mehr erhalten. Das würde für viele Mitarbeiter gerade einmal die zuletzt gestiegenen Ausgaben für Strom decken, kritisiert der Gewerkschaftsvertreter. Auch fordert die CGT Finances für die Medaillenmacher eine Prämie von rund 2.000 Euro als Zulage vor den Spielen. Die Gespräche mit der Geschäftsführung von Monnaie de Paris sind zunächst ohne Ergebnis geblieben. Seit Donnerstag wird wieder verhandelt. Laut Coste sind die Medaillen zwar schon zugeschnitten, aber bei den meisten fehlten die Gravuren und die letzte Polierung, auch müssten sie noch in die eigens hergestellten Schatullen verpackt werden.

Branchenübergreifende Streikpause ist gescheitert

Die Medaillenmechaniker sind nicht die Einzigen, die vor den Olympischen Spielen mehr Geld und Prämien fordern. In dieser Woche hat die CGT, größte Gewerkschaft für staatliche Angestellte, einen möglichen Streik in den Sommermonaten angekündigt. Zuvor hatte bereits Force Ouvrière, die zweitgrößte Gewerkschaft im öffentlichen Dienst, ebenfalls mit einem Arbeitskampf gedroht. Zu den Streikenden könnten beispielsweise Angestellte in Krankenhäusern, Bauarbeiter, Zug- und Metroführerinnen, die Müllabfuhr, Erzieher und Polizisten zählen. Auch Angestellte des Eiffelturms, dem weltweit bekannten Wahrzeichen der Stadt, kämpfen nun um eine einmalige Prämie.

Ihre Forderungen begründen die Gewerkschaften mit der häufig verhängten Urlaubssperre für den Ferienmonat August – und den damit verbundenen höheren Kosten für beispielsweise die Kinderbetreuung. Auch soll mehr Lohn für die zusätzlichen Belastungen durch die Spiele gezahlt werden. Um Geld allein geht es aber nicht. So sollen befristete Olympia-Jobs in dauerhafte Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden. Außerdem sollten Angestellte zu Hause arbeiten und auch in der Hochphase Urlaubstage einlegen dürfen. Doch die Organisation sei chaotisch – noch immer wüssten viele Beamte nicht, wo und wie sie im Sommer arbeiten müssten, wer die Kinderbetreuung übernehmen könne.

Damit sind die französische Regierung und das Olympische Komitee darin gescheitert, eine branchenübergreifende Streikpause während der fünfwöchigen Olympiade und Paralympics zu erreichen. Noch vor wenigen Wochen sagte der Präsident des Organisationskomitees für die Olympischen und Paralympischen Spiele (Cojop) von Paris 2024, Tony Estanguet, er erhoffe sich für diesen Sommer einen sozialen Waffenstillstand. “Niemand soll das Fest verderben”, sagte er. Gleichzeitig verkündigte die Regierung, einige während der Olympischen Spiele arbeitenden öffentlichen Bediensteten Prämien in Höhe von 500, 1.000 oder sogar 1.500 Euro auszuzahlen. Offen blieb aber, wer diese beanspruchen kann.

Die Polizei- und Zollbeamte haben schon im Februar eine Prämie von 1.900 Euro erkämpft. Angesichts der großen Furcht der Regierung, es könne zu Ausschreitungen oder gar Attentaten kommen, war sie offenbar gegenüber den Sicherheitskräften zu Zugeständnissen bereit.

Für Krankenpfleger, Ärztinnen und Rettungssanitäter fehlen noch Vereinbarungen. Dabei waren die Krankenhäuser schon während des vergangenen Sommers, als wie üblich vermehrt Touristen ins Land strömten, hoffnungslos überfordert. Wie in Deutschland auch fehlen dauerhaft Pfleger, Krankenschwestern und Ärztinnen, und manche Notaufnahmen mussten geschlossen werden. “Die Regierung muss sofort Maßnahmen ergreifen, um den Erfolg der Spiele zu gewährleisten”, warnt die Chefin der Gewerkschaft CGT, Sophie Binet. Aus sozialer Sicht seien die Spiele nicht vorbereitet. Die 30 Führungskräfte der Olympischen Spiele erhielten in Summe rund 580 Millionen Euro, kritisierte die Gewerkschafterin. Geld müsse auch für die Angestellten da sein.

Tatsächlich wird sich die Metropole Paris während der Spiele in einem Ausnahmezustand befinden – und die Regierung darauf angewiesen sein, dass ihre Leute sich nicht wegen der übermäßigen Belastung einfach krankmelden oder nur das Minimum leisten. Es werden rund zehn Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer zusätzlich zu den gewöhnlichen Touristenmengen erwartet und somit Millionen Menschen mehr, die Metros nutzen und Abfälle wegschmeißen und eventuell auch mal in eine der Notaufnahmen gehen müssen. Allein die Pariser Krankenhäuser planen, 750 Betten zu öffnen, das sind rund zehn Prozent ihres gesamten üblichen Angebotes.

Arbeitskämpfe haben Tradition

Nun haben Arbeitskämpfe in Frankreich anlässlich von Großveranstaltungen Tradition. Bei der Rugbyweltmeisterschaft 2023 streikten die Straßenbahnführer an den Austragungsorten ebenso wie die Fluglotsen. Und als das Finale der Champions League 2022 in Paris ausgetragen wurde, legten die Angestellten der Regionalzüge RATP ihre Arbeit nieder. In der Folge kamen Tausende Fans zu spät im Stadion an und wurden schließlich noch durch langsame Sicherheitskontrollen blockiert. Der Anstoß musste verschoben werden – und die ersten Pässe der Fußballer erfolgten vor teilweise leeren Rängen. Die Bilder von wütenden Fans von Liverpool und Real Madrid gingen um die Welt.

Vielleicht muss sich der französische Staat im Sommer vor allem auf die rund 40.000 Freiwilligen verlassen, die Sportler vom Flughafen abholen, Plätze in den Stadien zuweisen oder die Athletinnen mit Essen versorgen sollen. Sie arbeiten ehrenamtlich, also unbezahlt. Vor wenigen Tagen kamen sie erstmals im Pariser Stadion zusammen. Der Höhepunkt des Abends: Sie durften die ersten Medaillen bewundern, die gerade von den Feinmechanikern von Monnaie de Paris vollendet wurden – damals begann gerade der Streik.

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