Olaf Scholz am Bankentag: „Wir hemmen uns selbst mit Bürokratie“

olaf scholz am bankentag: „wir hemmen uns selbst mit bürokratie“

Von Bankern eingerahmt: Bundeskanzler Olaf Scholz (Mitte) mit den Verbandsmanagern Heiner Herkenhoff (links) und Christian Sewing (rechts)

Der Bankentag erweist sich für den Bundeskanzler als schöne Abwechslung. Gastgeber Christian Sewing begrüßt Olaf Scholz (SPD) ausgesprochen freundlich, auch wenn er später die Defizite am Standort Deutschland ungeschminkt ansprechen wird. Die Analyse des Deutsche-Bank-Chefs lässt an das Zwölf-Punkte-Papier der FDP denken, das seitens der SPD so scharfen Widerspruch ausgelöst hat. Anders als Industriepräsident Siegfried Russwurm auf der Hannover Messe vermeidet der Bankenpräsident die offene Konfrontation. Als Gastgeschenk bringt der Kanzler die Zusage mit, sich in Brüssel für die Vollendung der Bankenunion und der Kapitalmarktunion einzusetzen.

Scholz wäre nicht Scholz, wenn er nicht das Land und seine Regierung auf einem guten Weg sähe. „Ja, die Zeiten sind unruhig. Auch an Deutschland geht das nicht spurlos vorbei. Aber wir navigieren da gut hindurch“, sagt der SPD-Politiker. Doch gesteht Scholz zu, dass man mit dem aktuellen Wachstum von geschätzt 0,2 Prozent in diesem Jahr nicht zufrieden sein kann.

Das liege nicht nur an einer abgekühlten Weltkonjunktur, zeitweise hohen Energiepreisen und gestiegenen Zinsen. Es fehlten Arbeitskräfte. Deutschland habe zu wenig in eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung investiert. „Wir hemmen uns selbst mit Bürokratie und Überregulierung in vielen Bereichen.“ Fehlende Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung müssten aufgeholt werden. „Alle diese Hemmnisse gehen wir an.“

Schuldenbremse dürfte stehen bleiben

Gelassen reagiert Scholz, als er auf die Konflikte unter den Regierungsparteien angesprochen wird. „Koalitionen sind Koalitionen, und Parteitage sind Parteitage.“ Mit einer schnellen Lockerung der Schuldenbremse, worauf SPD und Grüne dringen, rechnet er nicht. „Für die Herausforderungen, die wir jetzt haben, wird das keine Lösung sein.“

Die Regel im Grundgesetz könnte nur mit Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat geändert werden. Deswegen glaube er nicht, dass eine Reform in diesem oder im kommenden Jahr möglich sei. „Insofern konzentriere ich mich auf die Handlungsmöglichkeiten, die wir jetzt haben.“ Dazu gehöre, die Wachstumspotentiale nicht kleinzureden. Diesen Seitenhieb in Richtung FDP erlaubt er sich dann doch.

Kapitalmarkt soll vereinheitlicht werden

Scholz wirbt dafür, die Kapitalmarktunion in der EU zu vollenden, um mehr privates Kapital für Investitionen zu mobilisieren. „Wir brauchen einen gemeinsamen Markt für Bankdienstleister.“ Mit Blick auf nationale Eigenheiten meint er: „Vielleicht gibt es 27-mal das beste Insolvenzrecht der Welt. Aber vielleicht wäre besser, wenn es einmal das zweitbeste wäre, aber einheitlich für alle 27.“ Wenn man die Größe des europäischen Kapitalmarkts nicht voll zur Entfaltung bringe, koste das Wachstum, das könne kein staatlicher Investitions- und Innovationsfonds ersetzen.

Zudem spricht sich der SPD-Politiker dafür aus, den Finanzsektor von Berichtspflichten zu entlasten. Er befürwortet eine stärkere Harmonisierung der Kapitalaufsicht und eine Stärkung des Verbriefungsmarktes. Man arbeite mit der französischen Regierung intensiv an konkreten Vorschlagen.

Sewing warnt vor Schwierigkeiten für das Rentensystem

Sewing lobt Scholz für seine Aussagen zu den Finanzmärkten. Investoren schauten vor allem darauf, wie liquide, tief und handlungsfähig ein Kapitalmarkt sei, um ihr Geld gegebenenfalls schnell herausziehen zu können. Deshalb wirke sich die Zersplitterung in der EU so negativ aus. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank berichtet von einem Gespräch mit einem außereuropäischen Großinvestor, der dabei gewesen sei, 200 Milliarden Euro neu anzulegen. 185 Milliarden Euro gingen in die Vereinigten Staaten, 15 Milliarden Euro in den Rest der Welt. Die Zahlen für Europa habe er nicht nennen können. „Wir brauchen diesen einheitlichen Markt, um diese Gelder zu bekommen“, mahnt Sewing.

Der Bankmanager nutzt die Gelegenheit für einen umfassenderen Reformappell. „Es ist dringend notwendig, dass unsere Wirtschaft endlich wieder stärker wächst.“ Deutschland brauche in acht von zehn Jahren ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent, um das derzeitige Rentensystemin noch länger finanzieren zu können. Die Rente mit 63 sei aus der Zeit gefallen wie Forderungen nach einer Viertagewoche mit vollem Lohnausgleich.

Unproduktive Deutsche?

In Deutschland arbeiteten die Beschäftigten nach Abzug von Krankheitstagen durchschnittlich 26,2 Stunden je Woche, in Singapur seien es mehr als 44 Stunden. „Wie sollen wir Investoren aus Singapur erklären, dass es produktiv ist, das Kapital hier zu investieren?“ Sewing dringt zudem auf eine geringere Besteuerung der Unternehmen. „Diese Steuersätze sollten wir dringend senken, um den Standort attraktiv zu halten.“

Die FDP dringt in ihrem Zwölf-Punkte-Papier unter anderem auf ein Ende der „Rente mit 63“, verstärkte Arbeitsanreize durch eine Reform des Bürgergelds, ein Soli-Aus zur Entlastung der Unternehmen. Aus der SPD gelangte am Dienstag ein Papier mit zwölf Gegenargumenten zu den FDP-Vorschlägen an die Öffentlichkeit. „Sie sind sozial ungerecht und machen wirtschaftspolitisch keinen Sinn“, heißt es. Der Zwölf-Punkte-Plan sei ein Angriff auf die Fleißigen im Land.

Die Unionsfraktion greift in einem Bundestagsantrag FDP-Forderungen auf. Am Freitag will sie ihn zur Abstimmung stellen. „Das wird eine lustige Debatte auch innerhalb der Ampel geben – einen Tag vor dem FDP-Parteitag“, sagte Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg der F.A.Z.

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