Was ukrainische Ärzte von deutschen Kollegen lernen können

was ukrainische ärzte von deutschen kollegen lernen können

Praxistest: Sebastian Benner (rechts) und eine Patientin zeigt Ärzten aus der Ukraine, welche Fortschritte mit guten Prothesen und Reha möglich sind.

Der Krieg ist ein grausamer Lehrmeister. Einer, der keine Gnade, keine Pause kennt. Das zumindest sagt Peter Romchuk. Er arbeitet in einem Krankenhaus im Westen der Ukraine. Wöchentlich werden dort Soldaten eingeliefert. Ein Verwundetenzug bringt sie von der Front ins Krankenhaus. Mal sind es zwanzig, mal dreißig auf einen Schlag. Viele mit bis dahin nur provisorisch versorgten Wunden. Der Krieg habe ihn gelehrt, schnelle und oft auch radikale Entscheidungen zu treffen, sagt Romschuk. Oft müssten er und sein Team Gliedmaße amputieren – auch wenn unter anderen Grundvoraussetzungen und mit anderen zur Verfügung stehenden Ressourcen sicher ein alternativer Behandlungs­versuch denkbar gewesen wäre. Aber es gehe in erster Linie darum, Leben zu retten. Der Krieg habe ihn schon früh gelehrt, nicht zurückzublicken, sondern entschieden zu handeln.

Romschuk gehört zu einer kleinen Delegation ukrainischer Ärzte, die für die Dauer von vier Wochen in der BG Unfallklinik in Frankfurt hospitieren. Insgesamt 72 Fachkräfte, darunter auch Ergo- und Physiotherapeuten, sollen in den kommenden Monaten an sechs Standorten die Möglichkeit erhalten, sich unter anderem im Bereich der Rehabilitation fortzubilden. Denn mindestens genauso wichtig wie die oft lebensrettenden Operationen ist die anschließende physio­therapeutische Begleitung der Patienten sowie die Prothesenversorgung. Möglich wird der Austausch durch das Projekt „Aurora“, das durch das Bundesminis­te­rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie das För­der­programm „Klinikpartnerschaften“ der Deut­schen Gesellschaft für In­ter­nationale Zusammenarbeit unterstützt wird.

Es sind schon einige Tage vergangen, seit die vier ukrainischen Ärzte in Frankfurt angekommen sind. Ein bisschen müde sehen sie aus, sind fast eingeschüchtert von den vielen neuen Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten, auf die Ärzte und Therapeuten in Deutschland zurückgreifen können. In der Ukraine seien die Prothesen, die Patienten angeboten würden, oft viel einfacher aufgebaut, sagt Medizinier Maxim Rybinskyi mit Blick auf eine hochmoderne Pro­these, die der Trägerin beispielsweise das Treppensteigen ermöglicht, ohne dass die Prothese nachgezogen werden muss. „Wir haben nicht so tolles Material“. Verständigt wird sich in englischer Sprache. Gar nicht so einfach auf beiden Seiten – wer kennt schon die Vokabeln für „Stumpfversorgung“?

Sebastian Benner, leitender Oberarzt und Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, weiß sich zu behelfen. Er umschreibt, zeigt, erklärt – notfalls auch pantomimisch. Die Prothese, die für so viel Bewunderung aufseiten der ukrai­nischen Ärzte sorgt, wird von Tatjana Schock getragen. Sie hat nach einem schweren Autounfall ihren Unterschenkel verloren. Schon ein Jahr nach dem Unfall sei sie dank moderner Medizin, einer guten Prothesenversorgung, Trainings und zahlreicher Reha-Einheiten wieder in die Lage versetzt gewesen, fast alle Bewegungsabläufe abzurufen, wie sie vor dem Unfall möglich waren. Ihr Gangbild ist unauffällig, mit einer speziellen Sportprothese kann sie sogar wieder joggen.

„Eine tolle und sensible Prothese bringt nichts, ohne die richtige Schaftversorgung und Reha“, sagt sie. Und genau das scheint einer der größten Unterschiede zwischen den Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland und der Ukraine zu sein. Während die Ärzte Tatjana Schock auch noch Jahre nach der Amputation eng begleiten und die junge Frau mittlerweile einige dieser Ärzte duzt, wissen die ukrainischen Ärzte meist nicht, wie es nach der Operation den Patienten im Leben ergeht. Klinik- und Reha-Strukturen sind getrennt voneinander. „Jedes unserer Krankenhäuser würde kollabieren, wenn die Patienten so lange bleiben würden“, sagt Romschuk. Und auch Sebastian Benner hat aus dem Gespräch mit den Kollegen erfahren: „Die Unfall­chirurgen in der Ukraine kämpfen gerade zwei Kriege parallel. Den, den wir alle mitbekommen. Und den in den Kliniken. Die Belastungen werden einfach nicht weniger.“

was ukrainische ärzte von deutschen kollegen lernen können

Ausgesprochen gelenkig: Moderne Prothesen wie diese ermöglichen es den Patienten, viele Fähigkeiten ihrer verlorenen Hand wiederzuerlangen.

Unfallchirurg Romschuk hofft, „so viele Eindrücke wie möglich mitnehmen zu können.“ Besonders die den strengen Standards folgenden Abläufe im deutschen OP und im Klinikalltag haben ihn beeindruckt. Vom Austausch profitieren aber beide Seiten. Denn auch die ukrainischen Unfallchirurgen haben während der Kriegsmonate laut Maxim Rybinskyi vieles dazugelernt. Aufgrund der hohen Anzahl schwerstverletzter Patienten hätten sie sich beispielsweise eine hocheffiziente und ressourcenschonende Ar­beits­wei­se angewöhnt, sagt Romschuk. Und auch beim Thema „Triage“, also dem schnellen Entscheiden, welcher Patient zuerst versorgt werden soll, seien sie unfreiwillig sicherer geworden. Der Krieg, er ist eben ein grausamer Lehrmeister.

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