Das Schicksal in die eigenen Hände nehmen

das schicksal in die eigenen hände nehmen

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zum Gespräch bei Scheich Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani, Minister für Handel und Industrie von Katar

Deutschland hat keine guten Erinnerungen an Qatar. Man denke nur an Vizekanzler Habeck, der sich tief vor dem qatarischen Energieminister verbeugte, oder an das schmachvolle Ausscheiden der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2022. Ein angemessener Umgang mit diesem und den anderen Golfstaaten scheint noch nicht gefunden worden zu sein. Die hitzige Diskussion über die WM hat das gezeigt. Es ging um Menschenrechtsverletzungen und die Ausbeutung von Arbeitsmigranten in Qatar. Für Sebastian Sons, der als Senior Researcher beim Forschungsinstitut CARPO (Center for Applied Research in Partnership with the Orient) arbeitet, steht fest: Statt sich über einen strategischen Umgang mit diesen problematischen Partnern Gedanken zu machen, verharre die deutsche Debatte in einer „Blase aus Unkenntnis, Ignoranz und Schwarz-Weiß-Malerei“. Deshalb versucht Sons in seinem Buch, die Golfstaaten in ihrer Widersprüchlichkeit und Komplexität zu betrachten.

das schicksal in die eigenen hände nehmen

Überleben der Herrscherdynastien um jeden Preis

Zunächst befasst er sich in vier minutiös recherchierten Kapiteln mit der Machtarchitektur der Golfmonarchien, deren Neuerfindung, Außenpolitik und Einfluss in einer multipolaren Welt. Sons’ Kernthese lautet: Die WM habe endgültig die globale und regionale Bedeutung der arabischen Golfmonarchien ins Zentrum der Weltöffentlichkeit gerückt. Der Sport diene dabei nur als ein Instrument dieses Bedeutungszuwachses: Im „Wettkampf der Systeme“ zwischen dem von den USA geführten Westen und der „neuen Supermacht“ China würden die Golfmonarchien ihren Platz in einer zunehmend multipolaren Weltordnung suchen. Ziel der Monarchien auf der Arabischen Halbinsel, dazu zählen Saudi-Arabien, Qatar, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Kuwait, Oman und Bahrain, sei das Überleben ihrer Herrscherdynastien – um jeden Preis. Mithilfe der Öl- und Gaseinnahmen, durch die Rekrutierung von Millionen von günstigen Arbeitskräften aus dem Ausland und die enge Zusammenarbeit mit internationalen Partnern seien die Golfmonarchien in die Elite der „global players“ aufgestiegen. Vom Westen wollen sie sich nichts mehr diktieren lassen, sondern ihr „Schicksal in die eigenen Hände ­nehmen“.

Dahinter stecke, so Sons weiter, auch das „ehrgeizige Ego der Herrscher“. Dass sich der qatarische Emir, Tamim bin Hamad Al Thani, im Zuge der WM als „Superstar am Golf“ etabliert habe, werde von den mächtigen Männern in Saudi-Arabien und den VAE mit Skepsis betrachtet. Der saudische Kronprinz, Muhammad bin Salman, wolle sein Land in eine neue Ära führen. Dafür scheue er weder Kosten noch Risiken. Er lasse eine künstliche Stadt wie Neom am Roten Meer errichten, investiere mithilfe des von ihm geführten Staatsfonds in Unternehmen auf der ganzen Welt, kaufe sich seinen eigenen Fußballclub, Newcastle United, oder locke Fußballstars wie Cristiano Ronaldo in die saudische Fußballliga. Saudi-Arabien gehe einen Weg der wirtschaftlichen Diversifizierung und der gesellschaftlichen Liberalisierung. Beispielsweise dürften Frauen Auto fahren und würden als wichtigste Treiber seiner „Rundum-Transformation“ gefördert und gefordert. Unter Muhammad bin Zayed hätten sich die VAE von einem Ort des Handels und der Finanzwirtschaft zu einem Regionalakteur entwickelt, der sich in den vergangenen Jahren hochgerüstet und in Libyen oder im Jemen als militärische Macht reüssiert habe. Die VAE sähen sich nicht mehr nur als „kleine Schweiz“, sondern auch als „kleines Sparta“.

Gleichwohl müsse die neue Herrschergeneration einen „sensiblen Drahtseilakt“ meistern, der auf einer „explosiven Melange aus knallharter Kompromisslosigkeit, einem fast schon mythischen Personenkult des Unnahbaren und der Fähigkeit, sich die Strahlkraft des Visionärs zu verleihen“, beruhe. In allen Golfmonarchien liege der Anteil der unter 25-Jährigen bei etwa 50 Prozent bei gleichzeitig hoher Jugendarbeitslosigkeit. Die Folge sei ein komplizierter Aushandlungsprozess mit Generationenkonflikten und Geschlechterkämpfen. Sons schreibt: „In diesem Kaleidoskop aus Fort- und Rückschritt, aus Aufbruch und Beharrungskräften, aus Optimismus und Stagnation übernehmen die Herrschenden die Rolle der Dirigenten.“ Sie würden den Wandel und das Tempo bestimmen.

In den letzten zwei Kapiteln werden die Beziehungen zwischen den Golfstaaten und Deutschland beleuchtet. Selbstkritisch äußert sich ein deutscher Diplomat: „Wir verfügen weder über die Strategie noch den politischen Willen und die Ressourcen, um aktiv und selbstbewusst aufzutreten.“ Die deutsche Politik gleiche, so Sons, einem „Zickzackkurs“, der von mangelndem Interesse, fehlendem Pragmatismus und unzureichendem Wissen geprägt sei. Deshalb skizziert Sons eine Strategie, die auf drei Säulen basiert: Erwartungsmanagement, Ehrlichkeit und Empathie. Felder einer verstärkten Zusammenarbeit könnten Klimadiplomatie, Energie-, Entwicklungs- und Mi­grationspolitik sein. Sebastian Sons hat ein lesenswertes Buch vorgelegt, das Denkanstöße dafür gibt, wie eine Balance zwischen „interessensbasierter und wertegeleiteter Außenpolitik“ gelingen könnte.

Sebastian Sons: Die neuen Herrscher am Golf und ihr Streben nach globalem Einfluss.Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2023. 328 S., 24,– €.

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