Laut einer Studie liegt die Demokratie in vielen Ländern darnieder. Die Ukraine hofft auf neue Artillerie. Und ein deutscher Bischof reist zum Papst für ein Krisengespräch. Das ist die Lage am Dienstagmorgen.
News: Demokratiestudie, Bertelsmann Stiftung, Olaf Scholz, Ivan Krastev, Ukraine-Kontaktgruppe, Synodaler Weg, Papst Franziskus, Kaja Kallas,
Schlechte Regierungen
Es ist ein bürokratisches Wort, aber es beschreibt ein gewaltiges Thema. Die Bertelsmann Stiftung stellt heute in Berlin ihren »Transformationsindex« vor, den sie alle zwei Jahre erhebt. Eine Frage steht dabei im Mittelpunkt: Wie geht es der Demokratie? Die Antwort: ziemlich schlecht.
»Die Demokratiequalität in Entwicklungs- und Transformationsländern hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren kontinuierlich verschlechtert«, sagen die Forscher. »Heute stehen nur noch 63 Demokratien einer Mehrheit von 74 Autokratien gegenüber.« Im bisherigen Untersuchungszeitraum seien noch nie so viele Länder so schlecht regiert worden wie heute.
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Eine düstere Diagnose also, welche Therapie empfehlen die Verfasser?
»In vielen Fällen sind zivilgesellschaftliche Akteure die letzte und entschlossenste Verteidigungslinie gegen zunehmende Autokratisierung«, heißt es in der Zusammenfassung der Untersuchung.
Eine Botschaft, die auch für alle relevant sein dürfte, die sich über das Erstarken der Antidemokraten in Deutschland große Sorgen machen.
Gestern diskutierte Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem bulgarischen Politologen Ivan Krastev über die Frage, wie die Demokratie zu retten sei. Auch Scholz verwies auf das zivilgesellschaftliche Engagement im Land, auf die vielen Demos gegen Rechtsextremismus. Das habe zu einer »erheblichen Irritation bei der AfD« gesorgt, sagte der Kanzler. Er setze im Verteidigen der Demokratie vor allem auf Fortschrittsoptimismus, führte Scholz weiter aus. »Die Zuversicht ist zentral, das ist meine Überzeugung.«
Die Frage ist nur, wie diese Zuversicht zu den Menschen gelangt. Momentan sprechen die wirtschaftlichen und politischen Aussichten nicht unbedingt dafür, grenzenlosen Optimismus verbreiten zu wollen. Es käme dann wieder der Kanzler mit seiner Regierung ins Spiel, um dies zu ändern.
Vor einigen Monaten diskutierte Krastev mit Vizekanzler Robert Habeck im SPIEGEL über Polarisierung: »Deutschland ist auf Schocks nicht vorbereitet« – »Wir arbeiten daran, Ivan«
Große Versprechen
Zuletzt gab es Irritationen darüber, wie fest die Bande noch hält zwischen Deutschland und der Ukraine. Einerseits rühmt sich die Bundesregierung (zurecht), weltweit nach den USA der zweitgrößte Unterstützer des angegriffenen Landes zu sein. Andererseits ließen Gedankenspiele des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich über ein »Einfrieren« des Krieges Zweifel aufkommen, ob das viel beschworene Unterstützermotto »as long at it takes« (solange wie nötig) in der Kanzlerpartei überhaupt noch gilt.
Am Freitag versuchte Olaf Scholz, die vielen Geister, die mittlerweile seiner Flasche entwichen sind, wieder einzufangen. Bei einem Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk als sogenanntes Weimarer Dreieck demonstrierten die drei Politiker große Einigkeit. Man werde die Ukraine weiterhin geschlossen unterstützen, »unsere Einheit ist unsere Stärke«, sagte Scholz.
Wie als Beleg dafür verkündeten Scholz, Macron und Tusk neue gemeinsame Initiativen. Sie wollen auf dem Weltmarkt noch mehr Waffen für die Ukraine beschaffen und die Produktion von Militärgeräten gemeinsam mit ukrainischen Partnern ausbauen. Eine neue Koalition für weitreichende Raketenartillerie solle gebildet werden, kündigte Scholz an, Details würden folgen. Vielleicht folgen diese Details schon heute.
Auf Einladung von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin trifft sich auf der US-amerikanischen Luftwaffenbasis Ramstein die Ukraine-Kontaktgruppe, eine Koalition aus 50 Ländern. Sehr konkret und detailliert wird hier diskutiert, wie die Unterstützung der Ukraine verbessert werden kann. Scholz deutete an, dass die Artilleriefrage bei diesem Treffen diskutiert werde.
Man dürfte also am Ende des Tages wissen, ob die Ankündigung des Weimarer Dreiecks wirklich mehr war als eine verbale Beruhigungspille.
Heilige Dreiuneinigkeit
Die Beziehung der deutschen Katholiken zu ihrem Papst steckt in einer tiefen Krise. Vor einem Monat untersagte Franziskus den deutschen Bischöfen, mit dem sogenannten Synodalen Rat ein neues Gremium zu schaffen, in dem Laien und Geistliche gemeinsam über wichtige Grundsatzfragen der Kirche beraten und entscheiden sollten. Er verwies auf das Kirchenrecht.
Die katholischen Laien waren empört und enttäuscht, waren es doch die Bischöfe gewesen, die den Synodalen Weg vorangetrieben hatten und auf die Laien zugegangen waren. Auch unter den Bischöfen herrschte Ärger.
Zu einer ersten Krisensitzung reist heute der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, zu Gesprächen mit dem Vatikan nach Rom. Der Ausgang der Paartherapie ist ungewiss. Er dürfte aber mit darüber entscheiden, ob die katholische Kirche weiter an Beliebtheit verliert oder ihr Mitgliederschwund verlangsamt werden kann.
Der Konflikt zeigt aber auch, welch Zerrbild offenbar ein Teil der deutschen Katholiken von ihrem Kirchenoberhaupt hat. Franziskus gilt im Vergleich zu seinem Vorgänger Benedikt als modern, den Menschen zugewandt, offen für viele Reformen. Entscheidungen, etwa die Segnung homosexueller Paare zuzulassen, verstärkten dieses Bild.
Vergessen wurde bisweilen, dass der Papst trotz allem kein Revoluzzer ist, sondern in vielen grundsätzlichen Fragen ähnlich denkt wie seine Vorgänger. Seine eher konservative Seite zeigt sich jetzt in der Frage, wer die liturgische Deutungshoheit in der Kirche besitzt – die Laien oder die Kleriker? Für den Papst ist offenbar nicht einmal die Frage legitim.
Der Historiker Hubert Wolf bezeichnete bereits vor einem Jahr im SPIEGEL den Synodalen Weg für gescheitert: »Es geht um das Überleben des christlichen Glaubens«
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Gewinnerin des Tages …
…ist die Ministerpräsidentin von Estland, Kaja Kallas. Ihr wird heute in Berlin der Walter-Rathenau-Preis verliehen, die Laudatio hält Außenministerin Annalena Baerbock. Zuvor wird Kallas von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen.
Mit dem Walter-Rathenau-Preis wird jedes Jahr »ein herausragendes außenpolitisches Lebenswerk« gewürdigt. Zu den bisherigen Preisträgern gehören Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Ex-US-Außenministerin Hillary Clinton oder Ex-Kanzlerin Angela Merkel.
Kallas, 46, gilt seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine als eine der klarsten Mahnerinnen, in der Unterstützung des angegriffenen Landes nicht nachzulassen. Kein Wunder, teilt sich Estland doch eine 300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Viele Esten sorgen sich, ihr Land könnte irgendwann ebenfalls Opfer der Aggression Putins werden.
Wegen ihres Einsatzes für eine größere Verteidigungsbereitschaft innerhalb Europas brachten einige die estnische Regierungschefin zuletzt als mögliche Nato-Generalsekretärin ins Spiel. Tatsächlich hat allerdings der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte derzeit die besten Chancen auf die Nachfolge von Jens Stoltenberg.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
Europarat beklagt »wachsende Ungleichheit« in Deutschland: Armut und soziale Ausgrenzung in Deutschland stehen in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes: Zu diesem Urteil kommt der Europarat. Die Forderungen an die Regierung sind deutlich.
300.000 Gratis-Kondome im Olympischen Dorf – aber kein Schampus: Olympia steht auch für den Austausch der Athletinnen und Athleten. Damit dieser ohne unerwünschte Folgen bleibt, sorgen die Organisatoren in Paris vor.
Spitzenkoch Ferré erhält auf Anhieb drei Sterne: Drei Sterne aus dem Stand – dieses Kunststück ist vor ihm nur wenigen gelungen: Der 35-jährige Fabien Ferré wird vom Restaurantführer Michelin mit den höchsten Ehren bedacht.
Dieses Interview möchte ich Ihnen heute besonders empfehlen:
Warum lassen wir unseren Urlaub verfallen, Frau Nussbaum? Bald ist der März vorbei, und das heißt: höchste Zeit, den Resturlaub zu nehmen. Die Systematiker unter den Arbeitnehmern kennen den Kalender, planen frühzeitig, blockieren Brückentage. Kreative Chaoten hingegen legen sich spät fest. Wirtschaftspsychologin Cordula Nussbaum spricht über die Kultur des Freinehmens, und welche Rolle Urlaubsscham dabei spielt.
Ich wünsche Ihnen einen inspirierenden Dienstag.
Ihr Martin Knobbe, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros
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