Christian Lindner hat eine unfrohe Botschaft für die SPD, ein Christdemokrat gibt sich beim Thema Taurus nachdenklich, und in Kiel übernimmt eine Frau das Kommando. Das ist die Lage am Mittwochmorgen.
News: Christian Lindner, FDP, Taurus
Wird es jetzt hässlich?
Christian Lindner hat der geschätzten Konkurrenz ein Interview gegeben, genauer: einer Kollegin und einem Kollegen der »Zeit«. Darin sagt er zwei Sätze, die in der Ampel, speziell der SPD, etwas auslösen könnten. Und zwar eher keine spontane Stehparty.
Kurz zur Einordnung: Der Bundesfinanzminister Lindner arbeitet gerade am Bundeshaushalt für 2025, das Geld ist knapp, Milliarden müssen eingespart, zugleich soll mehr Geld für Verteidigung ausgegeben werden, der Ampel stehen in den nächsten Monaten harte Kämpfe bevor. Es wird gezerrt, gefeilscht und gestritten werden, Minister und Ministerinnen dürften auf andere Ressorts zeigen und behaupten, dass dort doch viel mehr zu holen sei. Es wird, davon darf man ausgehen: hässlich.
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Vor diesem Hintergrund sagt Lindner nun der Kollegin und dem Kollegen: »Die stark steigenden Sozialausgaben, die nicht mehr nur Bedürftigkeit verhindern, sondern in großer Dimension umverteilen, stehen in Konkurrenz zu allen anderen Aufgaben: Klimaschutz, Bildung, Infrastruktur, Verteidigung. Und auch notwendige Entlastungen bei Steuern und Abgaben für die arbeitende Bevölkerung stehen im Wettbewerb zu den Sozialetats.«
Die Sozialausgaben sind für die SPD ungefähr das, was den Grünen die Energiewende, Lindner sein Porsche und der FDP das Nein zu Steuererhöhungen ist: nicht verhandelbar.
Dass Lindner gern im Sozialen kürzen würde, ist nicht wirklich überraschend, aber in der Politik kommt es oft auf das Timing an, den Zeitpunkt. Warum also jetzt diese Sätze? Um zu provozieren? Der SPD einmal die Instrumente zu zeigen? Oder ist dieser Haushalt für Lindner der Hebel, um die Koalition doch noch vorzeitig zu verlassen?
Heute Abend wird der Kanzler die Gelegenheit haben, ihn danach zu fragen. Scholz, Lindner und Robert Habeck treffen sich zum Gespräch im Kanzleramt.
Eine Partei am Abgrund
Aber Christian Lindner ist ja nicht nur Finanzminister, sondern auch noch Chef der FDP. Das war in den vergangenen Jahrzehnten eine Partei, über die man sich gut lustig machen konnte. Über ihre politische Biegsamkeit, die Zahnarztquote unter ihren Wählern, über ihr manchmal schrilles, oft schrulliges Personal, über Genschers Ohren (was man heute, Stichwort Bodyshaming, nicht mehr täte), Lindners Porsche (ja, tut mir leid). Meine Kollegen Christoph Schult und Severin Weiland tun all das nicht.
Die beiden sind im SPIEGEL-Hauptstadtbüro für die FDP zuständig. Statt den einfachen Weg zu gehen, statt sich über die Liberalen einfach ein bisschen lustig zu machen, haben sie sich in einem großen Report sehr ernsthaft mit dieser Partei auseinandergesetzt, die zwar seit über zwei Jahren regiert, aber manchmal noch immer auftritt wie eine Oppositionspartei auf Ketamin.
»Die FDP, im vergangenen Dezember 75 Jahre alt geworden, wirkt in diesen Tagen ratlos und verunsichert«, schreiben die Kollegen. »Der Eintritt in die Ampelkoalition vor gut zwei Jahren hat ihr nicht gutgetan.« Seitdem hat die FDP Mitglieder und Wahlen verloren, hat sich mit den Koalitionspartnern zerstritten und noch mehr Wahlen verloren, was die Kollegen zu ihrer Kernfrage führt: »Wofür braucht das Land die Freie Demokratische Partei überhaupt noch?«
Es folgt eine Reise durch die Partei, von Heppenheim über Erfurt bis Korschenbroich, sie ist lehrreich und kurzweilig. Zu welcher Antwort die Kollegen am Ende kommen? Lesen Sie selbst.
Leise Töne zum Taurus
Olaf Scholz hat im Lauf seiner Karriere schon für vieles politische Prügel einstecken müssen. Für die Agenda 2010, seine Erinnerungslücken beim Thema Cum Ex, einen minimal aus dem Ruder gelaufenen G20-Gipfel. Und, natürlich, für seine Weigerung, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine abzugeben.
Die Union, aber auch Teile von Grünen und FDP, haben in den vergangenen Wochen auf den Kanzler eingedroschen, als hinge das Schicksal der Ukraine einzig und allein von dieser Waffe ab. Als lieferte Scholz das Land mit seinem Nein den russischen Invasoren aus. Die Union stellte eigene Taurus-Anträge im Bundestag, sie tat, was eine Oppositionspartei tun muss. Sie trieb den Kanzler vor sich her.
Vor diesem Hintergrund finde ich das Interview sehr interessant, das mein Kollege Florian Gathmann mit Jan Redmann geführt hat, dem CDU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Brandenburg am 22. September. Redmann äußert sich darin deutlich vorsichtiger zum Thema Taurus, er wägt seine Worte.
Der Frage, ob er für oder gegen eine Lieferung sei, weicht er zunächst aus, dann sagt er: Wenn die Bundestagsfraktion »auf Basis der Kenntnisse unserer Experten« die Lieferung von Taurus befürworte, »hat das natürlich auch meine Unterstützung«. Dann sagt er: »Ich habe allerdings gemeinsam mit anderen ostdeutschen Politikern darauf hingewiesen, dass Besonnenheit ein Gebot der Stunde ist.« Es gehe da »vor allem um die Tonalität«, sagt Redmann. »Einige Äußerungen aus der Unionsfraktion waren nicht so besonnen, wie wir uns das gewünscht hätten.«
Es mag etwas damit zu tun haben, dass Redmann im Osten antritt, wo die Wählerinnen und Wähler das deutsche Engagement in der Ukraine noch skeptischer sehen als im Westen der Republik. Allerdings ist mittlerweile die Union insgesamt beim Thema Taurus deutlich leiser. Womöglich hat man im Konrad-Adenauer-Haus wahrgenommen, dass die Umfragewerte der Kanzlerpartei SPD zuletzt, nach Wochen der Taurus-Debatte, leicht nach oben gegangen sind.
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Warum eine Kommission zur Coronapolitik notwendig ist: Die Protokolle aus dem Robert Koch-Institut haben die Debatte über die staatliche Coronapolitik neu entfacht. Die Politik sollte die Pandemie selbst aufarbeiten, statt das Verschwörungstheoretikern zu überlassen.
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Die Startfrage heute: Abgeordnete gleicher politischer Überzeugung, die nicht die Fraktionsmindeststärke erreichen, können sich zu einer Gruppe zusammenschließen. Wie viele Mitglieder sind dazu mindestens nötig?
Gewinnerin des Tages…
…ist Fregattenkapitän Inka von Puttkamer. Sie übernimmt heute das Kommando über das 3. Minensuchgeschwader in Kiel und kommandiert damit, so kündigt es die Deutsche Presse-Agentur an, »als erste Frau einen Kampfverband der Deutschen Marine«. Herzlichen Glückwunsch. Frau von Puttkamer ist Anfang 40, sie dürfte es in der Marine noch weit bringen. Vielleicht sogar bis zum Admiral? Oder sagt man dann Admiralin? Noch gibt es davon jedenfalls keine. Zeit wird es.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
Das pinke Raumschiff schwebt: Die deutsche Nationalmannschaft feiert gegen die Niederlande den zweiten Sieg in Folge. Und plötzlich entsteht rund um dieses Team, das seit Jahren gegen den Bedeutungsverlust ankämpft, EM-Euphorie. Mittendrin: Major Tom.
Biden legt in Umfragen zu – auch in umkämpften Bundesstaaten: Der Blick auf Wählerumfragen war für Joe Biden zuletzt eher frustrierend. Doch nun liegen tatsächlich mal positive Zahlen vor. Besonders die Staaten mit vielen Wechselwählern dürften ihn ermutigen.
US-Bildhauer Richard Serra ist tot: Mit riesigen Stahlskulpturen wurde Richard Serra weltberühmt. Der US-Künstler eckte auch immer wieder an – wie bei der Arbeit am Holocaustmahnmal in Berlin. Jetzt ist er mit 85 Jahren gestorben.
Diese Geschichte möchte ich Ihnen heute besonders empfehlen:
Pump mich auf! Unsere Autorin Anja Rützel hat das »Female Business Festival« in München besucht, sie schreibt von einem »Disneyland für Frauen mit Ambitionen«. Das hehre Ziel: Empowerment! Doch was kann man von Unternehmerinnen wie Cathy Hummels lernen?
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Christoph Hickmann, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros
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