Neue Flugzeugsitze: Blaue Stunden mit Lufthansa

neue flugzeugsitze: blaue stunden mit lufthansa

HImmelblau: So sitzen Lufthansa-Passagiere in der neuen Economy-Class.

Die Premiere beginnt mit einer Entschuldigung. „Ich hätte Sie gern viel früher eingeladen“, sagt Jens Ritter, Chef der Marke Lufthansa im gleichnamigen Flugkonzern, den Besuchern. Doch mit der neuen Inneneinrichtung für Langstreckenflugzeuge war es nicht so einfach. Sie wurde 2017 angekündigt, sollte mal 2020, mal 2023 fliegen, was immer wieder verschoben werden musste. Nun hebt am 1. Mai der erste Linienflug mit den ersten neuen Sitzen ab.

neue flugzeugsitze: blaue stunden mit lufthansa

Lufthansa-Chef Jens Ritter: „Wir beginnen eine neue Ära des Reisens.“

Mit dem auf die Stadt Leipzig getauften Airbus A350 geht es von München ins kanadische Vancouver. Auf dieser Strecke beginnt die Zukunft, in der Lufthansa ihren stets vorgetragenen Premium-Anspruch beweisen will. An dem hatte mancher Vielflieger zuletzt gezweifelt. In Online-Foren wurde gemosert, ausgerechnet die deutsche Airline, die viel von Qualität spricht, habe ältere Sitze als andere.

Aber auch das Lufthansa-Management scheint regelrecht erleichtert, dass nun die neuen Polster fliegen. „Gute Dinge kommen zu denen, die warten“, ist so ein Satz, aus dem sich Ritters Aufatmen erahnen lässt. Lufthansa will auftrumpfen. „Wir setzen einen neuen Standard und beginnen eine neue Ära des Reisens“, verkündet der Chef der Konzern-Kernmarke.

Lufthansa-Cocktail und Brot mit Champagner-Roggen

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Die First-Class-Lücke: Reihe eins im Flieger ist ein Provisorium, die neuen Luxussitze fehlen noch.

Und dafür hat man sich einiges einfallen lassen. Zum Essen soll es frische Minibrote geben, deren Rezepturen ein Brotsommelier unter anderem mit Champagner-Roggen entwickelt hat. Business-Class-Reisende bekommen einen Lufthansa-Cocktail namens Avionic als Aperitif gereicht. Aber die neuen Sitze stehen im Zentrum: Die Bezüge zeigen viel Blau. Größere Bildschirme für Filme am Platz gibt es für jeden in allen Sitzklassen – auch in den mitunter als Holzklasse geschmähten Economy-Reihen.

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Mehr Vielfalt wagen: In der Business-Class gibt es fünf verschiedene Sitzvarianten.

In der Business-Class können Passagiere zudem stets in den Gang treten, ohne über Beine eines Nachbarn steigen zu müssen. Und Sitz ist nicht mehr gleich Sitz. Mehrere Varianten gibt es, allein in der Business-Class sind es fünf: Mal ist die Liegefläche zum Schlafen länger, mal gibt es Extra-Abstellfläche für Akten oder die mitgeführte Babytrage, mal sollen Trennwände für mehr Privatheit sorgen.

Das Premium-Polster-Projekt ist ein Großvorhaben mit dem Kunstworttitel „Allegris“. Insgesamt 27.000 neue Sitze verschiedener Hersteller erhält Lufthansa für Langstreckenflugzeuge. Viel musste entwickelt und zertifiziert werden. Ritter sagt, ein Business-Class-Sitz bestehe aus rund 2500 Teilen – von der kleinen Schraube über das Nackenkissen bis zum Flachbildschirm.

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Flieger mit Widmung: Aufschrift neben dem Einstieg auf dem ersten A350 mit Allegris-Ausstattung.

Nicht alles ist fertig

Beinahe hatte sich das Stühle-Projekt zur unendlichen Geschichte entwickelt. Und ganz abgeschlossen ist die auch noch nicht. Das zeigt sich in Reihe eins des neuen A350. Dort klafft die First-Class-Lücke. Die Sitze, für die die teuersten Tickets verkauft werden sollen, sind nicht fertig. Es fehlt sieben Jahre nach dem Projektauftakt die Zertifizierung, für den Passagierbetrieb dürfen die Plätze, die als Mini-Suiten mit Schiebetüren konzipiert sind, noch nicht eingebaut werden. In ein paar Monaten soll es soweit sein.

Ganz leer ist First-Class-Lücke bis dahin nicht. Etwas verloren stehen dort sieben Economy-Sitze. Die mussten aus Sicherheitsgründen eingebaut werden, wie Lufthansa erklärt. In Turbulenzen müssten Flugbegleiter auf dem Weg zwischen Bordküche und Passagieren weiter hinten eine Möglichkeit zum Festhalten haben. Buchbar sind diese Plätze nicht.

Das nimmt Lufthansa in Kauf. Die Alternative wäre wohl gewesen, mit Allegris noch länger zu warten – nach einer langen Serie mit Pleiten, Pech und Pannen. Das erste Problem: Allegris sollte 2020 abheben – in werksneuen Boeing-777-Fliegern. Wegen Entwicklungsverzögerungen hat Boeing die aber bis heute nicht übergeben. Letzter Stand: Schlimmstenfalls dauert es noch bis 2026.

Warten auf Flugzeuge

Dazu kam die Corona-Pandemie. Die zwang Lufthansa auf einen strammen Sparkurs, zwischenzeitlich wurden alle Allegris-Arbeiten gestoppt. Als sie auflebten, nahm man andere Flugzeuge als die B777 in den Fokus. Zu Weihnachten 2023 sollten die neuen Stühle in kleineren Boeing-787-Langstreckenfliegern unterwegs sein, doch auch die sind noch nicht da. Offiziell heißt es bei Lufthansa noch, man erwarte erste Exemplare in der zweiten Hälfte dieses Jahres. Hinter den Kulissen gibt es Zweifel daran.

So kam es dazu, dass die Allegris-Premiere in den A350 von Airbus verlegt wurde. Anders als Boeings kleinere 787 hat der aber eine Frist-Class-Sektion. Und da fehlen halt die Sitze. Weil die A350-Auslieferung aber läuft, flog Lufthansa schon notgedrungen werksneue A350 direkt zum Parken ins spanische Teruel – auf den Regionalflugplatz, der in der Pandemie als große Abstellfläche für überzählige Flugzeuge diente. Das wollte man nicht fortsetzen, dann doch lieber Premiere mit Lücke.

Im Konzern versucht man, gute Miene zu all den misslichen Umständen zu machen. Ja, die Verzögerung sei lang, heißt es, die neue Inneneinrichtung werde aber auch lange Kunden begeistern. Tatsächlich ist die Resonanz auf das Neue positiv. Das Luftfahrtportal aero.de bescheinigte, Allegris verschaffe Lufthansa einen „großen Vorsprung“. Und Airbus-Techniker sollen den Lufthanseaten gesagt haben, so etwas – wohl etwas Besonderes – hätten sie noch nie eingebaut.

In der Lufthansa-Zentrale hört man das gern – nach den vielen Problemen. Ein weiteres besteht noch in der ersten Economy-Class-Reihe. Dort ist der Abstand in Kopfhöhe zum Vordersitz etwas größer, für den Unglücksfall ist ein besserer Aufprallschutz gefordert. Und für den fehlt – die letzte Freigabe. Die komplexen Zulassungsregeln können bei Luftfahrtlaien für Erstaunen sorgen. Die Tatsache, dass nach Jahren noch Hürden bestehen, aber auch. Es bleiben neun vorübergehend unverkäufliche Sitze, die mit einem grauen Band mit der Aufschrift „kein Sitz“ markiert sind.

Lufthansa musste Auswege suchen

Und dann war da die Sache mit dem Jumbojet. Die neue Business Class erwies sich als sehr gewichtig und voluminös für das Oberdeck der Boeing 747. Der dort schmalere und zur Flugzeugnase hin gekrümmte Rumpf wurde spät als Herausforderung benannt. Nun werden im ersten Schritt nur im Unterdeck Sitze getauscht. Pech für die, die oben sitzen. Inzwischen hat Lufthansa aber einen Ausweg gefunden. Für sechs vordersten Oberdeckplätze muss die Wartungssparte Lufthansa Technik nochmal ran und selbst modifizierte Sitze entwickeln.

Wirtschaftlich muss Lufthansa in der Allegris-Einführungsphase ein paar kleine Abstriche machen. Eigentlich sollen Plätze, vor allem die diversen Varianten in der Business-Class, mit separaten Preisaufschlägen verkauft werden. Die bislang in der Höhe unbekannten Aufschläge schiebt Lufthansa auf, bis Kunden länger im Voraus garantiert werden kann, dass am Reisetag tatsächlich ein Flieger mit Allegris-Sitzen bereit steht.

Mit nur einem zum 1. Mai ließe sich die Garantie nicht halten. Jeden Monat soll ein weiterer dazu kommen, zum Jahresende zwei im Monat. Fest steht, dass nach Vancouver Toronto, Montreal, Chicago und San Francisco die nächsten Ziele mit Allegris sind. Dann soll Schanghai folgen, um das neue Innenleben Reisenden im wichtigen Asienverkehr zu zeigen.

Auch die fehlende First Class hat eine wirtschaftliche Komponente. Der neue A350 hat mit 38 Business-Class-Plätzen weniger als der A350 mit der alten Bestuhlung. Es lassen sich je Flug zehn höherpreisige Business-Class-Tickets weniger verkaufen. Kompensiert werden soll das durch vier noch teurere First-Class-Plätze – was erst möglich ist, wenn die eingebaut sind. Bis dahin bleibt als Trost, dass das Manko nur eine einstellige Zahl an Flugzeugen trifft. Die Investitionen für das gesamte Allegris-Programm, das in der Konzerngeschichte einmalig sei, hat Lufthansa auf 2,5 Milliarden Euro beziffert.

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