ÖRR-Blog: „Kritik an ARD und ZDF gilt als Majestätsbeleidigung“

örr-blog: „kritik an ard und zdf gilt als majestätsbeleidigung“

Mehr als acht Milliarden Euro und trotzdem nicht genug: Der ÖRR rechtfertigt die Erhöhung des Rundfunkbeitrags mit der Inflation.

Die Zeiten, in denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk schalten und walten konnte, wie er wollte, sind vorbei. Spätestens seit dem RBB-Skandal wird Kritik an der Arbeitsweise der Rundfunkanstalten und ihrem verschwenderischen Umgang mit Geld immer lauter.

Die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags verschärft die Lage weiter. Wieso braucht der ÖRR noch mehr Geld? Reichen die 8,57 Milliarden Euro, die jährlich durch den Rundfunkbeitrag in die Kassen der Sender gespült werden, nicht aus?

Ein Account auf der Sozialmedia-Plattform X beschäftigt sich seit 2020 mit diesen Fragen. Knapp 90.000 Nutzer folgen dem sogenannten ÖRR-Blog, der viel Zuspruch, aber auch Gegenwind erhält. Zuletzt wurde die Berichterstattung des Blogs als einseitig, fehlerhaft und sogar populistisch bezeichnet. Die Berliner Zeitung hat mit dem Mitgründer, Organisator und CSU-Kommunalpolitiker Jonas Müller über diese Fragen gesprochen.

Berliner Zeitung: Herr Müller, Sie gehören zu den Gründungsmitgliedern des ÖRR-Blogs und sind bis heute für die Organisation verantwortlich. Gab es ein bestimmtes Ereignis, auf das sich die Gründung des Accounts zurückführen lässt?

Jonas Müller: Nein, nicht direkt. Wir haben den Blog gegründet, weil wir der Auffassung waren, dass niemand dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf die Finger schaut. Bei anderen privaten Medien gibt es Watchblogs, warum also nicht auch beim ÖRR.

Der ÖRR-Blog veröffentlicht täglich neue Beiträge. Dahinter steckt mit Sicherheit ein großes Team?

Nein, wir sind gerade mal drei bis fünf Leute, die entweder im Studium stecken oder einen Beruf haben. Wir machen das alles ehrenamtlich in der Freizeit.

Wie viel Zeit fließt in die Recherche und wie gehen Sie bei der Überprüfung der Fälle vor?

Das variiert stark von Fall zu Fall und wie viel Zeit wir neben Studium und Beruf noch aufwenden können. Es gibt größere Geschichten, die erfordern längere Recherchen, aber auch sehr viele kleinere Themen, die wir sehr schnell veröffentlichen können. Dabei hängt es auch immer davon ab, wie gut die Informationen der Quelle sind und wir viel wir ihr vertrauen.

Verfolgen Sie bei der Auswahl der Fälle eine bestimmte Agenda oder anders gesagt, gibt es Kriterien, die erfüllt werden müssen?

Die Agenda, die wir verfolgen, ist denkbar offensichtlich: Wir wollen Fehler und Unsauberkeiten in der Berichterstattung erkennbar machen, damit das journalistische Angebot der öffentlich-rechtlichen besser wird. Wir alle zahlen unsere 18,36 EUR im Monat und ganz ehrlich: So richtig zufrieden mit dem Preis-Leistungsverhältnis sind vermutlich nur noch wenige Menschen. Das wollen wir ändern.

Und wie sieht es mit den Kriterien aus, nach denen Sie zugesendetes Material auswählen?

In der Personendarstellung muss offensichtlich unsauber gearbeitet worden sein. Über Leute, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als neutrale oder zumindest unabhängige Stimmen verkauft werden, aber eigentlich einen klaren Bezug zu einer Partei oder parteinahen Organisation haben, berichten wir immer. Eigentlich zufällig ausgewählte Demo-Teilnehmer, die dann aber durch ein mal googeln als parteipolitisch aktiv erkennbar sind, oder gar ÖRR-Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter die O-Töne geben, sind hier der massivste Fall. Selbst bei wohlmeinender Betrachtung ist es im Mindesten fragwürdig, nicht mal den Namen eines O-Ton-Gebers ein einziges mal im Netz zu recherchieren. Dazu versuchen wir so gut wie möglich über Ungleichgewichte bei der Berichterstattung oder falsche Ausgewogenheit hinzuweisen.

Sie sind neben Ihrer Tätigkeit beim ÖRR-Blog als CSU-Lokalpolitiker aktiv. Wie sehr beeinflusst Ihre politische Tätigkeit die Arbeit beim ÖRR-Blog?

Während sich mein Engagement in der CSU nur um lokalpolitische Themen dreht, geht es mir beim ÖRR-Blog um eine bessere Medienpolitik in Bezug auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ich selbst bin mit der Medienpolitik der CSU in den vergangenen Jahren unzufrieden und es hat mir zu lange gedauert, bis die CSU erkannt hat, dass dieser Rundfunk eine tiefgreifende Reform braucht. Die jetzigen Vorschläge gehen in die richtige Richtung, aber immer noch nicht weit genug.

Als politischer Mensch nehme ich wahr, dass es einen grundsätzlichen Vertrauensverlust in der Bevölkerung gegenüber vielen Medien gibt. Es ist schwer Politik zu machen, wenn es keine Quelle für eine als vertrauenswürdig akzeptierte Debattenbasis gibt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat die Fähigkeit so etwas im Ansatz zu liefern, doch dies passiert aktuell nicht. Um das zu ändern, habe ich den ÖRR-Blog gegründet.

Kürzlich hat sich auf X ein Account namens „OeRRBlog-Watch“ gegründet. Dieser unterstellt Ihnen und Ihrem Team ein selektives Vorgehen in der Auswahl ihrer Beiträge. Der Watch-Blog hat dafür sogar einige Belege parat – mehr als 40 Demonstranten auf den Bauernprotesten, die vom ÖRR befragt wurden, sind Unionspolitiker. Sie haben über diese Fälle nicht berichtet. Wieso?

Wir sind sehr klein und können selbstverständlich nicht das komplette TV-Programm durchforsten. Fast alle unsere Inhalte entstehen durch Zusendungen Dritter. Bei den Bauernprotesten haben uns schlichtweg keine Zuschriften erreicht.

Es lag also nicht daran, dass es die Mehrheit der Befragten Unionspolitiker sind?

Ganz deutlich: Dass im Fernsehen Unionsmitglieder als einfache Demonstranten dargestellt werden, stört uns bei den Bauerndemos genauso, wie bei jeder anderen Kombination von Demo und Partei.

Könnten Sie sich vorstellen, mit dem Watch-Blog zusammenzuarbeiten?

Grundsätzlich schon. Wenn es darum geht den öffentlich-rechtlichen Anstalten auf die Finger zu schauen, um eine bessere Qualität für die Beitragszahler zu erreichen, arbeiten wir mit allen zusammen, die es ernst meinen. Doch es kommt ein „Aber“: Bisher wirkte es nicht so, als seien die uns völlig unbekannten Initiatoren des „Watch“-Blogs an so etwas interessiert.

Ziel der Kritik, dass CDU-Mitglieder als einfache Demonstranten dargestellt werden, waren ja komischerweise wir — und nicht die Sendeanstalten, die diese journalistische Unsauberkeit zu verantworten haben. Als wäre es kritikwürdiger, dass unser ehrenamtlich betriebener X-Account die Fehler eines milliardenschweren Medienverbundes übersieht, als die Fehler der Organisation selbst.

Hat die Kritik am ÖRR-Blog nach der Veröffentlichung der Recherche des anderen Accounts zugenommen?

Nach unserer Einschätzung nicht wirklich. Es sind sowieso immer dieselben Accounts, die bei uns negative Kommentare schreiben. Erst war es, dass ich CSU- Mitglied bin, jetzt, dass wir parteilich wären. Da wir wissen, dass wir unser Möglichstes tun, um überparteilich zu bleiben, nehmen wir diese Kommentare zwar ernst, aber können letztendlich nur auf unsere Prinzipien hinweisen, die schon immer gegolten haben: Wir behandeln jede Einsendung gleich.

Sie betreiben Ihren Blog mittlerweile seit 2020. Haben Sender des öffentlich- rechtlichen Rundfunks jemals versucht, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen?

Wir haben zwei Presseanfragen vom ZAPP-Medienmagazin bekommen sonst hat sich bisher kein Account bei uns gemeldet. Die zweite Anfrage des ZAPP-Medienmagazins beschäftigte sich allerdings mehr mit dem anderen Blog als mit uns. Der WDR hat uns lieber auf eine „ÖRR-Kritiker“-Liste auf X gepackt, als den Austausch zu suchen. Grundsätzlich nehmen wir eine Wagenburgmentalität war: Egal wie konstruktiv die Kritik auch gemeint ist, man wird stets wie ein Majestätsbeleidiger behandelt.

Würden Sie sagen, dass sich seit Bestehen Ihres Accounts etwas beim ÖRR verändert hat? Beispielsweise wurde Johannes Hillje kürzlich in einem Tagesschau-Text nicht nur als Politikberater, sondern auch als ehemaliger Grünen-Wahlkampfmanager vorgestellt.

Ich denke schon, dass wir manches durch unsere Arbeit verändert und verbessert haben. Wir können allerdings nur den Anstoß liefern, handeln müssen dann die Akteure vor Ort und die Ministerpräsidenten. Letztere vor allem durch eine zeitgemäße Neufassung des Rundfunkstaatsvertrages und die Zusammensetzung der Rundfunkräte. Man kann nicht parteiische Vertreter von zig weltanschaulich stark geprägten Gruppierungen zusammenwerfen und dann hoffen, dass dabei eine objektive und neutrale Aufsicht zustande kommt.

Der ein oder andere könnte meinen, dass Sie für eine Abschaffung des öffentlich- rechtlichen Rundfunks sind. Das ist nicht der Fall und trotzdem sind Sie unzufrieden mit der Arbeit der Rundfunkanstalten. Welche Reformen braucht es also Ihrer Meinung nach und wie lassen sich diese umsetzen?

Zuallererst ist wichtig eines zu betonen: Wir beim ÖRR-Blog sind uns im Klaren darüber, dass es bestimmt kein Zuckerschlecken ist, Beiträge für die journalistischen Formate von ARD und ZDF produzieren zu müssen. Wenige schlecht bezahlte Leute liefern unter maximalem Zeitdruck den Großteil der Inhalte, während sich die Intendanten, Moderatoren und sonstigen Führungskräfte mit Mondgehältern gegenseitig bei Laune halten.

Und was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?

Hier muss ganz grundsätzlich angesetzt werden: Die Strukturen des ÖRR müssen schlanker und transparenter werden, dazu muss sowohl die Finanzlage als auch die Sender- und Formataufstellung überdacht und verändert werden. Grundsätzlich ist der Rundfunkstaatsvertrag und das System ÖRR auf eine weitgehend überholte lineare Verbreitung von Inhalten ausgelegt. Daraus ergeben sich auch in der Programmgestaltung Zwänge, die im Zeitalter einer bald ausschließlichen Verbreitung über on-demand Systeme völlig anachronistisch sind. Hier gibt es sehr viel Einsparpotential, doch nimmt man bei solchen Fragen momentan nicht mal einen Ansatz von Verhandlungsbereitschaft wahr.

Sie übernehmen die Rolle des kritischen Beobachters?

Es ist wichtig, kritisch mit dem produzierten Material umzugehen. Was durch den Druck — oft auch aus dem eigenen Haus — nämlich zuerst leidet, ist ein kritischer Umgang mit der eigenen Arbeit. Fehler ausbügeln, Themen ausrecherchieren, Zitate nicht nur „der Ordnung halber“ auch mit aufnehmen, sondern gleichwertige Argumente als solche behandeln. All das wäre dringend nötig. Dazu muss auch schon bei der journalistischen Ausbildung und Personalfindung ein Umdenken stattfinden.

Wie meinen Sie das?

Viele Journalistenschüler erzählen heute unverhohlen, dass sie Journalisten werden wollen, um über ihr eigenes Thema „aufzuklären“. Hehre Ziele, aber Journalismus darf nicht zum Aktivismus der eigenen Überzeugungen werden. Journalisten sollen in erster Linie „Sagen, was ist“. Zu sagen, was womöglich besser wäre als das, was ist und was vielleicht schlechter wäre, ist, wenn überhaupt, nur minimaler Nebenaspekt des Jobs.

Hanns Joachim „Hajo“ Friedrichs, langjähriger Tagesthemensprecher — und SPD-Mitglied — sagte einst: „Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“

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