Allensbach-Umfrage: Die Deutschen wollen viel Staat, aber wenig Regulierung

allensbach-umfrage: die deutschen wollen viel staat, aber wenig regulierung

Blick ins Reichstagsgebäude: WIe viel staatliche Regulierung wollen die Deutschen?

Das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat ist in einer Demokratie zwiespältig: Der Staat ordnet das öffentliche Leben, bestimmt die Spielregeln des Zusammenlebens und überwacht sie. Er kontrolliert und straft. Er hilft aber auch und sorgt dafür, dass die Infrastruktur zur Verfügung steht, die die Bürger nutzen, und er stellt sicher, dass diejenigen, die sich nicht selbst versorgen können, Unterstützung erhalten.

Der Staat ist mächtig: Jeder zweite Euro, der in Deutschland ausgegeben wird, wird von ihm ausgegeben. Das macht ihn zu einem gewaltigen Wirtschaftsfaktor und zu einer Gefahr für die ökonomische Entwicklung gleichzeitig. Die Ansprüche an ihn sind sogar noch gewaltiger.

Die meisten Forderungen von politischen und gesellschaftlichen Vertretern aller Couleur lassen sich in vier Worten zusammenfassen: mehr Geld vom Staat. Ob Sozialverbände oder Umweltgruppen, Industrie, Gesundheitswesen oder Experten für Verkehr, Verteidigung oder Innere Sicherheit, sie alle verfolgen verschiedenste Ziele, sind sich aber darin einig, dass der Staat nicht genug Geld für ihr jeweiliges Anliegen ausgibt.

In der Demokratie sind die Bürger der Staat. Sie finanzieren ihn nicht nur, sondern bestimmen letztlich die Felder und das Ausmaß seiner Aktivitäten. Wie vielen ist diese Tatsache bewusst? Wie ist überhaupt das Bild des Staates: Wird er als Unterstützung oder eher als Bedrohung betrachtet? Wofür ist er zuständig? Tut er genug, um die Bürger zu unterstützen, oder mischt er sich umgekehrt zu sehr in ihr Leben ein? Dies sind die Fragen, mit denen sich die aktuelle Bevölkerungsumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der F.A.Z. befasst.

44 Prozent finden den deutschen Staat sympathisch

Die Grundeinstellung der meisten Deutschen zu ihrem Staat ist positiv. Auf die Frage „Ist Ihnen der Gedanke an den Staat eher sympathisch oder eher unsympathisch?“ antworteten 44 Prozent der Befragten, ihnen sei der Gedanke sympathisch, nur 18 Prozent sagten, er sei ihnen unsympathisch. Vor 30 Jahren, als die Frage zum ersten Mal gestellt worden war, hatten sich die Anteile derjenigen, die den Staat als sympathisch und unsympathisch bezeichneten, mit 35 bzw. 34 Prozent noch die Waage gehalten. Das Bild des Staates hat sich in den letzten Jahrzehnten also deutlich verbessert.

Bei einer anderen Frage wurden zwei ausführlicher formulierte Positionen gegenübergestellt. Die eine lautete: „Mit dem Staat verbinde ich überwiegend Positives. Der Staat stellt mir eine Infrastruktur, Sicherheit und Unterstützungsleistungen zur Verfügung, die mir helfen, mein Leben so zu führen, wie ich es möchte.“ 47 Prozent der Bevölkerung stimmten dieser Aussage zu. Dagegen wählten nur 33 Prozent die Gegenposition „Wenn ich an den Staat denke, denke ich vor allem an die Regeln und Vorschriften, die er mir auferlegt, und an die Steuern, die ich bezahlen muss. Daher verbinde ich mit dem Staat überwiegend Negatives.“

In dieser Hinsicht unterscheiden sich Ost- und Westdeutsche nur wenig voneinander. Charakteristische Unterschiede gibt es aber zwischen den Anhängern der verschiedenen Parteien: Während die Anhänger der Grünen zu 70 Prozent mit dem Staat überwiegend Positives verbinden, waren es bei den FDP-Anhängern nur 29 Prozent, bei denen der AfD 13 Prozent.

Fragt man die Bevölkerung, um welche konkreten Aufgaben sich der Staat kümmern sollte, erhält man Antworten, die auf den ersten Blick den Schluss nahelegen, die Bürger hielten den Staat für nahezu alle Lebensbereiche zuständig. Bei einer Frage überreichten die Interviewer Karten, auf denen verschiedene Aufgabengebiete standen, mit der Bitte, alle Aufgaben zu nennen, um die sich der Staat kümmern sollte.

Bitte keine Einmischung: Medien, Gesundheit, Hausbau

Daraufhin ordneten die Befragten fast alle zur Auswahl gestellten Punkte mit überwältigenden Mehrheiten dem Staat zu. Darunter waren klassische staatliche Aufgaben wie der Schutz vor Verbrechen, den 94 Prozent als staatliche Aufgabe betrachteten, oder Punkte, die zumindest in Deutschland traditionell vom Staat übernommen werden, wie sicherzustellen, dass es gute Schulen und gute Universitäten gibt (94 bzw. 82 Prozent). Hier ist es wenig erstaunlich, dass die Bevölkerung fast einhellig diese Aufgaben dem Staat zuordnet.

Aber auch der Punkt „Dass es mit der Wirtschaft vorangeht“ wurde von acht von zehn Befragten als staatliche Aufgabe eingestuft, ebenso wie „Dass die Preise nicht zu stark steigen“ (79 Prozent). Dass es ausreichend Wohnungen gibt, hielten 87 Prozent für eine Aufgabe des Staates, dass es gesunde, schadstofffreie Lebensmittel gibt, immerhin noch 70 Prozent.

Von 23 zur Auswahl gestellten Punkten ordneten die Befragten 18 zu mindestens zwei Dritteln dem Staat zu. Nur bei drei Punkten fand eine Mehrheit, dass sich der Staat dort nicht einmischen sollte, nämlich bei den Punkten „Ausgewogene Berichterstattung in den Medien“, „Dass die Menschen gesund leben“ und „Wie man Häuser bauen darf“.

Doch der Eindruck, wonach sich die Bürger einen Staat wünschen, der nahezu alles regelt, täuscht. Dass die Mehrheit der Bevölkerung viele öffentliche Aufgaben als staatliche Aufgaben auffasst, bedeutet noch nicht, dass sie auf den betreffenden Gebieten lückenlose Regulierungen befürwortet. Bei einer anderen Frage wurden die Befragten gebeten, anzugeben, bei welchen Themen sie sich mehr staatliche Regelungen wünschen und wo es umgekehrt zu viele Regelungen gibt.

Hier fällt das Bild wesentlich differenzierter aus. Es gibt durchaus Punkte, bei denen sich die Bürger mehrheitlich mehr staatliche Regulierung wünschen, allen voran, wenn es um Zuwanderung geht: Hier gaben 78 Prozent an, sich mehr staatliche Vorgaben zu wünschen. Bei der Frage, was im Internet verboten werden soll, waren es 69 Prozent, beim Thema Lebensmittelsicherheit 66 Prozent.

Nachhall der Wärmepumpe

Doch diesen Punkten stehen andere gegenüber, bei denen erhebliche Bevölkerungsteile, teilweise sogar deutliche Mehrheiten sagen, hier gebe es zu viel staatliche Regulierungen. Und dieser Eindruck hat auf manchen Gebieten stark zugenommen. Seit dem Jahr 2013, als die Frage zum ersten Mal gestellt wurde, ist der Anteil derjenigen, die den Eindruck haben, es gebe zu viele Regeln, wenn es um die Energieeffizienz von Häusern geht, von 44 auf 70 Prozent gestiegen.

Bei dem Punkt „Wenn es um staatliche Vorgaben für die Wirtschaft geht“ ist ein Zuwachs von 34 auf 54 Prozent zu verzeichnen. Dass es bei der Festlegung von Löhnen und Gehältern zu viele staatliche Regeln gibt, meinten vor elf Jahren 24 Prozent, heute sind es 41 Prozent der Bevölkerung. Dass es zu viele staatliche Vorgaben zum Ausbau erneuerbarer Energien gibt, glaubten 2015 (2013 wurde der Punkt nicht abgefragt) 27 Prozent, aktuell sind es 51 Prozent.

Es fällt nicht schwer, in diesen Antworten ein Echo der Regierungspolitik der letzten Jahre zu erkennen. Man kann den Unmut, den vor allem das Gebäudeenergiegesetz ausgelöst hat, kaum überschätzen.

Zu diesen Ergebnissen passt, dass der Anteil derjenigen, die den Staat ganz allgemein als übergriffig empfinden, zugenommen hat. Auf die Frage „Haben Sie den Eindruck, dass der Staat immer mehr regelt, immer stärker in die persönliche Freiheit der Bürger eingreift, oder haben Sie nicht diesen Eindruck?“ antworteten in der aktuellen Umfrage 61 Prozent, sie hätten diesen Eindruck. 2012 waren es lediglich 43 Prozent. Der Anteil derjenigen, die der These ausdrücklich widersprachen, ist in der gleichen Zeit von 39 auf 23 Prozent zurückgegangen.

Die Bevölkerung befürwortet in ihrer Mehrheit einen Staat, der sich um viele ihrer Belange kümmert, aber keinen, der ihnen jegliche Verantwortung abnimmt. Dies zeigt das Ergebnis der Frage „Was für eine Gesellschaft finden Sie besser, eine Gesellschaft, in der hauptsächlich der Staat für seine Bürger verantwortlich ist, oder eine Gesellschaft, in der die einzelnen Bürger so viel wie möglich für sich selbst sorgen?“ Nur 21 Prozent gaben bei dieser Frage an, dass sie eine Gesellschaft bevorzugen würden, in der vor allem der Staat für seine Bürger verantwortlich ist.49 Prozent bevorzugten dagegen eine Gesellschaft, in der die Bürger so viel wie möglich für sich selbst sorgen; die verbleibenden 30 Prozent waren unentschieden.

Eine Mehrheit hält die Bürger für selbst verantwortlich

Fast die gleichen Ergebnisse erbrachte eine ähnlich formulierte Frage: Nur 28 Prozent stimmten der Aussage zu, es sei „in erster Linie Aufgabe des Staates, sich darum zu kümmern, wie es den Bürgern geht“. 51 Prozent sprachen sich für die Gegenthese aus, wonach die Bürger in erster Linie selbst dafür verantwortlich seien, wie es ihnen finanziell geht und wie sie abgesichert sind.

Bereits vor rund 190 Jahren beschrieb der französische Begründer der Politikwissenschaft Alexis de Tocqueville, dass in freien Gesellschaften die Gefahr bestehe, dass der Staat nach und nach immer mehr Zuständigkeiten und Aufgaben an sich ziehe, bis die Regierenden schließlich ihre Aufgabe darin sähen, den Bürger „zu leiten und zu beraten und notfalls gegen seinen Willen glücklich zu machen“. Eine solche Entwicklung lehnt die Bevölkerung trotz ihrer Staatsorientierung auf vielen Gebieten offensichtlich ab.

Dies ist vermutlich auch deswegen der Fall, weil das Selbstbewusstsein der Bürger gegenüber dem Staat gewachsen ist. Es wurde oben erwähnt, dass in einer Demokratie letztlich die Bürger selbst der Staat sind. Diese Perspektive ist keineswegs selbstverständlich. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung nimmt das Verhältnis von Bürger zu Staat wie die Beziehung vom Untertanen zum Herrscher wahr, aber er wird kleiner: Im Jahr 2012 stimmten 54 Prozent der Bevölkerung der Aussage zu: „Der Staat und die Bürger, das sind verschiedene Dinge.

Wir Bürger haben wenig Einfluss darauf, wie sich der Staat entwickelt.“ Aktuell sind es nur noch 39 Prozent. Dagegen ist der Anteil derer, die sagen „Der Staat, das sind wir alle. Es liegt an uns Bürgern, wie sich Deutschland entwickelt“, von 37 auf 48 Prozent gestiegen. Mit einer solchen Bevölkerung muss der Versuch, einen Helikoptervater Staat durchzusetzen, scheitern.

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