Munition für Kiew: Jetzt müssen die EU-Staaten die Granaten nur noch bestellen

munition für kiew: jetzt müssen die eu-staaten die granaten nur noch bestellen

Mangelware: Ein ukrainischer Soldat feuert am Freitag nahe der Stadt Bachmut einen Mörser Kaliber 120 Millimeter ab.

Dieses Jahr ist für die Ukraine das „Jahr des Überlebens“, wie es ein hoher EU-Diplomat formuliert. Dass es so weit gekommen ist, liegt auch an einem nicht gehaltenen Versprechen der EU-Staaten. Eine Million Granaten wollten sie dem Land binnen eines Jahres liefern, so hatten sie es am 20. März 2023 versprochen. Tatsächlich ist es nun zum Stichtag nur gut die Hälfte, 520.000 Schuss nach letzter Zählung. Nun droht den ukrainischen Truppen an mehreren Frontabschnitten die Munition auszugehen, was zu weiteren russischen Vorstößen führen könnte. Nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell benötigt die Ukraine pro Monat 200.000 Granaten des schweren Kalibers 155 Millimeter. Was also tun?

munition für kiew: jetzt müssen die eu-staaten die granaten nur noch bestellen

Mehr Munition für die Ukraine: Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag in Brüssel

Bis Ende des Jahres sollen dem Land weitere 630.000 Schuss geliefert werden, kündigte Borrell Ende Januar an. Dann werde das Millionenziel erreicht, sogar übertroffen. Dem Vernehmen nach werden diese Granaten aber erst im Herbst ausgeliefert. Deshalb wird nun die Initiative des tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala, verfügbare Munition auf dem Weltmarkt zu kaufen, in Brüssel als einziger Ausweg gesehen, um die Durststrecke bis dahin zu überbrücken. Dabei geht es um insgesamt 800.000 Schuss.

munition für kiew: jetzt müssen die eu-staaten die granaten nur noch bestellen

Großer Munitionsbedarf der Ukraine: Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell (M) versprach dem Land, bis Ende des Jahres Munition im sechsstelligen Bereich zu liefern. Doch es gibt Probleme.

Mögliche Lieferanten wären die Türkei, Südafrika und Südkorea

Mehr als 15 Staaten haben sich bereit erklärt, diese Initiative finanziell zu unterstützen. Deutschland stellte einen „dreistelligen Millionenbetrag“ in Aussicht. Konkreter sind die Zusagen anderer Staaten: Die Niederlande geben 250 Millionen Euro, Norwegen 140 Millionen, Portugal 100 Millionen Euro. Vorige Woche teilte Fiala mit, dass Verträge über 300.000 Schuss geschlossen worden seien. Für weitere 200.000 sei Geld zugesagt worden. Sein Sicherheitsberater Tomáš Pojar sagte, dass die Ukraine von Juni an mit Lieferungen rechnen könne. Alles in allem könnte Kiew dann tatsächlich in der zweiten Jahreshälfte pro Monat den Großteil seines Bedarfs decken – was eine deutliche Verbesserung zur jetzigen Lage wäre.

Woher die Munition kommt, hat Prag nicht offengelegt. Diplomaten nennen Südafrika, Südkorea und vor allem die Türkei als mögliche Lieferanten. Die Geschäfte werden sich nur mit Diskretion abwickeln lassen, weil diese Staaten nicht offen als Unterstützer der Ukraine auftreten wollen. Zum Teil werden die Europäer ihre Rechnungen bei der Europäischen Friedensfazilität einreichen können, um sie erstattet zu bekommen. Dafür stehen künftig weitere Mittel zur Verfügung. Am Montag beschlossen die EU-Außenminister, dass die Mittel für Kiew in dem Sondertopf um fünf Milliarden Euro erhöht werden. Dabei gibt es allerdings viele Einschränkungen. So haben Zypern und Griechenland darauf bestanden, dass Granaten aus der Türkei nicht erstattet werden können. Außerdem zahlt Deutschland als größter Staat kein frisches Geld ein, sondern verrechnet seinen Anteil mit bilateralen Waffenlieferungen.

Europa kann derzeit eine Million schwere Granaten im Jahr herstellen

Parallel zu diesen Ankaufprogrammen weiten die europäischen Hersteller ihre Produktionskapazitäten aus, wodurch sich die Lage im nächsten Jahr deutlich verbessern soll. Nach Angaben eines EU-Beamten können sie jetzt rund eine Million schwere Granaten pro Jahr herstellen. Allerdings sind rund 40 Prozent der tatsächlichen Produktion durch Exportverträge gebunden. Ende dieses Jahres soll die Kapazität auf 1,4 bis 1,7 Millionen Granaten steigen und Anfang 2026 die Marke von 2 Millionen übersteigen. „Wir nehmen an, dass der jährliche Bedarf bei 2 bis 2,5 Millionen Granaten liegen wird“, sagte der Beamte. „Damit werden wir dann bei 155-Millimeter-Granaten ungefähr mit der russischen Produktion gleichziehen.“

Der Aufbau dieser zusätzlichen Kapazitäten wird von der EU-Kommission mit insgesamt 500 Millionen Euro gefördert. Am vorigen Freitag gab sie bekannt, wie die Summe aufgeteilt wird. Insgesamt werden demnach 31 Projekte in 15 Mitgliedsländern bezuschusst. Dabei geht es darum, Engpässe in der Produktion zu überwinden, und zwar bei Anzündpulver, Explosivstoffen und Hülsen. Diese Engpässe hatte der für Verteidigung zuständige Industriekommissar Thierry Breton identifiziert, als er im vorigen Jahr 13 Rüstungsproduzenten besuchte.

Die Produktion von Anzündpulver wird fast mit der Hälfte der Gesamtsumme bezuschusst. So soll sich die Produktion um rund 10.000 Tonnen im Jahr erhöhen, was für 1,3 Millionen Granaten reicht. Große Beträge gehen an drei deutsche Hersteller, darunter 47 Millionen Euro an Rheinmetall. Auf Explosivstoffe entfällt ein Viertel der Summe. Die Kapazität soll um 4300 Tonnen im Jahr steigen, was für 800.000 Granaten reicht. Für die Produktion von Hülsen werden 90 Millionen Euro aufgewandt, wodurch die Produktionskapazität um 600.000 Stück im Jahr steigt. Der Rest des Geldes fließt in die Herstellung von Raketen und ein Projekt zur Überholung von Granaten, die ihr Ablaufdatum erreicht haben.

Granaten für Zinserträge russischer Staatsanleihen?

„Wir können nun vom Friedensdividende-Modus in den Modus der Kriegswirtschaft für die Verteidigungsindustrie wechseln“, sagte der EU-Beamte, fügte allerdings einen wichtigen Satz hinzu: „Wir brauchen jetzt Verträge, um die Projekte in fertige Granaten zu übertragen.“ Denn mit EU-Geld können nur Produktionskapazitäten gefördert werden. Es darf nicht eingesetzt werden, um Waffen und Munition zu beschaffen. Also müssen die Mitgliedstaaten Bestellungen aufgeben – was sich bisher als größter Engpass erwiesen hat.

Ende Januar teilte Borrell mit, dass die Europäische Verteidigungsagentur sechzig Rahmenverträge mit der Industrie mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro geschlossen habe. Das entspricht rund 300.000 Granaten. „Ich habe die Staaten ermutigt, Bestellungen abzugeben“, sagte er. Als letzte informelle Zahl war in Brüssel zu hören, dass sieben Staaten 60.000 Granaten bestellt hätten. Das ist schon einige Monate her. Hinzu kommen noch zwei Initiativen rund um nationale Rahmenverträge. Bis vor Kurzem sollen nur die Hälfte der Mitgliedstaaten Munition für Kiew bestellt haben. Nun heißt es, die Lage habe sich verbessert, fast alle Mitgliedstaaten seien engagiert. Allerdings werden keine Angaben über die Zahl der bestellten Granaten gemacht.

Man brauche einfach mehr Geld, sagte der lettische Außenminister Krisjanis Karins am Montag in Brüssel, dafür müsse man auch unkonventionelle Wege gehen. Konkret nannte er Eurobonds oder einen durch gemeinsame Schulden finanzierten Fonds wie in der Corona-Krise. Eine andere Idee ist, die Zinserträge russischer Staatsanleihen dafür einzusetzen, die nach Kriegsbeginn in der EU eingefroren wurden. So könnten 5 bis 6 Milliarden Euro zusammenkommen. Berlin zeigt sich neuerdings dazu bereit. Jedoch ist auch zu hören, dass man das Geld lieber für den Schutz kritischer Infrastruktur wolle.

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