Moskau in der Offensive

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Moskau in der Offensive

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Russische Kampfdrohne aus iranischer Produktion.

Drohnen und Fliegerbomben überziehen die ukrainischen Linien entlang der gesamten Front. Kiews Angriffe gelten vermehrt der militärischen Infrastruktur im russischen Hinterland.

Tag und Nacht hängen die Drohnen über der Front. Sobald sich unten Fahrzeuge, Stoßtrupps, selbst einzelne Kämpfer aus der Deckung wagen, stürzen sich ferngesteuerte Sprengköpfe auf sie, sogenannte FPV-Drohnen, die aus der Vogel-Perspektive gelenkt werden. „Es tut weh, zuzusehen, wie drei Schützenpanzer mit aufgesessenen Soldaten unter einen Schwarm FPV-Drohnen geraten, die fliegen in die Schützenpanzer hinein und alles rennt auseinander, leider überleben nicht alle“, beschreibt ein russischer Kriegsblogger auf dem Telegram-Kanal „Posiwnoj Osetin“ einen gescheiterten Vorstoß.

Russlands Truppen attackieren jetzt an vielen Abschnitten der fast 2000 Kilometer langen Front. Bei Robotyne im Süden, bei Awdijiwka und Tschasiw Jar im Großraum Donezk. Beobachter:innen spekulieren auch über einen Großangriff auf Charkiw. Und russische Portale zitieren eifrig die US-Zeitschrift „Politico“: „Die Ukraine ist in großer Gefahr, dass ihre Frontlinien zusammenbrechen.“

Dabei hat sich diese Front seit der Befreiung von Cherson im November 2022 kaum bewegt. Alle Angriffe sind jetzt quälend langsam und blutig, vor allem wegen der Drohnen. Sie haben das Schlachtfeld zur „toten Zone“ gemacht, so ein ukrainischer Drohnenkommandant gegenüber der „Washington Post“. Laut dem Portal „Moscow Times“ „verbrauchen“ die ukrainischen Streitkräfte monatlich etwa 10 000 Drohnen, wollen allein 2024 eine Million produzieren. Die billigen und treffsicheren Apparate sollen den Mangel an Artilleriegeschossen ausgleichen.

Alles blickt nach Washington

Aber Kampfdrohnen richten nichts gegen die neue Lieblingswaffe der Russen aus, „lenkbare Fliegerbomben“ (russisch kurz KAB) genannt. 250 bis 1500 Kilo schwere Sprengbomben sowjetischer Bauart, die mit Tragflächen, GPS und inzwischen auch Turbomotoren nachgerüstet sind und, aus Flugzeugen abgeworfen, bis zu 90 Kilometer weit fliegen. Sie schlagen keineswegs immer zielgenau ein, hinterlassen aber sechs Meter tiefe Trichter. Das Verteidigungsministeriums zählte dieses Jahr schon etwa 3500 KAB-Abwürfe der Russen, 16-mal mehr als 2023. Eine vergleichsweise simple, aber mörderische Waffe, die sich auch als Brecheisen bei neuen Offensiven nutzen lässt.

„Schon wirtschaftlich ist es sinnlos, ‚Patriot‘-Luftabwehr-Raketen, die Millionen Dollar kosten, auf solche Gleitbomben abzuschießen“, sagt der Kiewer Militärexperte Oleksyj Melnik. Um diese zu bekämpfen, müsse man die Bomber treffen, die sie abwerfen – etwa mit „Patriot“-Raketen.

Die Ukraine besitzt jedoch nicht mehr als sechs „Patriot“-Systeme, zu wenig, um sie dem Risiko auszusetzen, dort selbst unter Feuer zu geraten. Am gefährlichsten könnten den KAB-Bombern F-16-Kampfjets aus US-Produktion werden, bewaffnet mit Raketen entsprechender Reichweite.

Aber die ersten vom Westen versprochenen F-16 kommen erst im Sommer. Und fast alle Raketen der ukrainischen „Patriot“-Systeme sind verschossen – was die Russen ebenfalls ausnutzen: Laut dem Kiewer Energieministerium demolierten Luftangriffe in den vergangenen Woche 80 Prozent der ukrainischen Stromwerke.

Moskaus Medien feiern schon den bevorstehenden Zusammenbruch der Ukraine. Aber ukrainische Fachleute sehen keine russischen Reserven für eine kriegsentscheidende Offensive. „Das Maximum, was die Russen im nächsten halben Jahr erreichen können, ist ein Vordringen bis zur Grenze der Region Donezk“, sagt Melnik. Das wären etwa 60 Kilometer.

In Kiew herrscht keineswegs Verzweiflung. Die ukrainischen Kampfdrohnen sind jetzt auch in Russlands Hinterland unterwegs, legten schon zehn Prozent der russischen Benzinproduktion lahm und sollen laut „Economist“ seit neuestem auch 3000 Kilometer entfernte Ölraffinerien angreifen können. Laut Melnik arbeitet die Ukraine an einer Strategie, bei der Geländegewinn nicht mehr zentral ist. „Es geht um das komplexe Aufreiben der russischen Mittel.“ In der russischen Region Stawropol stürzte gestern ein TU-22-Bomber ab, ein Kiewer Luftwaffensprecher erklärte Radio Swoboda, man habe ihn mit einem modernisierten S-200-Flaksystem erwischt.

Aber der ukrainische Rüstungshaushalt beträgt sechs Milliarden Dollar, das sind nicht mal sechs „Patriot“-Systeme mit Raketen. „Ohne amerikanische Hilfe“, klagt Selenskyj, „haben wir keine Chancen auf Sieg.“ Ganz Kiew hofft, das US-Repräsentantenhaus werde am Wochenende nach Monaten des Zauderns doch 61-Milliarden-Dollar-Militärhilfe für die Ukraine bewilligen.

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