Scharfe Kritik an Steinmeier-Äußerungen: „Das ist dem Amt des Bundespräsidenten unwürdig“

Seit Monaten schwelt der Konflikt um eine mögliche Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper. Während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Lieferung des reichweitenstarken Waffensystems weiterhin strikt ablehnt, werden erneut Stimmen laut, die danach rufen. Nachdem die USA sich zuletzt entschieden haben, ATACMS-Raketen mit großer Reichweite an die Ukraine zu liefern, wurde auch international Kritik am Kanzler laut. Der bekam nun jedoch Rückendeckung vom Bundespräsidenten, der von „ausgelassenen Militär- und Kaliberexperten“ sprach – und nun ebenfalls in der Kritik steht.

So kritisierten Politiker von CDU, Grünen und der FDP die jüngsten Äußerungen Steinmeiers und warfen dem Bundespräsidenten ein falsches Rollenverständnis vor. „Anstelle als Bundespräsident seiner Rolle gerecht zu werden und den Menschen im Land mit der Kraft der Worte die Ernsthaftigkeit der Lage zu erklären, zieht Steinmeier Experten ins Lächerliche, um Wahlkampf der SPD zu unterstützen“, kritisierte FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann im sozialen Netzwerk X. „Das ist dem Amt des Bundespräsidenten unwürdig.“

Strack-Zimmermann attackiert Steinmeier: „Zieht Experten ins Lächerliche“

Gegenüber dem Berliner „Tagesspiegel“ wurde die FDP-Politikerin ebenfalls deutlich: Als ehemaliger Außenminister sei Steinmeier „mit in der Verantwortung für die erhebliche Abhängigkeit Deutschlands von Russland“, erklärte Strack-Zimmermann. „Umso mehr erschreckt er mit seinem heutigen Verhalten.“

Steinmeier hatte zuvor am Freitag die Entscheidung von Scholz verteidigt, auch nach dem neuen US-Hilfspaket keine Taurus-Marschflugkörper an Kiew zu liefern – und dabei die deutsche Debatte über Waffenlieferungen kommentiert.

Frank-Walter Steinmeier spricht von „ausgelassenen Kaliberexperten“

„Die Militärexperten, die Kaliberexperten tun das […] mit Ausgelassenheit und mit wachsendem Ehrgeiz“, zitierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ den Bundespräsidenten bei einer Veranstaltung des Blatts. Dass die Deutschen immer noch mehrheitlich hinter der Ukraine-Politik des Kanzlers stünden, sei „keine so schlechte Zwischenbilanz“, befand Steinmeier demnach zudem.

„Warum können Bundeskanzler und Bundespräsident ihre Taurus-Position nicht ohne Beschimpfung der anderen Seite und Eigenlob sauber begründen?“, fragte angesichts von Steinmeiers Worten auch die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger bei X. „Das wirkt nicht sonderlich souverän“, fügte sie an.

Kritik von den Grünen an Steinmeier: „Kleinliche innenpolitische Show“

Die Lage in der Ukraine sei „hochdramatisch“ und „viel zu ernst für diese kleinliche innenpolitische Show“, kritisierte Brugger weiter. „Es ist irritierend, dass der Bundespräsident öffentlich eine Position vertritt, die die für das Amt gebotene parteipolitische Distanz vermissen lässt“, sagte der Grünen-Verteidigungspolitiker Sebastian Schäfer zudem dem „Tagesspiegel“.

CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen kritisierte ebenfalls das Rollenverständnis Steinmeiers, der sich als Bundespräsident in eine politische Debatte eingemischt habe. „Spott und Abschätzigkeit sprechen aus den Formulierungen des Bundespräsidenten“, sagte Röttgen dem „Tagesspiegel“ und kritisierte die Äußerung Steinmeiers als „unangemessene Sprache“, die zur Frage führe, ob Steinmeier glaube, „dass es seine Aufgabe sei, sich über politische Diskussionen irritiert zu zeigen?“

scharfe kritik an steinmeier-äußerungen: „das ist dem amt des bundespräsidenten unwürdig“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz im Schloss Bellevue. (Archivbild) IMAGO/APress

Auch in Reihen der von Steinmeier als „Militärexperten und Kaliberexperten“ bezeichneten Sicherheits- und Russland-Experten, die sich seit Kriegsbeginn immer wieder öffentlich zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine geäußert haben, wurden die Äußerungen Steinmeiers nicht gut aufgenommen.

SPD-Historiker: „Es muss eine tiefe narzisstische Kränkung sein“

„Es muss eine tiefe narzisstische Kränkung sein, stets so falsch gelegen zu haben in der Russlandpolitik und der Lageeinschätzung, dass man dann dazu übergeht, Experten lächerlich zu machen“, kritisierte der Historiker Jan Claas Behrends Steinmeiers Worte. Behrends gehört zu den SPD-Historikern, die kürzlich in einem Brief an die Parteispitze den Kurs von Olaf Scholz scharf kritisiert hatten.

„Innenkaliberexperte oder Außenkaliberexperte? Soviel Differenzierung wird Steinmeier aufbringen müssen, um zumindest von denjenigen ernst genommen zu werden, die das Taurus-Kaliber im Handlungsspielraum von Scholz suchen“, fragte unterdessen der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger bei X mit spitzen Worten. „Wie kann man sich in jeder Lage lächerlich machen?“, fügte Jäger an.

Ralf Stegner springt Steinmeier zur Seite: „Larmoyante Haltung“

Zuspruch erhielt Steinmeier am Montag unterdessen von SPD-Politiker Ralf Stegner. Die Kritik am Bundespräsidenten sei „merkwürdig“, die „zahllosen Waffenexperten“ würden die Debatte dominieren und Forderungen nach Diplomatie als „Pro-Putin-Haltung“ diffamieren, so Stegner.

„Wenn ausgerechnet selbsternannte ‚Eurofighterinnen‘ und robuste Debattenpolemiker dem Staatsoberhaupt ‚Wahlkampfhilfe‘ für die SPD vorwerfen, nur weil er auch über diplomatische Anstrengungen spricht, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll“, reagierte Stegner schließlich insbesondere auf die Kritik Strack-Zimmermanns und kritisierte eine „larmoyante Haltung“ bei jenen, die die „Besonnenheit des Kanzlers“ als „Feigheit und Verrat an der Ukraine verhöhnen“ würden.

Ungeachtet der immer wieder aufflammenden Taurus-Debatte scheint dem Kanzler jedoch weiterhin zum Lachen zumute zu sein. Bei einer Dialogveranstaltung am Samstag in Lüneburg äußerte sich Scholz erneut zu seiner Blockade einer Taurus-Lieferung an die Ukraine – und sorgte dabei für einen „merkwürdigen Moment“, wie „Focus Online“ berichtete. „Es gibt Waffen, die kann man nur liefern, wenn man über alles, was damit gemacht wird, die Kontrolle behält“, erklärte Scholz.

Olaf Scholz bleibt bei Taurus-Nein: „Trotzdem würde ich nicht jedem alle Waffen geben“

Man könne in so einer Frage nicht eine „Traust du mir nicht?“-Debatte wie ‚unter Freunden‘ führen, behauptete der Kanzler. „Natürlich traue ich meinen Freunden, trotzdem würde ich nicht jedem alle Waffen geben“, fügte Scholz schmunzelnd an – und sorgte für Lacher im Publikum.

Bereits in der Vergangenheit hatte Scholz seine Ablehnung einer Taurus-Lieferung damit begründet, dass mit den Marschflugkörpern das Eskalationspotential im Krieg steigern und Deutschland zur Kriegspartei machen könnte. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Scholz dafür bereits Mitte April scharf kritisiert und angedeutet, dass der Bundeskanzler nicht die wahren Gründe für seine Entscheidung nenne.

„Er teilte mir mit, dass er sein Land nicht ohne eine solch mächtige Waffe lassen kann“, sagte Selenskyj im Gespräch mit „Politico“ und deutete damit an, dass Scholz die Taurus-Marschflugkörper behalten wolle, um Deutschland gegen einen möglichen russischen Angriff verteidigen zu können.

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